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ImPulsTanz-Festival

Die Katze tanzt

| Marie Ketzscher |
Der renommierte US-amerikanische Choreograf und Tänzer Trajal Harrell ist mit zwei Performances beim Wiener ImPulsTanz-Festival zu Gast. Ein Gespräch über Vogueing, die Wichtigkeit, Gefühle zuzulassen und über seine Auszeichnung als „Tänzer des Jahres“.

Das Dienstpersonal widersetzt sich den Erwartungen. Das Sofakissen wird nicht ausgeschüttelt, sondern als Accessoire geschultert. Und auch die Tagesdecke wird nicht etwa geglättet, sondern als Umhang über dem Arm drapiert. So ausstaffiert setzt sich das Personal langsam, rhythmisch, gekonnt in Bewegung. Eine Bühne ist schließlich ein Laufsteg – oder etwa nicht? Schon in den ersten Minuten von Trajal Harrells „Maggie the Cat“ zeigt sich, dass das Stück wenig narrative Bezüge zur literarischen Grundlage von Tennessee Williams’ „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1955) oder Richard Brooks’ Verfilmung (1958) herstellen wird. Und sich eher eklektisch spezifischer Ingredienzen bedient. Es ist eines von zwei Werken, das der weltweit gefeierte 48-jährige afroamerikanische Choreograph und Tänzer Harrell zur diesjährigen 37. Ausgabe des ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival mitbringt, das vom 15. Juli bis 15. August in Wien stattfindet.

„Maggie the Cat“ gehört zur Trilogie „Porca Miseria“, in der sich Harrell drei „Schlampen“ (das englische „bitches“ ist emanzipatorischer, performativerer Natur als seine unschöne deutsche Entsprechung), also drei Frauenfiguren, und ihren sozialen Milieus widmet. Neben der Literatur/dem Film nimmt Trajal Harrell auch die griechische Antike („Medea“) und den Tanz selbst in den Blick („The Deathbed of Katherine Dunham“). Die „bitch“ in „Maggie the Cat“ ist Maggie, im Filmklassiker von Elizabeth Taylor verkörpert. Sie hat reich geheiratet, aber Ehe und Familienvermögen drohen durch den Alkoholismus ihres Mannes (Paul Newman) das Aus. Im Gegensatz dazu ist Harrells „Maggie the Cat“ weder eine liebeskranke, hysterische Furie noch eine selbstbewusste, leidenschaftliche Kämpferin, die sich gegen die Erkenntnis wehrt, dass ihr Mann sich betrinkt, weil er eigentlich seine Homosexualität unterdrückt. Stattdessen ist sie ein körperloser Mythos, der von Harrell selbst und seiner langjährigen Projektpartnerin Perle Perlombe am Bühnenrand rappend und singend beschworen wird, um dann als kollektive Energie des aus aus zehn Tänzerinnen und Tänzern bestehenden Ensembles voguend in Erscheinung zu treten.

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Als Vogueing bezeichnet man die „Bewegungssprache“ (nach Theaterwissenschaftlerin Jutta Krauss) des exaltierenden Bewegens und des aus der Modefotografie entlehnten Posierens, die sich in den sechziger Jahren aus der vor allem afroamerikanisch und lateinamerikanisch geprägten LGBTQ+-Ballroom-Community in Harlem entwickelt hat. Historisch reichen die Ursprünge allerdings noch bis zur Jahrhundertwende zurück – oder vielleicht sogar bis zu Louis XIV., wie Harrell selbst sagt. Der Ballroom fungierte als Safe Space jenseits der Mehrgesellschaft – und das Vogueing als Wettbewerb auf Augenhöhe, der Geschlechterkategorien und Rassenkategorien aufbrach. Obgleich Madonnas „Vogue“-Video 1990 das Vogueing auch auf den Radar des Mehrheitspublikums katapultierte, blieb die Kultur der Ballrooms lange ein subkulturelles Community-Phänomen. Trajal Harrell gilt als der Mann, der es für die großen Kulturbühnen fruchtbar gemacht hat. Wobei er sich explizit nicht als Repräsentant der Vogueing-Szene versteht, sondern als jemand, der sich dem Tanz durch die theoretische Beschäftigung mit dem Vogueing nähert. Wie kam er zu diesem, seinem Stil? Harrell sagt, dass die Grundsteine vor ein paar Jahren, nach seiner Ausbildung, gelegt wurden: „Konzeptioneller Tanz war damals sehr angesagt. Und irgendwann haben wirklich alle versucht, so zu arbeiten wie Jérôme Bel und Xavier Le Roy (Anm.: Vertreter des konzeptionellen Tanzes). Ich bewundere sie als Künstler sehr, aber wollte sie nicht einfach nachahmen.“
Zum ersten Mal verdichtete er diese Erkenntnisse 2013 publikumswirksam und umjubelt mit seiner vom MOMA in Auftrag gegebenen Reihe „Judson Church Is Ringing in Harlem (Made-to-Measure)“ / „Twenty Looks or Paris Is Burning at The Judson Church (M2M)“, die Vogueing und das Judson Dance Theater der sechziger Jahre – das die Ära des postmodernen Tanzes einläutete – einander gegenüberstellte. Zu Harrells spezifischer Bewegungsästhethik gesellte sich über die Zeit ein weiteres Merkmal: das Zulassen von Emotionen. „Gefühle sind ein wichtiger Teil meiner Kunst“, sagt Harrell dazu. Als er einmal bei einer Probe weinen musste, entschied er sich, Emotionen stärker im künstlerischen Prozess zuzulassen.
Negative, aber auch positive.
„Maggie the Cat“ sei definitiv positiver, heiterer als andere seiner Werke, sagt Harrell, auf die unterhaltsame Stimmung des Stücks angesprochen. Der Humor käme aber nicht von ungefähr, schließlich sei er eine Art historisch gewachsenes Tool der afroamerikanischen Bevölkerung: „Humor ist eine der Strategien, die Schwarze nutzte(n), um mit der himmelschreienden Diskriminierung umzugehen. Dazu gehört auch das Spiel mit der Sprache, mit der Performativität von Blackness.“ So wollen Harrell und auch das Programmheft das Stück nämlich verstanden wissen: In „Maggie the Cat“ befreien sich die Hausangestellten, die im Film höchstens drei Sätze sagen, aus ihren Statistenschubladen, indem sie den Charakter Maggie performen, voguen. Und doch wird das Körperbetont-Lustvolle, das als unterdrückte Begierde im Film ständig präsent ist, mittransportiert – Maggies unerfüllte Sehnsucht nach ihrem Mann. Ein Stück, das also Medien- und Gesellschaftskritik, aber auch Hommage sein möchte. Kein Paradoxon für Harrell: „Die Angestellten sehen, dass sie mit Maggie einiges gemein haben. Maggie gehört schließlich auch nicht zur herrschenden Klasse; sie ist jemand, der gesellschaftlich aufsteigen möchte. Und sie beobachten, wie sich Maggie in diesem Kampf schlägt. Man könnte sagen: Sie wollen unbedingt, dass sie es schafft.“

 

Harrell freut sich, dass die Kunstform des Vogueing nicht zuletzt durch die Serie Pose von Ryan Murphy und Brad Falchuk auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht wird. Aber bedeutet diese steigende Aufmerksamkeit nicht auch zwangsläufig das Ende der Subversion, die dem Vogueing innewohnt, und das Ankommen im Mainstream? Eine Frage, die sich auch angesichts seines zweiten bei ImPulsTanz vertretenen Stückes, „Dancer of the Year“, stellt. Mit dem autobiografischen Solo verarbeitet Trajal Harrell den Schock und die dann einsetzende Freude über seine Auszeichnung als „Tänzer des Jahres“ in „tanz – Zeitschrift für Ballett, Tanz und Performance“ 2018. Damit gerechnet habe er überhaupt nicht, zumal das Magazin eigentlich recht klassische Tänzerinnen und Tänzer, meist aus dem Ballett, auszeichne. Aber es sei eine große Bestärkung gewesen, die mit seiner Beschäftigung mit Butoh zusammenfiel: „Mit Ohno Kazuo habe ich für mich die Prinzipien des Tanzens entdeckt, die mir heute wichtig sind – er verkörpert sie. Durch diese Entdeckung bin ich erst richtig zum Tänzer geworden, äußerlich und innerlich. Jetzt kann ich bestimmt sagen, dass ich nicht nur Choreograf bin, sondern auch Tänzer. Darum geht es in „Dancer of the Year“: Diese beiden Identitäten anzunehmen, darauf stolz zu sein.“

Dass Trajal Harrell inzwischen vielleicht doch Teil des Kanons ist, den er mit seinem Stil kritisch unter die Lupe nimmt, zeigt nicht zuletzt sein Engagement als einer der Hausregisseure am Schauspielhaus Zürich. Die renommierte Bühne in der doch eher beschaulichen Weltstadt ist vielleicht nicht die erste Institution, die man mit Harrells Arbeit in Verbindung bringen würde. Nicht umsonst war er einer der Choreografen, mit denen Chris Dercon in seiner kurzen Zeit an der Berliner Volksbühne mit Fokus auf Theater, Tanz und Event zusammenarbeiten wollte. „Maggie the Cat“ sollte eigentlich hier 2018 uraufgeführt werden. Doch in Zürich fühlt sich Harrell wohl und gut aufgenommen, attestiert der Stadt eine große Lust auf Kultur. Die Aufführung und kontinuierliche Wiederaufführung seiner Werke hält Harrell im Übrigen für essenziell: „Am besten lernt man das eigene Stück kennen, wenn man es performt. Und erst, wenn ich ein Stück zwei Jahre lang perfomt habe, gibt es sein Geheimnis preis.“ Es wird spannend sein, welche neuen Erkenntnisse und Geheimnisse sich Trajal Harrell, seinem Ensemble und auch den Wiener Zuschauerinnen und Zuschauern im Juli erschließen.