Einer der fruchtbarsten und furchtbarsten Zyklen des Horror-Genres; anlässlich der Dokumentation „Memory: The Origins of Alien“: ein Streifzug über mythisches Gelände.
Apollontempel, Delphi, Griechenland, 1979: Die Stimme Klytämnestras ruft die Furien herbei; erheben sollen sie sich und ihren Tod durch die Hand ihres Sohnes Orest rächen. Die Frauen räkeln sich wie Schlangengetier ins Aufrechte und eine von ihnen zischt durch überlange angespitzte Zähne: „Entgegen lächelt mir der Duft von Menschenblut!“
Sind wir im falschen Film? Als in der folgenden Sequenz Dan O’Bannons Witwe von dessen Heranwachsen auf dem Land und Begeisterung für Science Fiction erzählt und einige Filmhistoriker und -kritiker an die Creature-Horror-Filme der vierziger und fünfziger Jahre erinnern, legt sich die Anfangsirritation. Wir betreten das bekannte Terrain der klassischen Dokumentationsdramaturgie, Reminiszenzen illustrer Talking Heads hübsch unterhaltsam zu illustrieren. Und dennoch: Furien?! Nun, der für den in Rede stehenden Memory: The Origins of Alien (2019) verantwortlich zeichnende Regisseur heißt Alexandre O. Philippe. Und der hat schon 2017 mit 78/52 am Beispiel von Alfred Hitchcocks Psycho (1960) bewiesen, dass ihm kein Hinweis zu weit her geholt, keine Andeutung zu abseitig und keine Theorie zu verschworen ist, um sie nicht darzulegen, abzuklopfen, weiterzuführen. Auch diesmal geht Philippe mit gewohnter Gründlichkeit zu Werke und wirft den Ball zunächst weit und quer über jenes Spielfeld, auf dem der von Dan O’Bannon erdachte, von H. R. Giger gestaltete und von Ridley Scott in Szene gesetzte, ebenso unterbewusst-vertraute wie bedrohlich-gefährliche Xenomorph herumtobt – und landet in der Ecke von Metaphysik, Geschlechterkampf und Zivilisationskritik.
Hätten wir das Alien nicht, wir wären ärmer um den faszinierendsten, vielseitigsten und dunkelsten Horror, seitdem Filme Mythen fortschreiben. Wir wüssten weniger von der Angst vor der Fruchtbarkeit, weniger vom Schrecken der Fortpflanzung, weniger von der tiefen Beunruhigung der Sexualität. Die Weyland Corporation hätte uns nicht mit Paranoia vor Manipulation, Funktionalisierung und Androiden infiziert; unsere Computer würden nicht „Mutter“ heißen. Tage, die mit dem Erwachen aus dem Tiefschlaf begannen, würden nicht mit kreischenden Organismen enden, die durch die Außenluke ins All gesaugt werden. Überhaupt wäre alles ganz anders.
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Die Mutter aller Monster
Begonnen hatte alles mit einem metallische Zähne fletschenden, kleinen, bösen Wurm, der quietschend über den Tisch saust und in den dunklen Ecken des kommerziellen Raumfrachters Nostromo verschwindet. Wo er zu stattlicher Größe heranwächst und um nie wieder aus unseren Albträumen zu weichen. Der sogenannte Chestburster ist, nach dem Ei, in dem der Facehugger auf die Chance lauert, einen zukünftigen Wirt oral zu penetrieren, eine weitere Entwicklungsstufe dieses so widerständigen Organismus, dessen Evolution an der Schwelle zum Anorganischen entlangläuft. Die Welt, die da entworfen ist, ist fundamental anders, eigentümlich und doch reizvoll. Auch und vor allem, wenn in ihr Prozesse in Gang gesetzt werden, die „Entstehung von Leben“ zu nennen reichlich schwer fällt. Wie in einer Alchemistenküche lösen sich die Grenzen zwischen dem Organischen und dem Metallischen auf, diffundiert Öliges, zappelt Mineralisches, schlängelt sich Gallertartiges, brodelt die Ursuppe. Verdichtet sich schließlich zu einer Existenzform, deren Unerbittlichkeit im Verfolgen ihrer Triebe (Fressen! Fortpflanzen!) ihresgleichen sucht.
Gegen dieses gnadenlos perfektionierte „Prinzip Fortpflanzung“ verteidigt sich die Figur der Lt. Ellen Ripley vehement. Mit ihr wird es keine Fruchtbarkeit geben. Selbst wenn das bedeutet, dass sie sich – Alien 3, David Fincher, 1992 – selbst zum Opfer bringt. Ripley ist in den Kampf mit Alien in etwa so verschlungen wie das Yin in das Yang. In kaum einer Frauenfigur ist ähnlich intensiv die ambivalente Angst vor der allmächtigen Gebärerin verkörpert, kaum eine musste sich mit ähnlicher Brutalität durch Uterus-Höhlen und Geburtskanal-Schächte jagen lassen, um an deren Ende ihrem eigenen Schreckbild des bedingungslosen evolutionären Überlebenstriebes gegenüberzustehen. (Sigourney Weaver als Lt. Ellen Ripley – in den Alien-Filmen ist sie derart unhinterfragbar an ihrem Platz wie Anthony Perkins als Norman Bates in Hitchcocks Psycho, a match made in heaven.)
Auch Aliens, James Camerons 1986 auf Scotts Alien folgende, krachende Hau-drauf-Variante, der vielfach der Vorwurf gemacht wurde, sie vervielfältige mit dem Alien nicht den Schrecken, sondern nur den Lärm und das Getöse, verhandelt todernst die Drohung parasitärer Invasion des Körpers. Aliens steigert die klaustrophobische Enge sogar noch und Cameron, der bekanntlich keine Gnade kennt, wenn es darum geht, das Gemeinte mit größtmöglicher Deutlichkeit zu artikulieren, gestaltet die finale Konfrontation zwischen Ripley und der tödlich perfekten Lebensform wie den totalen Krieg. Unfreiwillige Mutter – nicht ihre eigene Tochter ist es, die Ripley zu schützen versucht, sondern das Findelkindmädchen Newt – trifft auf ausschließliche Mutter und zugrundegelegt ist dabei der denkbar kreatürlichste Begriff vom Muttertier, das die Nachkommenschaft um den Preis des eigenen Lebens bis zum Letzten verteidigt. Bemerkenswert an dieser großen Konfrontation: die Ripley-Maschine, die sich der Alien-Queen nahezu ebenbürtig entgegenstellt.
Finchers pessimistischer dritter Teil erweitert die Geschichte um eine ausgeprägt religiöse Symbolik und erzählt eine Passion, die in einer Höllenglut endet, die für Ripley zum läuternden Feuer der Märtyrer wird. Das Alien wird zum mittelalterlichen Drachen, auf den sie schließlich mit bloßen Händen losgeht. Konfrontiert mit kapitalistischer Profitgier opfert sich die Anführerin der desexualisierten Männer, die androgyne Heldin, in deren Körper ein Alien heranwächst, schließlich selbst – und umarmt dabei (in einem der beiden existierenden Film-Enden) die verhasste Geburt, die kreischend aus ihrem Bauch herausplatzt. Vielleicht das Schlimmste an Alien: Resurrection (Jean-Pierre Jeunet, 1997) ist, dass dieses Opfer nicht angenommen und Ripley, zum dritten Male wiederauferstanden von den Toten, neuerlich in den Ring gezwungen wird. Jeunet treibt Ripleys Schicksal konsequent auf die Spitze, angefangen von ihrer Verschmelzung mit dem Alien bis hin zum finalen Mord an ihrer Nachkommenschaft, dem samenfarbigen Humano-Alien, das wiederum zuvor den ultimativen Muttermord begeht.
Der Vater, der sie schuf
Doch keiner der Ridley Scott im Cockpit folgenden Regisseure kümmerte sich je um den genannten „Space-Jockey“, jenes riesige versteinerte Wesen, das der Erkundungstrupp der Nostromo, damals, als alles begann, mit aufgeplatzter Brust am Steuer eines zerstörten Raumschiffes vorfindet. Wer war er? Wohin war er unterwegs? Was hatte er vor? Und in wessen Auftrag? Treibt das denn niemanden um? Also kehrt einer der drei Väter der Kreatur, kehrt Scott nach drei Jahrzehnten ins Science-Fiction-Genre und zu seinem Meilenstein zurück. Prometheus (2012) und Alien: Covenant (2017) richten ihre Fragen an die allerobersten Stellen. Die Antworten fallen bitter aus. Nach Ash, Bishop und Call heißt der Androide diesmal David; er schwingt sich zum Demiurgen auf und endgültig verschwimmt die Grenze zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, das die Schöpfung vernichtet.
„Hier sitz’ ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde, / Ein Geschlecht, das mir gleich sei, / Zu leiden, zu weinen, / Zu genießen und zu freuen sich, / Und Dein nicht zu achten, / Wie ich.“
(Johann Wolfgang von Goethe, „Prometheus“, 1774, Schlussvers)