Fernab von Wien drehte Adrian Goiginger seinen autobiografischen Film "Die beste aller Welten" in Salzburg, im Salzburger Dialekt und mit Salzburger Darstellern. Es hat sich gelohnt.
Der erst 26-jährige Salzburger Adrian Goiginger, der derzeit Regie an der Filmakademie Baden – Württemberg studiert, hat es mit seinem Debütfilm Die beste aller Welten geschafft, seine eigene Geschichte als Kind im Salzburger Drogenmilieu in einen der berührendsten und interessantesten österreichischen Filme der letzten Jahre zu verpacken. Im Interview erklärt er, warum dieser Film im Dialekt gedreht werden musste, wie viel Spaß es macht, mit unverbrauchten Schauspielern zu arbeiten und was die einzig wichtige Frage ist, die sich ein Regisseur stellen muss.
Der Film beschreibt mit einem enormen Detailreichtum den Alltag des siebenjährigen Adrian, der mit seiner Mutter Helga und seinem Stiefvater in einem Sozialbau in der Salzburger Peripherie lebt. In ihrer versifften Wohnung treffen sich regelmäßig die Heroin-Junkies der Gegend, um sich einen Schuss zu setzen, zu saufen oder vor dem Fernseher abzuhängen. Helga hängt selbst an der Nadel, tut aber alles, um ihrem sensiblen, intelligenten Sohn eine möglichst behütete Kindheit unter diesen schwierigen Umständen zu bieten. Inmitten erfolgloser Entzugsversuche, Machtspielen der Junkies (in der wohl schockierendsten Szene zwingt einer von ihnen Adrian nach einem verlorenen Armdrücken, Alkohol zu trinken, und mit dieser kurzen Sequenz erzählt der Film mehr über die kindliche Gefühlswelt von Junkies als viele Bücher) und Helgas Angst, ihren Sohn an die lästigen Behörden zu verlieren, inszeniert Adrian eine Traumwelt, in der er zusammen mit seiner Mutter scheinbar übermächtige Monster besiegt.
Diese etwas redundanten Phantasie-Szenen sind dann schon das einzige kleine Manko eines ansonsten immens dichten, beinahe dokumentarischen Films, der es mühelos schafft, weder in rührseligen Kitsch zu verfallen noch in einen Sozialporno abzudriften,was beides durchaus im Stoff angelegt wäre. Das liegt nicht nur an den herausragenden Darstellern, allen voran Verena Altenberger, die die schwierige Aufgabe, die Junkie-Mutter zu spielen, mit Bravour löst, und Jeremy Mifkin, einem beim Dreh wirklich erst siebenjährigen Naturtalent, sondern auch am ambivalenten Ansatz des Regisseurs, der das Drogenmilieu weder kritisiert noch verharmlost, der nicht psychologisiert, sondern sehr einfühlsam allen Figuren gegenüber einfach zeigt, dass die Liebe zwischen Mutter und Sohn (beinahe) alle Widerstände überwinden kann.
Für jemanden wie mich, der sich kaum an seine Kindheit erinnert ist es absolut faszinierend so einen selten im Kino zu findenden Detailreichtum einer ganz eigenen Welt zu sehen. Haben Sie irgend etwas vom Erlebten irgendwann aufgeschrieben oder sind das alles Erinnerungen, die einfach immer abrufbar sind, auch noch 20 Jahre später?
Adrian Goiginger: Eigentlich sind die meisten und wichtigsten Erinnerungen tatsächlich alle abrufbar. Das geht bei mir zurück bis in den Kindergarten. Für die vielen Details haben mir dann die Fotos und Tagebucheinträge meiner Mutter und meines Stiefvaters geholfen. Der letzte Baustein in der Recherche waren die Gespräche mit den Zeitzeugen, vor allem mit meinem Stiefvater, der jetzt als cleaner, „normaler“ Mensch sehr reflektiert über seine Zeit als Junkie berichten kann. Dadurch hat sich dann ein ziemlich schlüssiges Bild von der Welt, in der ich als Kind gelebt habe, ergeben. Und diese Welt hab ich dann versucht, so genau und detailliert wie möglich wiederzubeleben.
Wie schwer war es, beim Drehbuchschreiben die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zum Erzählten zu finden?
Nicht nur während des Drehbuchschreibens, sondern auch beim Proben, Drehen und Fertigstellen des Films, habe ich versucht, keine Distanz zuzulassen. Natürlich habe ich trotzdem immer wieder die Ereignisse dramaturgisch verdichtet, damit ein kohärentes Drehbuch mit einer Sogwirkung entsteht. Es war mir beim Drehbuchschreiben möglich, immer voll in dieser Welt zu stecken und trotzdem regelmäßig rauszuspringen, mich in den gedanklichen Kinosessel zu setzen und mich zu fragen: „Gefällt mir was ich da sehe?“ Wenn die Antwort „Nein“ lautete, dann habe ich halt so lang getüftelt, bis es mir in meiner Vorstellung gefallen hat. Eigentlich ist das die einzige Frage, die sich ein Filmemacher stellen muss.
Mich hat vor allem die Ambivalenz fasziniert, mit der das Milieu beschrieben wird. Man schwankt ständig zwischen Ablehnung, Mitleid und Verständnis. War das Teil des Konzepts, dass man diese für den Durchschnittskinogeher doch sehr fremde Welt weder verteufelt, aber auch nicht verharmlost?
Das kommt, glaube ich, aus einer grundsätzliche Sichtweise auf das Leben. Kein Thema, kein Konflikt oder kein Milieu ist einfach nur mit „gut“ oder „schlecht“ zu beschreiben. Das ist zu wenig und führt im Endeffekt zu Populismus und totalitären Systemen. Wie in Orwells „1984“, wo alles nur mehr als „good“ oder „ungood“ beschrieben wird. Und selbst eine Kindheit im abgewracktesten Drogenmilieu hat ihre guten Seiten. Die Freiheit, die Verbundenheit mit der Natur, die vielen menschlichen Emotionen, das Loslösen vom Weltlichen (was ja der allgemeine Sinn von Drogen ist). Filme und Geschichten, die einseitig erzählt sind und die Themen und Personen nicht ernsthaft und im besten Fall widersprüchlich behandeln, langweilen mich zu Tode. Man will ja als Kinogeher überrascht, schockiert und begeistert werden. Und das geht nur, wenn man etwas Neues präsentiert kriegt, was die persönliche Weltanschauung in Frage stellt. Ich traue es jedem Menschen zu, sich dann selbst eine Meinung darüber zu bilden. Der Film soll nicht alle Fragen über das (Drogen-)Leben beantworten, aber hoffentlich einige nachhaltige Fragen stellen.
Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist zweifellos das Herz des Films. War das von Anfang an klar, schon als Se die erste Idee entwickelten? War auch schon immer klar, dass aus der Sicht des Kindes erzählt wird? Theoretisch könnte man auch die Perspektive der Mutter einnehmen oder wechseln, wobei ich glaube, dass genau diese Kinderperspektive den Film so außergewöhnlich macht.
Die Welt, in der der Film spielen sollte. war mir schon immer klar. In der ersten Version war die Mutter jedoch nur eine Nebenfigur, und es ging viel mehr um den kleinen Adrian und wie er langsam aber sicher auf die schiefe Bahn gerät. Das wär dann sowas wie La Haine in Salzburg mit siebenjährigen Kindern gewesen. Zigaretten rauchen, Eltern bestehlen, Mitschüler verprügeln und alles, was man sonst noch in einer sozialen Brennpunktsiedlung erlebt. Das war Facette meiner Kindheit, die ich im Film jetzt nur streife. Im Laufe der Drehbuchentwicklung hab ich gemerkt, dass der spannendste innere Konflikt in der Mutter liegt. Sie schafft es, trotz ihrer Depression und Abhängigkeit, die beste Mutter der Welt zu sein. Deswegen hab ich beschlossen, die Geschichte der Mutter aus der Sicht des Kindes zu erzählen.
Ergab sich der visuelle Stil aus dieser kindlichen Perspektive oder gab es noch andere Gründe für die sehr bewegliche Kameraarbeit?
Die kindliche Perspektive gab definitiv vor, wie die Kamera zu sein hatte. Relativ niedrig, unabhängig, dynamisch. Wenn sich ein Kind langweilt, dann schaut es weg, lässt die Augen schweifen bis es etwas Interessantes erspäht. So haben wir die Kamera angelegt. Wir drehten auch nur on location, weil es uns wichtig war, dass die Kamera jederzeit 360° aufnehmen kann. Da ich nicht streng nach Drehbuch inszeniert habe, sondern den Schauspielern immer den Freiraum und die Möglichkeit gegeben habe, zu improvisieren, war das notwendig.Den Kameramännern war es zum Beispiel sehr wichtig, dass Jeremy Miliker in einem Take ungeplant aufstehen und in ein anderes Zimmer gehen kann.
Wie wichtig war ihnen die Authentizität des Gezeigten? Spielte es auch eine entscheidende Rolle, im Dialekt zu drehen?
Die Authentizität geht bei mir über alles. Nicht etwa, weil ich ein Purist oder insgeheim ein Dokumentarfilmer bin, sondern weil ich als Kinobesucher nur mitgerissen werde, wenn ich spüre, dass die Geschichte authentisch ist. Und ein wesentlicher Teil der Authentizität ist nunmal die Sprache. Deswegen kann ich auch keine synchronisierten Filme ansehen. Es war von vornherein eine unverhandelbare Bedingung, dass im Salzburger Dialekt gedreht wird. Im Endeffekt war es auch die richtige Entscheidung, da gerade in Deutschland viele Besucher sagen, dass es dadurch unheimlich echt und real wirkt. Es ist meiner Meinung nach ein österreichischer Irrglaube, dass ein Film im gemäßigten Österreichisch/Hochdeutsch im deutschsprachigen Raum mehr Erfolg hat.
Das ist auch im besten Sinne ein Schauspielerfilm, denn man kann sich nachher kaum jemand anderen in den Hauptrollen vorstellen. Wie lief das Casting, und wie war die Vorbereitung auf den Dreh?
Verena Altenberger stand schon sehr früh fest, noch bevor der Film überhaupt finanziert war. Sie war zwar eine noch weitgehende unbekannte Newcomerin, aber ich sah das eher als großen Vorteil an. Ich liebe neue Gesichter im Film, und es macht total viel Spaß mit unverbrauchten, talentierten Schauspielern wie Verena zu arbeiten. Leider trauen sich Produzenten und Sender dieses Risiko oft nicht einzugehen – ich finde, es lohnt sich. Für die Rolle des Adrian haben wir gut zwei Monate gecastet und uns rund 200 Kinder angesehen. Es brauchte dann fünf Castingrunden, bis Jeremy als Adrian feststand. Das Entscheidende war seine Fähigkeit, sich in fiktive Situationen emotional hineinzuversetzen. Das ist eine Gabe, die nicht viele haben, und meiner Meinung nach bei Kindern die einzige Möglichkeit, um sie zu guten Leistungen zu bringen – sie haben ja noch keine Technik, mit der sie fehlendes Talent kaschieren können. Insgesamt haben wir dann noch ungefähr ein halbes Jahr geprobt. Das war sehr wichtig, damit Verena und Jeremy wirklich ein authentisches Paar werden. Meistens hab ich extra Szenen geschrieben oder Situationen vorbereitet, und die beiden haben dann gespielt. Mit jedem Mal ist es dann weniger spielen und mehr „sein“ geworden. Am ersten Drehtag waren die beiden dann wirklich ein Herz und eine Seele. Was toll war, denn ich wusste von vornherein, dass der Film mit einer glaubhafen Liebesbeziehung zwischen der Mutter und dem Sohn stehen oder fallen wird.
So ein persönlicher Film weit weg vom filmischen Zentrum Wien von einem sehr jungen Regisseur ist sicherlich nicht einfach zu finanzieren. Welche Schwierigkeiten mussten da überwunden werden?
Das Wichtigste war, einen Produzenten zu finden, der an mich und das Projekt vollkommen glaubt. Mit Wolfgang Ritzberger bin ich da zum Glück schon früh an genau diesen visionären und idealistischen Produzenten gekommen. Als er dann einen Finanzierungsplan gemacht hat, war sofort klar, dass alles mit einer Herstellungsförderung des ÖFI steht oder fällt. Die ersten beide Male wurde unser Film abgelehnt. Dann wurde mir schon von verschiedenen Seiten (nicht von Wolfgang Ritzberger!) geraten, ich solle das Projekt bleiben lassen und mir einen neuen Stoff suchen. Für mich hat jedoch die zweite Absage eine „Jetzt erst Recht!“-Reaktion hervorgerufen und ich hab einen dreiminütigen Teaser zum Film gedreht. Natürlich habe ich auch das Drehbuch nochmal überarbeitet und das Konzept ausgebaut, und im Endeffekt hat dann der Teaser bei der nächsten Förderungseinreichung den Unterschied zu unseren Gunsten gemacht. Nach der Zusage beim ÖFI war es zwar kein Selbstläufer, aber die Türen waren einen Spalt breit offen.
Das nächste Projekt ist wahrscheinlich etwas weiter weg von Ihrem eigenen Leben, obwohl es extrem spannend wäre, so à la Truffaut zu beobachten, wie es mit dem Jungen weitergeht?
Das stimmt. Wo Die beste aller Welten aufhört, fängt ja eine komplett neue Geschichte an. Für mich ist sie aber abgeschlossen, und ich schließe vollkommen aus, da nochmal weiter dran zu spinnen. Eventuell könnte ich mir vorstellen, einmal einen Film über eine drogenabhängige 17-Jährige zu machen, die schwanger wird (sozusagen ein Prequel, die Vorgeschichte von Helga in dem Film), aber mein nächstes Projekt wird definitiv in einer ganz anderen Welt spielen. Schließlich will ich ja nicht als Drogen-Regisseur abgestempelt werden. Es reicht schon, dass ich das Drogenkind bin (lacht).