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Die Farbe des Horizonts

| Jörg Schiffauer |

Überlebenskampf auf hoher See

Eben noch hätte das Leben für Tami Oldham nicht schöner verlaufen können. Die junge Frau hat ihre Heimat San Diego hinter sich gelassen, um die entferntesten Plätze der Welt zu bereisen. In Tahiti trifft sie den Engländer Richard, der mit seinem eigenen Segelboot unterwegs ist. Die beiden verlieben sich und beschließen, gemeinsam auf Segeltour zu gehen. Doch zuvor sollen die beiden noch eine mondäne Yacht nach Kalifornien überstellen, ein eigentlich angenehmer Job, der ihre geplanten Reisen finanzieren soll. Doch mitten in den Weiten des Pazifiks geraten sie in einen heftigen Sturm.

Tami, die das Bewusstsein verliert, erwacht am nächsten Morgen – mit dieser Szene beginnt Adrift, die Vorgeschichte wird mittels Flashbacks rekapituliert – an Deck eines schwer beschädigten Schiffs – und das allein. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, gelingt es ihr, Richard, den es während des Sturms über Bord gerissen hat, schwer verletzt zu bergen. Weitgehend auf sich allein gestellt, muss die junge Frau versuchen, das havarierte Schiff aus den Weiten des Ozeans herauszumanövrieren – eine wochenlange Odyssee beginnt.

Extremsituationen, die einen geradezu archaischen Kampf ums Überleben hervorbringen, sind ein wiederkehrendes Sujet in der Arbeit von Baltasar Kormákur. In dem in seiner isländischen Heimat produzierten The Deep rückte er die unglaubliche Geschichte eines Fischers, der entgegen aller Erfahrungswerte eine lange Zeit im eiskalten Wasser überstanden hat, in den Mittelpunkt. Everest – Kormákur war als Regisseur schon auf die Bühne großer internationaler Produktionen aufgestiegen – beleuchtet jene Katastrophe, die sich ereignete, als grenzerfahrungsgierige Amateurbergsteiger sich am höchsten Berg der Welt versuchten.

In Adrift, der wie die beiden genannten Filme ebenfalls auf einer wahren Begebenheit basiert, die sich im Jahr 1983 zugetragen hat, sieht sich die von Shailene Woodley mit intensiver Präsenz verkörperte Protagonistin mit einer Ausnahmesituation konfrontiert. Eine Lage, deren bedrohliche Authentizität noch dadurch verstärkt wird, dass viele Sequenzen von Adrift on location gedreht wurden und der Einsatz digitaler Effekte reduziert bleibt. Kormákurs Inszenierung präsentiert ihren einsamen Kampf gegen die Elemente nicht als pures Überlebensdrama, sondern als elegisch anmutenden Trip, der in seinem Grenzbereich für die Protagonistin Selbsterkenntnis – der Vergleich mit All at Sea drängt sich auf – mit sich bringt. Ein dramaturgisches Konzept, das sich als durchaus stimmig erweist und auch mit Hilfe eines erzähltechnischen Kniffs, der gegen Ende eine Überraschung bereithält, funktioniert.