Kevin Macdonalds beklemmender Politthriller „The Mauritanian“ verdeutlicht, warum der Umgang mit Grundrechten nicht der Beliebigkeit oder Zweckmäßigkeit preisgegeben werden darf.
Im politischen Diskurs hat sich der Begriff des „Narrativs“ in jüngerer Vergangenheit geradezu inflationär breit gemacht. Wer also laut Spindoktoren die bessere, griffigere „Erzählung“ zu kommunizieren versteht, bestimmt den Verlauf einer Debatte und dirigiert sie in die gewünschte inhaltliche Richtung. Einen kleinen Vorgeschmack, wie das funktionieren soll, erhält die Anwältin Nancy Hollander (Jodie Forster Interview), als sie das erste Mal ihren Klienten Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) aufsuchen darf, der auf dem US-Militärstützpunkt Guantanamo Bay interniert ist. Slahi wird beschuldigt, als Al-Quaida-Mitglied ein maßgeblicher Mitorganisator der Anschläge von 9/11 zu sein. Mit welch höchst gefährlichem Individuum man es hier zu tun hat, versucht die für die Bewachung zuständige Soldatin der Anwältin und ihrer Assistentin Teri Duncan (Shailene Woodley) vor Augen zu führen. Falls sich Slahi, der vermeintlich fanatische Moslem, auf die Frauen stürzt, sollten die beiden Anwältinnen einfach zurückweichen, die Aufseher befänden sich jederzeit in der Nähe, um rasch eingreifen zu können. Als Hollander und Duncan dann auf ihren Mandanten, der bereits mehrere Jahre ohne formelle Anklage auf Geheiß der Regierung der Vereinigten Staaten festgehalten wird, treffen, begegnet ihnen ein ruhiger, freundlicher Mann, der Deutsch und Französisch spricht, zudem in den Jahren der Inhaftierung auch Englisch ganz leidlich gelernt hat – und der Frauen als Zeichen der Geringschätzung nicht gleich einmal an die Gurgel geht, sondern ihnen zur Begrüßung höflich die Hand reicht. Nicht, dass sich die erfahrenen Juristin Nancy Hollander von Äußerlichkeiten oder Behauptungen leicht täuschen lassen würde, doch das Bild, das die US-Behörden von Mohamedou Slahi zu zeichnen versuchen, bekommt schon hier erste Risse.
Rechtsfreie Räume
Das auf wahren Begebenheiten basierende Schicksal von Mohamedou Ould Slahi, ist unter den 779 auf Guantanmo Bay Inhaftierten beileibe kein Einzelfall. Im November 2001 wurde Slahi in seiner Heimat Mauretanien wegen angeblicher Verbindungen zu Al-Quaida festgenommen, den US-amerikanischen Behörden übergeben, zuerst nach Jordanien, anschließend in ein Militärgefängnis in Afghanistan verbracht, ehe er schließlich in Guantanamo Bay jahrelang festgehalten wurde – ohne formell angeklagt oder vor Gericht gestellt zu werden. Kevin Macdonald hat sich im Verlauf seiner Karriere wiederholt mittels dokumentarischer oder fiktionaler Regiearbeiten mit brisanten – zu einem erheblichen Teil zeitgeschichtlichen – Stoffen befasst. Die dokumentarische Regiearbeit One Day in September (1999) rekapituliert die Geiselnahme und Ermordung israelischer Sportler während der Olympischen Spiele in München durch ein palästinensisches Terrorkommando; in My Enemy’s Enemy (2007) setzt sich Macdonald mit dem Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie auseinander, während er in dem auf realen Ereignissen fußenden The Last King of Scotland (2006) die Schreckensherrschaft von Idi Amin in Uganda in den siebziger Jahren thematisierte. Der fiktionale Politthriller State of Play (2009) – mit Russell Crowe und Rachel McAdams in den Hauptrollen – betont die Bedeutung der Medien als vierte Gewalt in einem funktionierenden demokratischen System. Mit seiner neuen Regiearbeit, The Mauritanian, setzt Macdonald ein schnörkelloses, streckenweise betont nüchternes, höchst präzises Polit-Drama in Szene, das klassisches Message-Cinema in bestem Sinn repräsentiert.
Nun herrscht mittlerweile ein einigermaßen breiter Konsens darüber, dass die Vereinigten Staaten in ihrem „War on Terror“ die Glacéhandschuhe recht bald ausgezogen haben und rechtsstaatliche Prinzipien dabei wiederholt auf der Strecke geblieben sind. Das juristische Manöver, Terrorverdächtige mit dem Status als „ungesetzliche Kombattanten“ zu versehen, um so die Missachtung von Grundrechten rechtfertigen zu können, erscheint als offensichtlichste Fragwürdigkeit. (Michael Moore hat übrigens bereits in Fahrenheit 9/11 auf seine gewohnt bissig-satirische Art die weniger drastischen, absurden – wenn auch nicht harmlosen – Seiten von Grundrechtsverletzungen, die nahezu jeden Bürger treffen konnten, aufgezeigt). Dass die auf Guantanamo geübte Praxis fragwürdig – um es einmal zurückhaltend zu formulieren – erscheint, hat sich offenbar bis ins Weiße Haus herumgesprochen, dachte doch Barack Obama ernsthaft darüber nach, das dortige Internierungslager zu schließen – ein unvollendetes Projekt, dessen Durchführung Joe Biden nun bis ans Ende seiner Amtszeit umzusetzen gedenkt.
Man könnte also die Geschichte des Mohamedou Ould Slahi als eine jener rechtsstaatlich höchst bedenklichen Angelegenheiten ansehen, die in Guantanamo Bay nicht unter der Rubrik „Einzelfall“ abgelegt werden können – von den bereits erwähnten 779 Insassen wurden, wie ein Insert am Ende von The Mauritanian verkündet, gerade einmal acht wegen eines Verbrechens verurteilt – drei dieser Urteile wurden in Berufung wieder aufgehoben. Doch ganz so einfach stellt Kevin Macdonalds Inszenierung die Sache nicht dar. Anhand von Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), jenem US-Offizier, der die Anklage vorbereiten soll, wird eine Ebene eingezogen, die auf die ambivalente Seite des Falls verweist. Couch, der zunächst Nancy Hollanders Gegenpol repräsentiert, kann durchaus gewichtige Verdachtsmomente präsentieren: Slahi hatte sich etwa in den neunziger Jahren den Mudschahedin in Afghanistan in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Besatzer angeschlossen, während seiner Studienzeit in Deutschland hatte einer der 9/11-Attentäter bei ihm übernachtet. Das alles mag samt anderen nicht unerheblichen Indizien durchaus suspekt erscheinen, doch es bleiben letztendlich eben nur Indizien.
Grundsatzfragen
Doch die Frage der Schuld steht nicht im Zentrum von The Mauritanian, auch Nancy Hollander setzt sich damit nicht primär auseinander. Vielmehr fordert die Anwältin auf der Grundlage von Habeas Corpus – jenem Jahrhunderte alten Prinzip, das eine der Grundlagen für den Rechtsstaat moderner Prägung bildet – ein Verfahren für ihren Mandanten innerhalb eines angemessenen Zeitraums, und wenn eine solche Anklage nicht erhoben wird, eben seine Freilassung. Eine Aufweichung fundamentaler Grundrechte wie etwa in Sachen Habeas Corpus erscheint Hollander als fatales Signal, auch wenn man gute Gründe – wie das Argument, man wolle ein zweites 9/11 samt tausenden Toten verhindern – dafür zu haben glaubt. Dass es dabei um weit mehr geht als um ihren Mandanten, macht sie ihrem Kontrahenten Stuart Couch klar: „I’m not just defending him, I’m defending the rule of law.“ Wie recht die Anwältin damit hat, wird sich im Verlauf ihrer Recherchen, bei denen sie zahlreiche, teils wahnwitzige Behinderungen von Seiten der Regierung erfahren wird, erweisen. Das erste Aufweichen der Rechtsstaatlichkeit mit dem unbefristeten Festhalten ohne Anklage von Verdächtigen mündete bekanntermaßen bei vielen Inhaftierten auf Guntanamo Bay in jenem Prozedere, dass in finsteren Epochen der Menschheitsgeschichte als „hochnotpeinliche Befragung“ firmierte – als hätte man die Zeit der Aufklärung und aller bürgerlichen Revolutionen beiseite geschoben, um wieder in die Barbarei zurückzufallen.
Kevin Macdonald betreibt dabei jedoch kein ungeachtet aller Kritikpunkte plumpes US-Bashing, seine kluge Inszenierung verweist vielmehr auf die universelle Gültigkeit der Argumentationslinie. Dazu trägt entscheidend die nuancierte Charakterzeichnung der Protagonisten bei: Nancy Hollander – Jodie Foster liefert dabei eine der allerbesten Leistungen im Verlauf ihrer illustren Karriere ab – erscheint in ihrem kühlen, unnahbaren, zeitweilig harschen Auftreten nicht als Sympathieträgerin gängigen Zuschnitts, sie erweist sich in ihrer beharrlichen Unnachgiebigkeit jedoch als jener Typ von Anwältin, die man als Beschuldigter als letzte Bastion gegen die geballte Staatsmacht an der Seite haben möchte. Stuart Couch wiederum muss nicht dem oft strapazierten Klischee des sturschädeligen Militärs, der seinem Befehl auf Biegen und Brechen folgt, entsprechen. Der Offizier wird erkennen, dass der schlampige oder situationselastische Umgang mit unverrückbaren Rechtsprinzipien niemals der Sicherheit des Staates dienen kann, sondern im Gegenteil diesem Staat – und seinen demokratischen und rechtsstaatlichen Werten – letztendlich unermesslichen Schaden zufügt. Nancy Hollander formuliert das mit einem Schuss Sarkasmus: „Constitution doesn’t have an asterisk at the end that says: terms and conditions apply.” Den Satz wird man sich angesichts des allerorts um sich greifenden variablen Umgangs mit Grundrechten merken müssen.