Vor 40 Jahren entstand der Filmladen-Verleih aus einer Gruppe politisch aktiver Filminteressierter, die das Medium für gesellschaftspolitische Fragen nutzen wollten. Die Diagonale widmet dieser bemerkenswerten Initiative zum Jubiläum einen Schwerpunkt. Die Mitbegründer Franz Grafl und Michael Stejskal, Letzterer bis heute Geschäftsführer des Filmladens, im Gespräch über eine kaum mehr vorstellbare Kino- und Verleihlandschaft.
Wie kamen Sie beide zum Film, zur filmpolitischen Arbeit?
Franz Grafl: Ich habe seit meinem 17. Lebensjahr einen Filmclub betrieben und Filme dafür aus dem Ausland geholt. Mit den Filmen fuhren wir, Freundinnen, Freunde und Bekannte, mit einem VW-Bus durch Ostösterreich. Anfang der siebziger Jahre wollten wir Filme längerfristig spielen, daraus ist eine Filmclub-Bewegung entstanden. Während der Arena-Besetzung 1976 (Anm.: der Kampf für ein Kulturzentrum im ehemaligen Schlachthof) organisierten wir das „Kino“ im Schweinestall. Wir zeigten Fassbinders Warum läuft Herr R. Amok? und andere Filme, die es im regulären Kinobetrieb nicht zu sehen gab. Kurze Zeit später arbeitete ich beim Syndikat der Filmschaffenden mit, da hieß es: Wer kennt sich beim Verleih aus? Da habe ich aufgezeigt, Ruth Beckermann auch. So ungefähr lief die Gründung des Filmladens ab. Kurz darauf stieß Josef Aichholzer dazu. In diesem Zusammenhang entstand auch die Dokumentation Arena besetzt. Kürzlich habe ich etwas gelesen, das die damaligen Verhältnisse gut beschreibt: Es gab zu dieser Zeit 16 Verleihstellen für Dokumentarfilme, aber keine einzige, die sich mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigte.
Michael Stejskal: Ich stieß 1979/80 dazu, als ich aus der Provinz zum Studium nach Wien kam. Ich war natürlich auch politisch aktiv, habe mit Ökonomen in einer WG gewohnt, die waren Mitglieder der Gruppe „Der rote Börsenkrach“. Zum Filmkollektiv kam ich durch Zufall: Ruth Beckermann ging nach einer Veranstaltung auf die Suche nach Helfern, und mich interessierte das.
Grafl: Kurzer Einwurf: Michael ist zur richtigen Zeit gekommen. Ruth und ich waren ja eher chaotisch, Josef hat mehr auf die Finanzen geschaut, und Michael hat das ganze Projekt strukturiert. Sonst würde es den Filmladen ja so gar nicht mehr geben
Stejskal: Wir selbst hätten uns damals nicht als Kollektiv bezeichnet. Da kamen Leute zusammen, die mit Filmclubs aktiv waren und andere, die selbst Filme machten oder politisch aktiv waren. Beide wollten etwas an der österreichischen Filmszene verändern. Ich gehörte zu denen, die sich für Film interessierten und zugleich politisch etwas bewirken wollten. Das waren oft auch agitatorische Kurzfilme, die wir verbreiteten.
Grafl: Es waren oft 16mm-Filme, die wir „Flugblattfilme“ genannt haben. Es gab eine immense Nachfrage, von der linken Szene über die Gewerkschaften bis zu den Katholiken. Das war die Zeit unter Kreisky, die man heute mit Aufbruch, Freiheit, Frauenemanzipation, Antifaschismus verbindet. Durch die Filme konnte man leichter Diskussionsveranstaltungen organisieren. Wir haben die Filme dafür aus dem Ausland nach Österreich geholt.
Dachten Sie auch schon an einen Einsatz dieser Filme im Kino?
Stejskal: Dazu hätten wir gar nicht die Möglichkeit gehabt, aufgrund der Länge und des 16mm-Formats, für das es keine Ausstattung in den Kinos gab. Welche Bedeutung diese Filme hatten, kann man sich heute nicht vorstellen, zum Beispiel, dass ein Pfarrer nach der Messe Septemberweizen (Anm.: Regie: Peter Krieg, 1979) im Pfarrhaus vorgeführt hat. Es ist uns also einerseits darum gegangen, eine inhaltliche Auseinandersetzung zu befördern. Andererseits zeigten wir Arthouse-Filme, die anderswo in Europa zum Kinobetrieb gehörten, bei uns aber nicht zu sehen waren. Und wir wollten auch Filmgeschichte nachzuholen.
Grafl: Wir haben Kurosawa oder den ersten Nanni-Moretti-Film gespielt oder Lars von Triers Element of Crime. Diese Angebote kamen in diesem Aufbruch zur richtigen Zeit. Wir waren bei Festivals von Oberhausen bis Cannes unterwegs, um die Filme zu bekommen und fanden viele internationale Kontakte, etwa zu Yilmaz Güney, dessen Film Yol wir auch gezeigt haben. Diese Kontakte sind für den Filmladen teils heute noch wichtig. Und wir produzierten zu Beginn auch selbst Filme, in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Etwa Auf amol a Streik über den Streik in den Semperit-Werken oder Der Hammer steht auf der Wies’n da draussen über die Arbeitskämpfe in den Vereinigten Edelstahlwerken VEW. Das war ganz wichtig, weil wir hinausgegangen sind und uns mit den Arbeitern unterhalten haben. Diese Filme hatten beispielhaften Charakter.
Hatten Sie eine Vorstellung über die Zukunft, wie das Projekt weitergehen soll?
Stejskal: Naja, die Nachfrage nach den Filmen war so groß, dass man die ganze Struktur professionalisieren musste, um das ganze organisatorisch auf die Reihe zu kriegen. Das Projekt wuchs, ohne dass das von uns jemand langfristig als Zukunftsperspektive gesehen hat. Wir hatten relevante Umsätze – aber auch Kosten, die Logistik war beachtlich. Die Filme wurden mit teils mehreren Kopien durch ganz Österreich verschickt. Das war schon eine Herausforderung, den Überblick zu bewahren. Wir selbst waren dabei leider gar nicht so oft bei einer Vorführung dabei, aber wenn, war das immer bereichernd, wie die Leute in den Gesprächen so argumentiert haben.
Wann war der Zeitpunkt, zu dem Sie die Filme erstmals auch in Kinos zum Einsatz brachten?
Stejskal: Das war ein schleichender Prozess. Die Widerstände dagegen waren enorm: von den anderen Verleihen, aus der Wirtschaftskammer, wo man eine recht bequeme Kino- und Verleihsituation etabliert hatte. Der dominierende Player in Wien war die KIBA, eine gemeindeeigene Kinokette, die in einer sehr gewinnträchtigen Geschäftsbeziehung zu den großen amerikanischen Verleihen stand. Sie wollte an ihre medienpolitische Verantwortung und an ihre sozialdemokratischen Wurzeln nicht erinnert werden.
Grafl: In Klagenfurt, Innsbruck und Salzburg gab es schon Programmkinos, in Wien das Action Kino, und der Z-Club organisierte Musikveranstaltungen. Wir überredeten dann dessen Ko-Leiter Franz Schwartz, auch Kinofilme zu spielen, daraus entstand in weiterer Folge auch die Idee zum Stadtkino. Wir gingen auch zur Volkshochschule Stöbergasse, die einen voll ausgestatteten, jedoch wenig genutzten Kinosaal hatte. Wir wollten den Film Schrei aus der Stille zeigen, der von der Vergewaltigung einer Frau handelte. Mit viel Überzeugungskraft und finanziellen Vorgaben setzten wir die Vorführungen durch. Weil es ein großer Erfolg war, begann sich dann auch die KIBA für solche Programme zu interessieren. Hier eröffnete sich also ein anderer Verbreitungskanal, während sich unsere angestammten Verbreitungswege verkomplizierten. In den Achtzigern kam dann zunehmend Video auf, womit solche Filme und vor allem Dokus auch anders verfügbar wurden. Lehrer griffen dann stärker darauf zurück, weil das Entleihen von 16mm-Filmen natürlich etwas kostete.
Stejskal: In den frühen Achtzigern hatte sich ganz langsam so etwas wie eine Kinokultur entwickelt. Zugleich änderte sich unser Arbeitsumfeld, vor allem auch aus technologischen Gründen. Die aufkommenden Videoformate waren flexibler in der Verbreitung und billiger in der Herstellung. Die klassische Zeit der 16mm-Filme war damit zu Ende. Es war aber – sicherlich nicht zufällig mit dem Ende der Kreisky-Ära – auch die Zeit des Aufbruchs vorbei. Wir beobachteten damals ungläubig den Beginn der neoliberalen Gehirnwäsche von Thatcher und Reagan. Bei uns wurde das zeitverzögert nachvollzogen. Die Subventionen in der Höhe von etwa 15 Prozent unseres Umsatzes blieben uns zwar. Aber das wahre Problem lag bei der Nachfrage. Die lebendige vielfältige Art der Auseinandersetzung, die von einer „Bewegung“ getragen war, und zwar ganz anders als in der Konnotation von Kurz oder Macron, kam zum Erliegen.
Was hat das für den Filmladen bedeutet?
Stejskal: Wir mussten uns entscheiden: Tun wir weiter, oder lassen wir es bleiben? Unsere Wege hatten sich damals auch schon verzweigt. Ruth folgte ihrem Impuls, Filme zu machen; Josef Aichholzer wollte als Produzent, Franz stärker wissenschaftlich arbeiten.
Grafl: Ich habe damals ein Stipendium für Frankreich bekommen und war nach 15 Jahren Filmclub wirklich müde. Michael und ich haben uns gut verstanden, und wir hatten ja gemeinsam noch bis 1989 die Geschäftsführung des Filmladens inne. Einer unserer Pläne war, selbst ein Kino zu erwerben. Wir haben uns dafür das heutige Top Kino, das Apollo sowie auch das Tabor angeschaut, es wurde dann das Votiv Kino.
Und die Finanzierung?
Stejskal: Ganz ehrlich: Wir hatten uns damals – ohne irgendwelche Sicherheiten anbieten zu können – auf halsbrecherische Weise verschuldet, wie das heute gar nicht mehr möglich wäre.
Grafl: Wir haben auch vom damaligen Sozialminister Dallinger Geld im Rahmen der Arbeitsplatzsicherung bekommen. Für zehn Arbeitsplätze erhielten wir je 80.000 Schilling (5.800 EUR). Nur zum Vergleich: General Motors erhielt damals eine Million Schilling pro Arbeitsplatz. Wir haben jedenfalls alle Möglichkeiten genützt und wollten, das war uns wichtig, möglichst unabhängig bleiben.
Welche Art Film sollte nun gezeigt werden in diesem Kino?
Grafl: Neben internationalen Produktionen hatten wir auch österreichische Filme punktuell immer wieder einmal im Kino gezeigt. Malambo von Milan Dor kennzeichnete aber eine Trendwende. Das war unser erster österreichischer Spielfilm, den wir regulär – und relativ breit – ins Kino gebracht hatten; ein inhaltlich und ästhetisch wichtiger Film, weil er einen anderen Umgang mit dem Medium Kino aufwies. Bei der Premiere fiel vielen Filmemachern auf, wie man so einen Film mit Öffentlichkeits- und Pressearbeit präsentieren kann. Der damalige ORF-General Gerd Bacher meinte, der österreichische Film finde im ORF statt. Für uns zeigte Malambo hingegen, dass der österreichische Film einen Wert hat. Als wir zwei Jahre später unser eigenes Kino eröffneten, war daher völlig klar, dass neben den internationalen Festival-Highlights der österreichische Film ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein sollte.
Stejskal: Zu dieser Zeit trug auch das neue Filmförderungsgesetz Früchte, weil es nun eine größere Anzahl kinotauglicher österreichischer Filme gab. Nun gab es eine ziemliche kontinuierliche Produktion, etwa Wolfram Paulus’ Heidenlöcher. Dass wir Kurzer Prozess mit Helmut Qualtinger wieder ausgegraben haben, habe ich auch als sinnvolle Anstrengung in Erinnerung. Wir zeigten: Auch solche Solitäre waren schon früher möglich.
Ein langer Weg vom aktivistisch anmutenden Präsentator von „Flugzettelfilmen“ bis zum regulären Kinofilmverleih. Welche internationalen Filme würden Sie nennen, die, vielleicht auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, beigetragen haben, dass es den Filmladen bis heute gibt?
Stejskal: Es ist völlig klar, dass man Umsätze erwirtschaften muss, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig machen wir mit den Filmen, die wir kaufen, vergleichsweise wenige Kompromisse. Mich freut, dass wir in dieser Szene immer noch relativ unabhängig sind. Ich erinnere mich gerne an die Erfolge von Indien und Hinterholz 8, das war bahnbrechend, mit österreichischen Filmen solche Zuschauerzahlen zu erreichen. Wichtig war auch, dass wir einen Film wie Tokyo Monogatari gezeigt haben, wenn das auch finanziell ein Desaster war. Auch an Amélie und Slumdog Millionaire erinnere ich mich gerne, weil sie große Erfolge waren und es eine Leistung war, die Rechte für Österreich zu bekommen. Ein großes Anliegen war mir, Asghar Farhadis Separation ins Kino zu bringen. Und ganz wichtig war mir auch die Arbeit mit den Haneke-Filmen. Seit Code Inconnu haben wir alle seine Filme herausgebracht.