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Twentieth Century © 1934 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved
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100 Jahre Columbia Pictures

Die Dame mit der Fackel

| Michael Ranze |
100 Jahre hat Columbia Pictures schon auf dem Buckel. Nun wirft Locarno mit einer schönen Retrospektive einen Blick zurück auf Klassiker, große Namen, Oscargewinner, vergessene Meisterwerke und B-Movies.

Fast jeder kennt sie, fast jeder hat sie schon einmal gesehen, jene Lady mit der Fackel in der rechten Hand, die vor jedem Columbia-Film als Markenzeichen großes Hollywoodkino ankündigt. Nicht von ungefähr ähnelt sie der Freiheitsstatue in New York, dazu das weiße, fließende, bis zum Boden reichende Kleid und die Stars and Stripes, die ihr in den Anfangsjahren über die linke Schulter nach unten fällt und ihr eine gehörige Prise Patriotismus verleiht. Eine ernsthafte, noble und ehrfurchtgebietende Frau, die allerdings – so viel Selbstironie muss sein – auch als Zielscheibe für Veralberungen diente. So schlüpft in Jack Arnolds The Mouse That Roared (1959) eine Maus unter dem Kleid der stolzen Dame hervor – was sie schnellstens in die Flucht treibt. In Strait Jacket (1963) von William Castle verliert sie sogar ihren Kopf, der ihr anschließend zu Füßen liegt. Schuld daran ist Joan Crawford, die während des Films mit der Axt auf friedliebende Mitmenschen losgeht. Spaß macht auch Elliot Silversteins Cat Ballou (1965), in dem sich die Columbia-Dame in eine Zeichentrickfigur verwandelt, ihr langes Kleid fallen lässt und dann, Hauptdarstellerin Jane Fonda gleich, als Revolverheldin wild um sich schießt. Nicht zu vergessen die Sonnenbrille, die sie zu Beginn von Barry Sonnenfelds Men in Black (1997) trägt. Eine freche Überraschung.

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Große Tradition

Columbia feierte im Januar dieses Jahres ihren 100. Geburtstag. Grund genug für das Filmfest von Locarno, ihr vom 7. August bis zum 17. August unter dem Titel „The Lady with the Torch“ eine Retrospektive mit 44 Filmen, darunter auch einige Kurzfilme, zu widmen. Dabei geht es nicht nur um die großen Namen wie Howard Hawks (in Locarno ist Twentieth Century zu sehen), Frank Borzage (Man’s Castle), Fritz Lang (The Big Heat), George Stevens (The Talk of the Town) und John Ford (The Whole Town’s Talking), sondern auch um Genre-Regisseure wie Max Nosseck, Seymour Friedman oder William A. Seiter. Bekannte Namen wie Nicholas Ray, Irving Lerner und Budd Boetticher sind ebenfalls dabei. Bemerkenswert: Dorothy Arzner, neben Ida Lupino damals die einzige Filmemacherin in Hollywood, drehte für Columbia das Melodram Craig’s Wife (1936), das auch gezeigt wird. Drei Jahrzehnte, von 1929 bis 1959, umspannt die Retrospektive – ein schönes Spektrum an Künstlern, Stars und Geschichten, die das klassische Hollywood jener Zeit repräsentieren. Die Veränderungen der Columbia, etwa die Partnerschaft 1972 mit Warner Bros., der Einstieg von Coca Cola 1982 oder der Verkauf an Sony 1989 bleiben in Locarno ausgespart.

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Ein Blick zurück. 1920 hatte Harry Cohn (1891–1958) zusammen mit seinem Bruder Jack Cohn (1889–1956) und ihrem gemeinsamen Freund Joe Brandt – alle drei arbeiteten zuvor für Carl Laemmle bei Universal – die CBC Film Sales Corporation gegründet. Kurzfilme und Zweiakter, Komödien zumeist, entstanden hier. Wegen des Spitznamens „Cornbeef and Cabbage Company“ änderten die drei Eigentümer 1924 den Namen und gründeten Columbia Pictures. Zunächst fungierte Brandt als Präsident der Firma, doch von 1932 bis zu seinem Tod 1958 war Harry Cohn die treibende Kraft hinter Columbias allmählichem Aufstieg. Das Prestige und die Größe von MGM, Fox, Warner und Paramount ließen ihm keine Ruhe – in dieser Liga wollte er auch spielen. Dann geschah ein Wunder: Cohn verpflichtete Ende der zwanziger Jahre Frank Capra, der zuvor für Mack Sennett Slapstick-Komödien und Harry Langdons Feature-Filme inszeniert hatte. Mit 25 Filmen zwischen 1928 und 1939 war Capra der wohl prägendste Regisseur der Columbia. Filme, die von der Kritik gelobt und vom Publikum geliebt wurden, darunter so kleine Meisterwerke wie Lost Horizon (1937), so irrwitzige Komödien wie It Happened One Night (1934), die das Genre der Screwball Comedy einläutete, oder so schräge Arbeiten wie The Bitter Tea of General Yen (1933). Nicht zu vergessen Mr. Smith Goes to Washington (1939) mit dem unvergleichlichen James Stewart. In Locarno läuft Mr. Deeds Goes to Town (1936), in dem Gary Cooper in der Rolle des Longfellow Deeds 20 Millionen Dollar erbt und sogleich an Bedürftige verschenken will. Jean Arthur versucht derweil als Journalistin herauszufinden, wie dieser komische Kerl tickt. Was für eine einfache Geschichte, doch dargebracht mit so viel Charme und Charisma, dass man sich ihr nicht erwehren kann. Cooper und Arthur sind einfach umwerfend, und Capra bekam seinen zweiten Oscar nach It Happened One Night.

Umstrittene Persönlichkeit

Für Frank Capra war der Fall klar: „Harry Cohn war einer der fürchterlichsten, der größten und der umstrittensten Persönlichkeiten, die Hollywood je gekannt hat.“ So steht es in seiner Autobiografie zu lesen. Und weiter: „Harry Cohn war der Archetyp einer Sorte von Filmemachern, der ich zuvor noch nie begegnet war: harte, tollkühne, ungebildete Piraten, Karrieristen der zweiten Generation, angelockt von einer ergiebigen Goldmine.“ Im Laufe des Buches wird er Cohn noch als „Diktator“ und „Despoten“ bezeichnen und die Auswirkungen auf Mitarbeiter der Columbia beschreiben: „Später sah ich so manchen empfindsamen Künstler die Columbia in einem Zustand verlassen, als wäre er von einem Grizzlybären zerquetscht worden.“ Capra und Cohn haben sich regelmäßig gestritten, manchmal auch mit bitterem Ausgang. Trotzdem gibt es keinen Zweifel daran, dass ihre stürmische Zusammenarbeit einige meisterliche Filme hervorbrachte. Auch Filmhistoriker verweisen auf Cohns Rücksichtslosigkeit und Vulgarität. Er protegierte die Starken und demütigte die Schwachen. „Harry the Horror“ war sein Spitzname – bis der Drehbuchautor Ben Hecht ihm den Titel „White Fang“ (nach Jack Londons Roman „Wolfsblut“) verpasste. Für Ephraim Katz war Harry Cohn „probably the most feared and hated man in Hollywood“. Doch auch seine Gegner mussten anerkennen, dass er ein sicheres Gespür für Talente, vom Set-Designer über den Regisseur bis zum Schauspieler, hatte und einen siebenten Sinn dafür besaß, wie man ein Filmstudio effektiv führt und Filme zu Erfolgen macht. So gehörte Columbia schon bald zu den größten Produktionsgesellschaften im Hollywood der dreißiger und vierziger Jahre, nicht so taff wie Warner, nicht so glamourös wie Paramount, nicht so stargespickt wie MGM, nicht so horror-affin wie Universal, nicht so ausstattungsverliebt wie Fox, kein Luxus, keine Extravaganzen. Dafür ein hohes Maß an Kreativität, Flair und Qualität.

Bereits 1926 hatte Harry Cohn eine wichtige Entscheidung getroffen. Anders als Paramount, Warner und MGM sollte Columbia keine eigenen Filmtheater besitzen. Das sparte Geld für Grundstücke und Bauten – Geld, das ausschließlich in die Produktion von Filmen floss. Das bedeutete allerdings auch, dass man die Qualität der Filme anheben musste, sonst hätten die Filmverleiher sie nicht gebucht. Doch mit Aufkommen des B-Movies, das regulär als kurzer, zweiter Teil eines Doppelprogramms in den Kinos lief, produzierte auch Columbia immer mehr Low-Budget-Filme. Gelungenstes Beispiel sind Irving Lerners Krimi Murder by Contract (1958) und Budd Boettichers Western Ride Lonesome (1959), die übrigens auch 2018 bei der B-Film-Retro der Viennale liefen. Die Entscheidung, keine Filmtheater zu besitzen, sollte sich als ausgesprochen weise entpuppen, zum einen wegen der Wirtschaftskrise 1929, als kaum noch Menschen in die Kinos gingen, zum anderen wegen der Anti-Trust-Gesetze 1948, die den Studios verboten, ihre Filme herzustellen und selbst zu verleihen. So blieb Columbia von den massiven Verlusten anderer Kinoketten verschont. Der Bedrohung durch das Fernsehen begegnete die Columbia durch ihre Schwesterfirma Screen Gems, die erfolgreich Fernsehserien und -filme herstellte. Rin Tin Tin ist ein feines Beispiel.

Der schönste Film der Retrospektive ist zweifellos Picnic, 1955 von Joshua Logan inszeniert. Der Film erzählt die Geschichte von William Holden als ziellosem Drifter namens Hal Carter, der in einem kleinen Ort im US-Staat Kansas vom Güterzug springt, just an dem Tag, als sich jedermann für das Picknick am Labor Day vorbereitet. Carter nimmt einen Job als Gärtner bei einer Witwe an, mit freiem Oberkörper verbrennt er an diesem heißen Tag die Gartenabfälle und erregt so die Aufmerksamkeit gleich mehrerer Nachbarinnen, darunter Kim Novak als schöne Madge und Rosalind Russell als verbitterte Lehrerin, deren Attraktivität früherer Jahre schon lange dahin ist. Ein Film über Sinnlichkeit und Begehren, über Sehnsucht und Reue. Die Liebesszenen zwischen Holden und Novak lassen die Leinwand förmlich brennen. Höhepunkt ist sicherlich ihre berühmte Tanzszene. Kameramann James Wong Howe umkreiste die beiden Tänzer mit seiner Cinemascope-Kamera, zeigte sie zumeist von der Hüfte aufwärts, die Augen streng aufeinander gerichtet, dazu spielt der Song „Moonglow“, der später zu einem Hit wurde. Eine der sinnlichsten und aufregendsten Szenen, die das Hollywood-Kino der fünfziger Jahre erlaubte. Wenn Holden und Novak sich ansehen, vergessen sie alles um sich herum. Das Einzige, was zählt, ist ihre Liebe.

Kim Novak ist auch ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr Harry Cohn junge, attraktive Schauspielerinnen gezielt lancierte und in Kassenmagnete verwandelte. Noch berühmter war natürlich Rita Hayworth, die mit Orson Welles’ The Lady from Shanghai (1947) in Locarno vertreten ist, obwohl Gilda (1946) der erotischere Film ist, nicht zuletzt wegen des Handschuh-Striptease zu dem Song „Put the Blame on Mame“. Nicht zu vergessen Judy Holliday, die in George Cukors It Should Happen to You (1954) ihren Rollennamen am Columbus Circle in New York auf eine riesige Reklametafel pinseln lässt. Fortan wundert sich ganz New York, wer sie sein könnte – sehr zum Unwillen von Jack Lemmon (in seinem Filmdebüt), der sie gern nur für sich hätte.

Harry Cohn starb am 27. Februar 1958 im Alter von 66 Jahren. Seine Beerdigung fand auf dem Gelände der Columbia Studios statt, 200 Trauergäste sollen sich eingefunden haben. „Sie kamen nur, um sicherzugehen, dass der Hurensohn auch tot ist“, witzelte der Komiker Red Skelton. Wie dem auch sei: Der Tod Harry Cohns markierte das Ende einer Ära, Columbia Pictures sollte fortan in unruhiges Fahrwasser geraten. Doch das ist eine andere Geschichte.