Philipp Stölzl über seine Neuverfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle“, über die Freiheit der Kunst und über den Umgang mit Klassikern.
Herr Stölzl, Ihre Filme reichen von Goethe über Winnetou und Udo Jürgens zu Stefan Zweig. Was wäre da als roter Faden erkennbar?
Philipp Stölzl: Der rote Faden ist zunächst einfach nur mein Lust-Prinzip! (lacht) Als Künstler lebe ich total vom Dialog, sei es mit meinen Mitstreitern, mit der jeweiligen Vorlage oder dem Material, das mir begegnet. Mit dieser Neugierde auf unterschiedliche Stoffe bin ich bislang recht gut gefahren, sei es beim Kino, beim Theater oder der Oper. Der Kontrast zwischen dem launigen Ich war noch niemals in New York und der klaustrophobischen Schachnovelle könnte kaum größer sein – genau das finde ich erfrischend.
Vom Lust-Prinzip zum Frust-Prinzip: Es gibt einen Regisseur, der sich über 40 Jahre lang mit „Brennendes Geheimnis“ von Stefan Zweig beschäftigte und verzweifelte. Wie groß ist die Ehrfurcht vor einem Autor, an dessen Verfilmung selbst ein Stanley Kubrick scheiterte?
Philipp Stölzl: Mein Mitleid hält sich in Grenzen bei einem Regisseur, der sein Leben lang nur Meisterwerke geliefert hat. Vor Kubrick kann jeder nur den Hut ziehen. In der Außensicht erzählt sich die Sache mit den Stoffen immer ein bisschen anders, als sie tatsächlich ist. Von zehn Stoffen, mit denen ich mich als Regisseur intensiv beschäftige, bleibt letztlich dann nur ein einziger übrig, den ich auch umsetze. Es gibt wahnsinnig viele Projekte, die man als gescheitert zurück in den Schrank stellt. Bei Kubrick lag die Quote sicher bei 50 zu 1!
Was halten Sie von der Verfilmung der „Schachnovelle“ aus den sechziger Jahren von Gerd Oswald mit Curd Jürgens und Mario Adorf?
Philipp Stölzl: Das ist eine recht solide, theaterhafte Verfilmung, die die Novelle ein bisschen nachbuchstabiert und mit einer Romanze anreichert. Jedenfalls ist es kein Meisterwerk à la Casablanca, bei dem jede Neuverfilmung überflüssig wäre. Für uns wird die kafkaeske Tonlage, die Zweig für seine Erzählung gewählt hat, zur entscheidenden Inspiration auf dem Weg des Stoffes auf die Leinwand. Der ständige Nebel gibt der Fahrt etwas Irreales, als wäre der Ozeanriese eine Totenfähre, die Passagiere nur Geister.
Um Schach geht es bei Ihnen kaum, eher um einen surrealen Trip der kafkaesken Art…
Philipp Stölzl: Schach ist eine schöne Metapher, aber um das Spiel selbst geht es ja auch in der Novelle kaum. Im Zentrum steht eine Figur, die in der weißen Folter zu Grunde geht. Der tragische Held wird bei der Emigration auf einem Schiff von seinem Trauma eingeholt. Gleichwohl haben wir uns beim Film durchaus die Mühe gemacht, ein plausibles Schachspiel auf hohem Niveau zu zeigen.
Wie viel Freiheit darf man sich bei einer Verfilmung nehmen? Mit der Figur, die Birgit Minichmayr spielt, führen Sie eine Frau ein, die es im Roman gar nicht gibt.
Philipp Stölzl: Die Freiheit der Kunst muss grenzenlos sein, das gilt für mich ganz grundsätzlich. Kunst darf erst einmal alles, nur wenn man Grenzen überschreitet, kann etwas Neues entstehen. Gerade bei der Verfilmung eines Klassikers stellt sich die Frage, was diesen überhaupt zu einem Klassiker macht. Worin liegt die Qualität, die über Generationen die Leser begeistert? Diesen Kern der Vorlage muss man finden und in der Verfilmung nachspüren.
Wie beschreiben Sie Ihre Absicht mit dem Film?
Philipp Stölzl: Unser Ziel war es, einen sinnlichen, intensiven Kinofilm zu gestalten, der ein breiteres Publikum anspricht mit einer überzeugenden Besetzung, einer dichten Inszenierung und einer starken Visualität, die die Leinwand wirklich ausfüllt. Der Kontrast zwischen der Klaustrophobie der Haft und der Weite des Schiffs, das durch den ewigen Nebel über den Atlantik nach Amerika stampft, schafft ein Spannungsfeld, in dem sich Zweigs literarische Metapher als große Geschichte erzählen lässt.
Wo sehen Sie heute die Aktualität der „Schachnovelle“?
Philipp Stölzl: Die Schachnovelle ist ein wahnsinniges Fanal für den Wert der alten, geistigen Welt. Sie erzählt, wie dünn die Hautschicht der Zivilisation ist und wie unmittelbar darunter die Barbarei liegt Der Film beginnt mit dem Anschluss Österreichs und handelt vom Leichtsinn und der Überheblichkeit jener alten Welt, die sagt: Diese Schreihälse in Deutschland werden sich schon an das Recht halten, was sich als fataler Irrtum herausstellt. In unserer Zeit, in der Dummheit, Barbarei und Populismus immer mehr zunehmen, kann Kino daran erinnern, nicht gleichgültig zu werden und Haltung zu bewahren.