Mit „In Liebe, Eure Hilde“ beleuchtet Andreas Dresen wirklichen Mut in finsterster Zeit.
Am Anfang hat das Grauen ein beinahe freundlich anmutendes Gesicht. Als Hilde Coppi im September 1942 wegen Aktivitäten, mit denen sie und eine Gruppe von Freunden sich dem nationalsozialistischen Regime widersetzt hatten, verhaftet wird, verläuft diese Festnahme betont ruhig. Einer der Beamten ist sogar ausgesucht höflich, er trägt ihren Koffer, in den die hochschwangere Hilde ein paar Habseligkeiten einpacken durfte. Auch das erste Verhör verläuft in sachlichem Ton. Doch als die junge Frau versucht, die Anschuldigungen zurückzuweisen, wird einer ihrer ebenfalls verhafteten Mitkämpfer in den Raum gebracht. Dessen blutig geschlagenes Gesicht macht deutlich, welche Gangart die Schergen des Regimes einschlagen und spätestens jetzt weiß Hilde Coppi, dass ihre Befürchtungen für den Fall einer Entdeckung grausame Realität geworden sind.
EINE FRAGE DES GEWISSENS
Anhand der Biografie von Hilde Coppi widmet sich Andreas Dresen mit In Liebe, Eure Hilde einem Kapitel des Auflehnens gegen den Nationalsozialismus, das bislang nicht unbedingt ebenso im Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses stand wie etwa der militärische Widerstand. Hilde Coppi und ihr Mann Hans gehörten zu einer Widerstandsgruppe, die als die „Rote Kapelle“ Bekanntheit erlangte. Wobei mit der Einordnung ein auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fortwährendes Missverständnis Platz gegriffen hat. Der Terminus Rote Kapelle geht nämlich auf die Gestapo zurück, die damit ein von der Sowjetunion gelenktes Netzwerk, das weit verzweigt Spionage betrieb, bezeichnete. Rot stand dabei für kommunistisch, unter Kapelle verstand man im Jargon der Politischen Polizei des Nazi-Regimes eine Gruppe von Pianisten, was wiederum ein Synonym für Funker war. Mit dem Namen beabsichtigte die Gestapo das Feindbild einer mächtigen, zentral gelenkten Organisation in die Welt zu setzten. Allein, das war, wie so vieles in der Zeit des Nationalsozialismus, Propaganda, denn der vermeintliche Spionagering hat in dieser behaupteten Form nicht existiert. Vielmehr handelte es sich um mehrere Gruppen, in denen Menschen zusammengefunden hatten, die entschlossen waren, in unterschiedlichen Formen Widerstand gegen ein unmenschliches Regime zu leisten. Diese Gruppen operierten unabhängig voneinander. Obwohl vereinzelt Kontakte zu sowjetischen Nachrichtendiensten bestanden, fand eine behauptete zentrale Steuerung durch die Sowjetunion nicht statt. Das mag auch daran gelegen haben, dass sich die Mitglieder, was ihren persönlichen Hintergrund angeht, als höchst unterschiedlich darstellten – eine Heterogenität, die veranschaulicht, dass die der Roten Kapelle Zugehörigen einen Querschnitt der Bevölkerung des Deutschen Reichs repräsentierten.
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Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand charakterisiert die Rote Kapelle wie folgt: „Durch persönliche Kontakte entsteht 1940/41 ein loses Netzwerk von sieben Berliner Widerstandskreisen. Ihnen gehören mehr als 150 Gegner des Nationalsozialismus ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft und weltanschaulicher Traditionen an: Studenten, Künstler, Publizisten und Verwaltungsbeamte, unter ihnen viele Frauen.“
Zu jener Berliner Gruppe, der sich Hilde und Hans Coppi angeschlossen hatten, zählten etwa der Publizist Harro Schulze-Boysen, im Zweiten Weltkrieg Oberleutnant bei der Luftwaffe, ein Großneffe des Admirals Alfred von Tirpitz und seine Frau Libertas, die in den dreißiger Jahren in Berlin als Pressereferentin für Metro-Goldwyn-Mayer gearbeitet hatte. Oder Arvid Harnack, als Amerika-Referent im Wirtschaftsministerium tätig, wo er es 1942 bis zum Oberregierungsrat brachte, sowie seine Frau Mildred, eine gebürtige US-Amerikanerin, die Harnack während eines Studienaufenthalts an der Universität von Wisconsin kennen gelernt hatte.
Nach der Heirat und Übersiedelung nach Deutschland unterrichtete Mildred an der Universität Berlin und an einem Abendgymnasium. Dazu merkt die Gedenkstätte Deutscher Widerstand weiter an: „Ihre Formen des Kampfes gegen den Nationalsozialismus sind vielfältig. Sie diskutieren über politische und künstlerische Fragen, helfen Verfolgten und dokumentieren die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Über ihren engeren Kreis hinaus wenden sie sich an die Öffentlichkeit, indem sie Flugblätter und Klebezettel verbreiten.“
Das war also jenes Umfeld, dem sich Hilde Coppi im Kampf gegen den Nationalsozialismus anschloss. 1909 geboren, war Hilde zunächst als Sprechstundenhilfe in Arztpraxen tätig, ab 1939 als Sachbearbeiterin bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. Im gleichen Jahr muss ihr jüdischer Freund Franz Kramar fliehen. Ihre enge Freundschaft mit Hans Coppi, einem Dreher, der sich bereit 1931 dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands anschloss, führt dazu, dass Hilde um Unterstützung der Widerstandsgruppe gebeten wird.
BEDRÜCKENDE RUHE
Andreas Dresen erzählt die Geschichte von Hilde Coppi mittels einer linear verlaufenden Handlungslinie, die mit der eingangs erwähnten Verhaftung beginnt und an die sich die Zeit im Gefängnis anschließt, in der Hilde auf ihren Prozess wartet. Dresens Inszenierung lässt dabei Konventionen, die bei der Darstellung des Nationalsozialismus oftmals Platz greifen, hinter sich. Unter dem Wachpersonal in der Haftanstalt finden sich nicht die üblichen Nazi-Schergen, die in Schaftstiefeln herummarschieren und die Gefangenen mittels Brüllton schikanieren. Über weite Strecken herrscht Ruhe im Gefängnisalltag vor. Sogar kleine Gesten von Menschlichkeit schleichen sich ein, als sich Hilde und Hans auf dem Gang begegnen und einer der Wärter dem Paar gestattet, ein paar Minuten miteinander zu verbringen. Für Hans die erste – und einzige Gelegenheit – seinen Sohn zu sehen, der wenige Wochen nach Hildes Inhaftierung geboren wurde und vorerst in der Obhut seiner Mutter geblieben ist. Doch solche Momente täuschen nicht darüber hinweg, dass man sich in den Fängen eines gnadenlosen Regimes befindet. Als Hilde wieder einmal aus ihrer Zelle geführt wird und dabei einer ihrer Freundinnen aus der Roten Kapelle begegnet, bleiben ein paar Sekunden, um sich auszutauschen und Informationen über das Schicksal anderer Mitglieder der Widerstandsgruppe zu bekommen. Die Geste ihrer Freundin macht Hilde klar, dass einige davon bereits den Tod durch das Fallbeil erlitten haben.
Gerade diese Stille hat jedoch eine bedrückende Intensität, denn dadurch verdeutlicht Andreas Dresen, dass ungeachtet der Gefängnisroutine die mörderische Maschinerie, die die Nazis in Gang gesetzt hatten – Hilde wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“ angeklagt – unaufhaltsam arbeitete. Auch Hildes Prozess läuft in betont nüchterner Atmosphäre ab. Hier agiert als Richter kein geifernder Agitator in blutroter Robe wie der berüchtigte Roland Freissler, der in den Verfahren gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ und jene des Aufstands vom 20. Juli die Angeklagten auf widerliche Art zu demütigen versuchte. Doch das Urteil, das vom Reichskriegsgericht, vor dem Hilde Coppi stehen musste, schließlich verhängt wird, unterscheidet sich am Schluss nicht von jenen, die ein Überzeugungstäter wie Freissler gefällt hat.
Die bedrückenden Sequenzen von Hilde Coppis Inhaftierung kontrastiert Dresen mit einer Reihe von Rückblenden – in einer Art umgekehrter Chronologie montiert –, die ihre Mitwirkung bei den Aktivitäten der Roten Kapelle zeigen. Und es wird dabei auch auf den letzten Sommer verwiesen, den Hilde und Hans als glückliches verliebtes Paar verbringen dürfen, voller Vorfreude auf die Geburt des ersten gemeinsamen Kindes. Dazu zählen auch die unbeschwerten Stunden, die man mit den Freunden von der Roten Kapelle am Badesee verbringt, wie das junge Leute eben so tun, abseits politischer Aktivitäten. Doch über diesen Momenten privaten Glücks hängt immer wie ein finsterer Schatten die Angst der Entdeckung der Widerstandsaktivitäten.
Liv Lisa Fries verkörpert Hilde Coppi mit einer differenzierten Intensität, die man noch lange im Gedächtnis behalten wird. Neben Momenten der Verzweiflung, die angesichts von Hildes Lage unausweichlich sind, verleiht sie ihrer Figur eine innere Ruhe, die ihre Überzeugung unterstreicht, dass Widerstand zu leisten einfach das Richtige war angesichts eines unmenschlichen Regimes.
In der filmischen Aufarbeitung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus standen bislang andere Formen im Zentrum. Der Fokus richtete sich zunächst auf Aktivitäten aus den Reihen des Militärs, die ihren Höhepunkt am 20. Juli 1944 fanden, als eine Gruppe von Offizieren um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow den Versuch unternahmen, Hitler zu beseitigen. Der gescheiterte Umsturzversuch, der bekanntermaßen den Decknamen „Walküre“ trug, wurde mehrfach verfilmt. Die ersten Spielfilme entstanden bereits 1955, Der 20. Juli unter der Regie von Falk Harnack – der jüngere Bruder des erwähnten Rote-Kapelle-Mitglieds Arvid –, produziert von Artur Brauner. Im selben Jahr drehte Georg Wilhelm Papst, eine feste Größe des Kinos der Weimarer Republik, Es geschah am 20. Juli. Neben dokudramatischen Fernseharbeiten wie Die Stunde der Offiziere (2003) und Jo Baiers Stauffenberg (2004) nahm sich Hollywood 2008 mittels Valkyrie – Stauffenberg wurde darin von Tom Cruise verkörpert – den Geschehnissen des 20. Juli an. Auch die mutige Tat eines Einzelkämpfers wie Georg Elser erfuhr erst in jüngerer Vergangenheit größere Aufmerksamkeit. Ganz auf sich allein gestellt, plante der Tischler aus Württemberg die Ausschaltung Hitlers, um die Katastrophe, die dessen Kriegspläne unweigerlich mit sich brachten, doch noch abzuwenden. In wochenlanger Vorbereitung platzierte Elser im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe, mittels der er den „Führer“ während einer Rede, die der dort am 9. November 1939 hielt, töten wollte. Elser hatte eigentlich alles penibel geplant, der Sprengsatz zündete auch mittels einer eingebauten Zeitschaltuhr wie berechnet, doch Hitler hatte seine Rede früher als vorgesehen beendet und nur Minuten vorher die Örtlichkeit verlassen. In Georg Elser – Einer aus Deutschland (1989) verkörperte Klaus Maria Brandauer, der auch für die Regie verantwortlich zeichnete, die Titelfigur, Oliver Hirschbiegel, der zuvor in Der Untergang die letzten Tage Hitlers nachgezeichnet hatte, nahm sich 2015 mit Elser – Er hätte die Welt verändert der Geschichte des einsamen Helden an.
Andreas Dresen ist ein Regisseur, der es versteht, seine ausgewählten Sujets mit präziser und vielschichtiger Beobachtungsgabe zu beleuchten, ungewohnte Blickwinkel zu eröffnen und damit Filme in Szene zu setzen, die zu den spannnendsten Arbeiten zählen, die man gegenwärtig im deutschen Kino finden kann. Besonders die Zusammenarbeit mit Drehbuchautorin Laila Stiller hat sich als kongenial erwiesen. Dazu zählen etwa Gundermann (2018), die ambivalente Biografie des widerspenstigen Liedermachers Gerhard Gundermann oder Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (2022), in dem Dresen und Stiller den vieldiskutierten Fall des in Guantanamo festgesetzten Murat Kurnaz aufrollen. Das dabei auftretende Behördenversagen bis in höchste Ebenen stellt Dresen in Form einer bissigen Tragikomödie bloß.
In Liebe, Eure Hilde ist der mittlerweile achte gemeinsame Film von Andreas Dresen und Laila Stiller, die erneut die Qualität dieser Kollaboration beweist. Dabei erweist sich gerade der betont unaufgeregte Erzählduktus als das probate Mittel, um erschütternde und berührende Momente in der richtigen Balance zu halten. Womit man der Protagonistin und ihren Mitkämpfern in deren Bestreben einfach ihrem Gewissen zu folgen, näher kommt als bei so mancher Hagiografie. In seiner Rede vor dem deutschen Bundestag im Jänner diesen Jahres anlässlich des Gedenkens an die Befreiung von Ausschwitz zitierte der Sportjournalist Marcel Reif einen knappen Satz, den ihm sein jüdischer Vater als Lebensmotto mitgegeben hatte: „Sei ein Mensch.“ Ein Prinzip, das Hilde Coppi und ihre Mitstreiter offensichtlich verinnerlicht hatten und das mit In Liebe, Eure Hilde endlich angemessen gewürdigt wird.