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Die Kunst, sich die Schuhe zu binden

| Alexandra Seitz |

Auf die harte Tour muss Luftikus Alex lernen, was Verantwortung bedeutet. Erst verliert er seinen Job am Theater, dann schmeißt ihn seine Freundin – und Mutter der gemeinsamen Tochter – aus der Wohnung. Schließlich vermittelt ihn das Arbeitsamt auch noch in die tiefste Provinz, als Betreuer in eine Einrichtung für geistig Behinderte. Doch dort helfen Ebbe, Leif, Katarina, Kristina, Filippa und Kjell-Åke, die Klienten mit der etwas anderen Art der Weltwahrnehmung, dem vergleichbar realitätsuntauglichen neuen Betreuer aus seinem bis dahin bewohnten Wolkenkuckucksheim herunter auf den Boden der Tatsachen. Und gemeinsam geht man sodann daran, die Wirklichkeit den eigenen Wunschvorstellungen anzupassen. Das freilich ist leichter gesagt als getan, wenn einem niemand auch nur die kleinste Kleinigkeit zutraut.

Dass die Menschen, ihrer Unterschiedlichkeit zum Trotz, voneinander lernen können, dass man mithin nicht behindert ist, sondern behindert wird, diese propagandistische Idee, die in Lena Koppels Die Kunst, sich die Schuhe zu binden verfochten wird, ist so simpel wie allgegenwärtig. Dass sie knapp unterhalb der Penetranzgrenze bleibt, ist der Überzeugungskraft der Darsteller geschuldet. Schließlich geht es nicht um ein abstraktes Konzept, sondern um deren Leben. Denn erzählt wird hier von den Anfängen des schwedischen Behinderten-Theaters Glada Hudik, das 1996 vom damaligen Betreuer Pär Johansson gegründet wurde – der das Drehbuch mitverfasste, während die Ensemble-Mitglieder sich selbst spielen.
Mittlerweile hat Glada Hudik mit acht Produktionen und einem Gastspiel am New Yorker Broadway eine beachtliche Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Doch zu Beginn waren die Widerstände der so genannten Normalen gegen das Unterfangen der so genannten Behinderten groß. Insbesondere die Angehörigen fürchteten, ihre Schutzbefohlenen wie dermaleinst Side-Show-Attraktionen dem Hohn und Spott von Voyeuren preisgegeben zu sehen. Und freilich wandert das Publikum des Behinderten-Ensembles im Film wie vor der Leinwand auf einem schmalen Grat zwischen mitleidiger Gönnerhaftigkeit und echter Anerkennung. Das verursacht Unwohlsein – das allerdings verschwindet, wenn man sich an die Antwort erinnert, die Alex von seinen Klienten auf die Frage erhält, was diese denn gerne mal unternehmen würden: Jeder würde mit ihnen immer nur machen, was er wolle, und zur Abwechslung hätten sie gerne einfach mal Spaß.