Very British: Der junge Australier Simon Stone inszeniert sein historisches Drama um die Ausgrabungen von Sutton Hoo auf die feine englische Art.
Für einen Film, in dem es in erster Linie ums Ausgraben von Dingen geht, bleibt in The Dig erstaunlich viel unter der Oberfläche verborgen. Vor allem, was die Emotionen der Hauptfiguren anbelangt, hält sich Simone Stones Adaption von John Prestons Roman über den historisch bedeutsamen archäologischen Fund von Sutton Hoo erstaunlich zurück. Bereits die erste Begegnung deutet darauf hin, wenn der Hobbyarchäologe Basil Brown (Ralph Fiennes), der sich selbst entschieden als „Ausgräber“ bezeichnet, mit seiner zukünftigen Auftraggeberin, der Gutsbesitzerin Edith Pretty (Carey Mulligan), das Land begeht, dass es zu erforschen gilt. Beide sind höflich, aber reserviert, begeistert von der Geschichte und zugleich angeschlagen von der eigenen Vergangenheit. Viele Worte wechseln sie nicht, und doch wird schnell klar, dass sich hier zwei Menschen getroffen haben, die mehr verbindet als eine Faszination für das, was unter den ungewöhnlichen Hügeln auf Mrs Prettys Grundstück liegt.
Kaum sind die Rahmenbedingungen geklärt, macht sich Brown daran, seinen künftigen Arbeitsplatz auszumessen, abzustecken, den Spaten anzusetzen. Schwierig und eigenwillig sei er, wurde die Witwe gewarnt. Ein Amateur, der seinen Lebensunterhalt als Hilfskraft im nahegelegenen Provinzmuseum von Ipswich aufstockt. Und doch besteht Pretty darauf, dass der robuste Mann mit Schirmmütze und schwerem Suffolk-Akzent sich an die Mission macht, für die die staatlichen Institutionen im Sommer 1939, wenige Wochen, bevor Großbritannien Deutschland den Krieg erklären wird, kein geschultes Personal mehr abkömmlich machen können oder wollen. Sie ist neugierig, und ihre schwache Gesundheit lässt eine weitere Aufschiebung des Unternehmens nicht zu. Denn wenn es in diesem Boden etwas zu finden gibt, will sie es noch gemeinsam mit ihrem Sohn Robert entdecken, der sich an Erdlöchern ebenso interessiert zeigt wie an den Sternen am Nachthimmel, und in beiden Dimensionen neben einer Vaterfigur auch einen Lehrmeister in Brown findet.
Mit feinstem, strengstem englischen Understatement inszeniert der australische Regisseur Simon Stone, der sich vor allem 2018 mit seiner „Medea“-Inszenierung am Burgtheater einen Namen machte, dieses zarte, rein platonische Beziehungsgeflecht zwischen Mrs Prettys moderater High Class und Browns Bodenständigkeit, das ebenso auf gegenseitigem Respekt beruht wie auf der stillen, vagen Gewissheit, dass die Ausgrabungen Früchte tragen werden. Nur das Ausmaß des Fundes ist zunächst keinem der beiden Archäologie-Liebhaber bewusst. Doch kaum sind die ersten Entdeckungen gemacht, scharen sich weitere Figuren um die Ausgrabungsstätte, brechen das intime Setting auf, um nicht nur das Land, sondern auch darüber hinaus ordentlich Staub aufzuwühlen. Denn was Brown da aus den Erdtiefen holt, sind die Teile eines angelsächsischen Schiffs, das völlig neues Licht auf die Zeit des frühen, bisher ziemlichen düsteren Mittelalters wirft. Und so rückt schließlich doch ein Team des British Museum in der kleinen Grafschaft an der Ostküste an, um unter der Leitung des Chef-Archäologen Charles Phillips (Ken Stott) die Ausgrabungen zu forcieren und die dabei gefundenen Schätze für den Museumsgebrauch sicherzustellen. Allerdings stören die Neuankömmlinge nicht nur die gedämpfte Harmonie, in der sich Pretty und Brown behutsam eingerichtet haben, auch das Drehbuch von Moira Buffini gerät in dem Moment einigermaßen ins Schwanken, als Lily James‘ Peggy Piggott, die mit ihrem zugeknöpften Gatten (Ben Chaplin) beim professionellen Buddeln helfen soll, tiefere Gefühle für Ediths feschen Cousin Rory (Johnny Flynn) entwickelt und daraufhin heftig an ihrer Ehe zu Zweifeln beginnt.
Doch auch in den Nebenhandlungen hält es Stone mit der Leidenschaft wie mit den Funden vor Ort: sachlich und beherrscht. The Dig ist kein Historienfilm der großen Dramen und Gefechte, vielmehr die Momentaufnahme einer Zeit und einer Gesellschaft, in der vor allem das ins Gewicht fällt, was nicht gesagt, nicht getan, nicht erlebt wird. Manieren und Umgangsformen, Prinzipien und Kompromisse bestimmen das Spiel, und eine erdige, gediegene Atmosphäre macht es sich zunehmend allzu bequem, sodass der Film im zweiten Teil an der leisen Kraft einbüßt, die Mulligan und Fiennes mit ihren engagierten, stets auf dem Punkt gespielten Performances zu Beginn so sorgfältig aufgebaut haben. Aber auch mit Abstrichen ist Stones zweite Filmarbeit gute, solide und sehenswerte Unterhaltung mit historischem Touch, und zudem ein sichtlich passioniertes Heimspiel für Fiennes, der selbst aus der Gegend stammt, in der die Ausgrabungsstätte liegt, und der mit seiner exquisiten Darstellung des knirschigen Eigenbrötlers Basil Brown endlich den Mann ins rechte Licht rückt, dem der Ruhm für den einzigartigen Fund von Sutton Hoo tatsächlich gebührt.