Die Diagonale widmet dem Schauspieler und Gastronomen Hanno Pöschl kurz vor seinem 70. Geburtstag eine Personale.
Es dauert eine Weile, bis man ihn richtig zu Gesicht bekommt. Weil irgendwie kommt ihm immer etwas dazwischen, sogar beim legendären „Ramona spielen“ über den Dächern von Wien. Nicht einmal für das angekündigte „Vogerl“ bleibt genug Zeit. Aber immerhin stört hier, auf dem Kaufhausdach mit Blick auf Steffl, nur höhere Gewalt in Form von Regengüssen. Macht nichts – schnell ist der flinke Kerl wieder in seiner Hose, schnappt sich eine Espressomaschine und ist praktisch schon weg. „Wann kommst denn wieder?“, will die Zurückgelassene wissen. – „Zum Muttertag.“ Und fort ist er, der Hanno Pöschl.
Dass man Kirchhoff, den von Pöschl gespielten Herumtreiber und Kleinkriminellen, erst gut erkennen kann, wenn er bereits am Steuer des eben gestohlenen Wagens sitzt, den er mitten in Wien Mitte mitgehen hat lassen, passt hervorragend. Denn Kirchhoff ist ein Getriebener in Franz Novotnys Exit … Nur keine Panik (1980). Immer muss es woanders hingehen, immer heißt es den Ausgang suchen. Aber ohne Panik, selbst wenn man gerade einen Spielautomaten und gleich darauf eine ganze Kegelbahn zertrümmert hat. Kirchhoff ist, mit Jeans, weißem Shirt und Lederstiefeln, eine Wiener Variante des amerikanischen Kinorebellen. Vielleicht fällt die Strähne nicht so cool in die Stirn wie Martin Sheen in Badlands, aber die Sprüche sind mindestens so angeberisch. Und ordinär sowieso.
Novotnys Regiedebüt, auch dank seiner Darsteller längst zum heimischen Kultfilm avanciert, liegt mittlerweile fast vierzig Jahre zurück. Pöschl, seit Anfang der siebziger Jahre Betreiber des „Kleinen Café“ am Franziskanerplatz, war damals auf der Leinwand ein junges Gesicht, eines wie es das österreichische Kino ganz dringend brauchte. Die Jobs, mit denen er sich zuvor durchschlug, lesen sich wie aus der Karriere von Clint Eastwood: Konditor, Mechaniker, Kerzenmacher, Straßenarbeiter und Chauffeur. Hätte nur noch der Holzfäller gefehlt. Apropos: Mit Eastwood gibt es ein paar hübsche gemeinsame Szenen in dem Agententhriller Firefox, der in Wien gedreht wurde. Pöschl spielt darin einen russischen Kontaktmann in Lederjacke und Schirmmütze, der zunächst den Hollywoodstar am Donaukanal von hinten festhalten muss und später in der U-Bahn nicht rauchen darf.
Es mutet heute erstaunlich an, dass Pöschls erste große Filmrolle da gerade einmal drei Jahre zurücklag. Maximilian Schells Geschichten aus dem Wienerwald von 1979 sind noch immer großartig anzuschauen, und zwar nicht nur wegen Helmut Qualtinger in der Bienenunterwäsche unter der Stadlauer Brücke, sondern auch wegen Hanno Pöschl als Alfred. Immer fesch, aber nie schmähstad schindet er Eindruck auf Birgit Doll als arme Marianne, die ihm bald lästig wird, wie alles, was von Dauer oder Belastung sein könnte – außer Geld und Pferdewetten. Alfred ist ein Wiener Strizzi aus einer anderen Zeit, aber auf seine Weise dem Hallodri Kirchhoff aus Exit nicht unähnlich. Ob diese ersten Filmrollen bereits seine folgenden festlegten und damit jenen Typus festigten, mit dem Hanno Pöschl fortan im Kino und im Fernsehen reüssierte, sei dahingestellt, weil gar nicht so wichtig. Er habe „häufig Größen der Halbwelt verkörpert“, kann man in seinem Wikipedia-Eintrag lesen, und das ist nicht ganz falsch. Aber man könnte auch sagen, Hanno Pöschl ist über Jahrzehnte hinweg zu einer Größe der österreichischen Kino- und Fernsehlandschaft geworden, die solche Darsteller wie ihn für ihre wiederkehrenden Halbweltgestalten sehr gut brauchen konnte. So wie in Götz Spielmanns Revanche, in dem er jenen abgefeimten Zuhälter spielt, der – wenn es einen solchen gäbe in diesem Film – sicher der Schuldige ist am ganzen Unglück.
Wer vom Theater kommt und zum Fernsehen geht, hat in Österreich nach wie vor meistens den typischen Schauspielweg gewählt. Auch Pöschl kam Mitte der siebziger Jahre von der Bühne, spielte am Ensemble Theater und am Akademietheater. Sein Weg auf die Leinwand führte über das Wiener Schauspielhaus, wo er seit 1974 engagiert war. Dass seinen Leinwandfiguren immer etwas Theatralisches anhaftet, hat aber einen anderen Grund: Pöschl ist vor der Kamera kein Darsteller der leisen Töne und des Mienenspiels, sondern lässt den Körper sprechen, braucht den Raum, den er sich nimmt. Es ist gewiss kein Zufall, dass seine Figuren oft von ihren Handlungen gesteuert sind und stets unmittelbar auf ihre Umgebung reagieren.
Anfang der achtziger Jahre ist Pöschl bereits einer der meistbeschäftigten Schauspieler Österreichs. Er spielt in Hans Christof-Stenzels krudem Obszön – Der Fall Peter Herzl (1981), dem eine gewisse, nicht nur zeitliche Nähe zu Exit nicht abzusprechen ist, selbstverständlich einen Zuhälter; in Peter Patzaks Den Tüchtigen gehört die Welt (1982) ist er ebenso dabei wie im Tatort und beim Kottan. Und dann ist da schließlich jener Film, der bis heute einen absoluten Höhepunkt in der Karriere Hanno Pöschls markiert, der letzte Film Rainer Werner Fassbinders. Pöschl spielt darin eine Doppelrolle, Querelles Bruder Robert und den Arbeiter Gil, der im Affekt seinen Kollegen getötet hat – und zum Seelenverwandten und Geliebten des Matrosen Querelle wird. International besetzt mit Jeanne Moreau, Brad Davis und Franco Nero beschert Querelle Hanno Pöschl seine zwei markantesten Auftritte: die Kussszene mit Davis und den Messerkampf auf offener Straße vor leuchtend gelbem Studiohimmel. Was Fassbinder an Pöschl faszinierte, erschließt sich in diesem Film auf den ersten Blick: Hier spielt nicht jemand einen Getriebenen, wie es im Lehrbuch steht, sondern ein knapp über 20-jähriger Mann ist hier ganz Kind seiner Zeit. Das Wollen und der Wille schließen, ganz wie bei Fassbinder, das Scheitern nie aus. Aber dann ist es richtig so.
Gleichzeitig ist sich Pöschl seines Images natürlich nur allzu gut bewusst und hat im Laufe der Jahre nicht nur gelernt, es zu perfektionieren, sondern auch zu reflektieren. Davon zeugen die unzähligen Fernsehauftritte in diversen deutschsprachigen Serien, aber auch Nebenrollen, denen er damit wuchtige Präsenz verleiht. Man erinnere sich etwa an Houchang Allahyaris Höhenangst (1994), bis heute einer der besseren österreichischen Filme. Die Angst, die der aus der Haftanstalt entlassene Sohn vor der Heimkehr zu den Eltern hat, erweist sich in dem Augenblick als berechtigt, als er mit seinem Bewährungshelfer in der Türe steht. Der tyrannische, gewaltbereite Vater, den Pöschl hier spielt, verkörpert alles, was der Sohn verabscheut, nicht erst seit er als Kind ans Bett gekettet „zuschauen“ musste.
Als Pöschl 1998 unter der Regie von Frank Castorf an der Burg in der „Krähwinkelfreiheit“ nach Nestroy auftrat, stand in einer Wiener Kritik zu lesen: „Hanno Pöschl bleibt (…) eben Hanno Pöschl, was seine Wirkung nicht schmälert.“ Gemeint waren die beiden Rollen, die Pöschl auf der Bühne darbot. Interessant an dieser Beschreibung ist der zweite Teil – dass die Wirkung Hanno Pöschls stets mit einer Darstellung seiner selbst einhergeht. Das ist etwas anderes als Selbstdarstellung. Und eben dieser feine Unterschied macht die Figuren Hanno Pöschls unverkennbar.