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Diagonale 2022

Die mit der Kamera

| Marc Hairapetian |
Mit Kurdwin Ayubs „Sonne“, eben erst als bester Erstlingsfilm der Berlinale ausgezeichnet, wird die Diagonale 2022 eröffnet. Ein Gespräch mit der Filmemacherin über ihre kurdischen Wurzeln, über Filmpreise und über ihre Arbeitsweise.

Kurdwin Ayub wurde 1990 im Irak als Tochter eines Ärzteehepaars geboren. Nach der Flucht der Eltern wuchs sie in Wien auf und studierte dort von 2008 bis 2013 Malerei und Experimentellen Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst sowie Performative Kunst an der Akademie der Bildenden Künste. Seit 2010 nahm sie mit Kurzfilmen wie Sexy oder Boomerang und dem Dokumentarfilm Paradies! Paradies! an diversen Filmfestivals teil, darunter bei der Viennale, der Diagonale und dem Sevilla Festival de Cine Europeo. Bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin im Februar erhielt Kurdwin Ayub für Sonne den Preis für den besten Erstlingsfilm. Es geht um drei Freundinnen – eine Kurdin, eine „Halbjugo“ und eine, die sich als „aus Österreich kommend“ bezeichnet –, die ein Burka-Musikvideo drehen, das ein Hit wird. Eine von ihnen wird sich aber im Lauf der Handlung von der Reality-Show ihres Lebens und den zwei anderen entfremden.

Sie sind nach der Flucht Ihrer Eltern aus dem Irak in Wien aufgewachsen. Das prägt einen doch, oder?
Kurdwin Ayub:
Ich bin 1991 mit meinen Eltern aus dem Nordirak nach Österreich gekommen. Ich hatte noch eine kleine Schwester, aber die ist während der Flucht gestorben. Wir waren damals noch Babys. Meine Eltern hatten in Österreich immer das Trauma von der Flucht und dem Krieg, aber mich hat das wohl auch unterbewusst mitgenommen, was ich jetzt beim Ukraine-Russland-Konflikt merke. Da geht mir viel durch den Kopf, und scheinbar längst vergessene Erinnerungen an meine Kindheit kommen wieder hoch. Vielleicht nimmt mich das, was jetzt in der Ukraine passiert, als Flüchtlingskind emotional mehr mit als andere. Ich sehe im freien Westen jetzt nicht alle weinen – weder Österreicher noch Deutsche.

War es für Sie als Punk-Prinzessin mit kurdischen Wurzeln schwer, sich in der zwar kulturbegeisterten, aber doch mitunter immer noch sehr konservativen Metropole als Filmemacherin durchzusetzen? Haben Ihre Eltern Ihre Filmpläne unterstützt, oder wollten sie, dass Sie auch Medizin studieren?
Genau, meine Eltern wollten, dass ich Medizin studiere. Aber mein Vater wollte es zu sehr! Er hat mich sogar beim Lernen für die Aufnahmeprüfung überwacht. Und dann bin ich nicht hingegangen zur Prüfung, sondern zur Prüfung für die Malerei. Ich habe es dann geschafft, Malerei und Animationsfilm zu studieren. Ich wollte immer schon Filme machen, seit ich ein Kind war. Einfach Geschichten erzählen. Deswegen hat er dann gemerkt, dass es eh lustig ist, was ich mache, auch, weil er von mir förmlich dazu gezwungen wurde, mitzuspielen. Und seitdem unterstützen mich meine Eltern sehr. Mein Vater ist auch viel offener geworden als früher. Das ist eben eine andere Kultur und Mentalität hier. Sie ist ebenfalls ein Teil von mir. Ich habe vorher rebelliert. Durch meine Rebellion habe ich ihm erklärt, wie die Welt auch anders aussehen kann. Und so habe ich ihn auch ein bißchen geändert.

Inwiefern war das Studium hilfreich für Ihre Kurzfilme?
Das Filmemachen war immer so ein cooles Ding für mich, dass ich dachte: „Du schaffst es eh nicht in die Filmakademie!“ Deswegen bewarb ich mich für Malerei. Ich war dann so in einem Hype drin, dass ich mir einhämmerte: „Okay, ich muss jetzt Malerin werden! Ich werde keinen Film machen!“ Das war Selbstschutz. Also suchte ich mir mit 17 ein anderes Ziel und schaffte es auch dort. Bewusst wählte ich die Klasse, wo Animationsfilm dabei ist, damit ich schon ein Schlupfloch zum Film habe. In der Zeit malte ich wirklich viel, kam aber sehr schnell darauf: „Ich mag Filme machen! Ich will keine Malerin werden.“ Trotzdem finde ich, dass ich sehr viele Freiheiten in der Malereiklasse der Angewandten hatte, die ich dann auch im Filmbereich kreativ nutzen konnte. Bei Animation kann man im Grunde ja eigentlich alles machen. Am Anfang habe ich auch keine Schauspieler gehabt, also habe ich mich selbst als Schauspielerin benutzt, um kleine Clips zu drehen, die künstlerisch oder sozialpolitisch – blabla – wichtig sein könnten, oder wie in meinen anderen Arbeiten indirekt eine Wahrheit erzählen. Und ich bin wirklich glücklich, dass ich nicht an der Filmakademie war, weil ich meine Freiheit behalten konnte und nicht diesen Druck hatte, irgendwo reinpassen zu müssen. Ich glaube auch, es hat geholfen, dass ich mich selbst als Schauspielerin in meinen Videos verwendet habe, weil dann haben alle gesagt, ich sei eine Performance-Künstlerin! Dann habe ich mir selbst gesagt: „Okay, gut, cool!“ Es ist als Regisseurin auch wichtig zu wissen, wie es vor der Kamera ist. Und wenn man selbst spielt, dann weiß man das. Die Schauspieler haben ja auch großen Druck.

Sie sind in vielen filmischen Metiers zuhause. „Paradies! Paradies!“ ist eine sehr persönliche Doku mit Ihrem Vater Omar, der plant, in Kurdistan ein Apartment als Ruhesitz zu kaufen. Macht es Spaß, die eigenen Familienmitglieder auf Schritt und Tritt zu filmen, oder ist das vielleicht sogar ein schwierigeres Unterfangen, das zu innenfamiliären Problemen führen kann?
Ich denke, meine Inspiration kam immer aus der Familie, aus meinem Umfeld und wie ich selbst das Leben erlebt habe, heraus. Ich habe keine Wissenschaften studiert und bin nicht viel herausgekommen aus meiner Bubble. Und deswegen finde ich das Interessanteste meine Herkunft und meine Familie und wie ich mich fühle. Und das kann ich eben am besten erzählen durch meine Familie. Deswegen habe ich immer meine Familie gefilmt. Wenn ich die Kamera auf sie gehalten habe, war es schließlich so, dass es von ihr selbst als normal empfunden wurde. Und dann hat sie sich auch normal verhalten. Das habe ich dann weitergemacht, aber beim Dreh im Irak waren irgendwann meine Verwandten genervt: „Ach, die ist schon wieder mit der Kamera da!“ Es war cool und auch komisch zugleich, weil sie nicht geglaubt haben, dass das überhaupt etwas wird. Aber genau das war gut für den Film. Dennoch muss ich ehrlich sagen: Irgendwann ist es auch mal genug mit Familie! Also, meinen Vater würde ich noch öfters mal besetzen, aber Paradies! Paradies! war schon etwas sehr Persönliches. Ich habe immer versucht, meinen Vater so darzustellen, dass er nicht schlecht rüberkommt. Eigentlich habe ich sogar versucht, ihn sympathisch zu machen. Er ist es ja auch. Deshalb ist es nicht so schwierig. Ich bin sowieso der Meinung, dass man seine Figuren im Filmen mögen muss und nicht zu mysteriös finden soll. Aber bitte nicht voyeuristisch drauf schauen! Mein Vater war am Anfang skeptisch, aber, wenn er sich auf der Leinwand sieht, findet er sich großartig und liebt sich selbst heiß und innig, was sehr spaßig ist. Auf einmal will er die ganze Zeit mitspielen. An sich ist Familie filmen schon sehr heikel. Aber da ich meine Familie bereits sehr lange filme, ist es auch einfach für mich, sie zu dirigieren und ihnen zu sagen, was ich will. (Lacht.)

Wie hat Ihrer Familie Ihr Spielfilm „Sonne“ gefallen?
Meine Mutter hat gesagt, dass es wie eine Therapiestunde ist, also wie bei einer Familienaufstellung, obwohl sie sich gar nicht selber spielt. Aber an ihrem Statement ist schon etwas Wahres dran.

Sie haben schon einige Preise bekommen, auch bei der Berlinale für „Sonne“. Können Filmpreise das Leben verändern, oder macht man sich da Illusionen?
Diese Frage ist schon interessant. Ich habe immer gesagt: „Man ist Nachwuchsfilmemacherin, bis man 50 ist“. In Österreich kommt jedes Jahr jemand, der einen Kurzfilmpreis gewonnen hat. Da stehen sie dann Schlange, einen langen Film zu machen – und ich habe es geschafft. Aber es gibt schon viel Neid. Und viel Missgunst. Sicher überall, nicht nur in Österreich. Es gibt immer wenig Geld für Filme und viel zu viele Leute, die glauben, sie können Filme machen. Jeder Nachwuchsfilmer ist mit seinem Kurzfilm schon auf einem Festival gelandet und hat irgendeinen Preis gewonnen, das heißt aber noch lange nichts. Der Berlinale Erstlingsfilm-Preis ist schon etwas anderes. Das ist etwas wirklich Fettes. Ich bin aber vorsichtig, mir Illusionen zu machen, ob es einfach so cool weitergeht. Und deshalb arbeite ich schon weiter. Ich bin von der Berlinale nach Hause gekommen und habe gleich am nächsten Projekt gearbeitet. Öfter fragen mich Leute, ob ich jetzt glücklich bin. Ich kenne beide Seiten. Es gibt zwei Lager: Leute, die es toll finden, was ich mache, aber auch welche, die über mich schimpfen oder mich hassen. Oder sagen, ich sei die Quotenausländerin. Manchmal gibt es Momente, wo ich so einen Höhenflug habe und mir denke: „Ich bin so cool!“, Aber das ist dann mit Ironie verbunden, weil ich weiß, dass wir in unserer Filmbubble nicht in Kriege ziehen. Wir machen nur Filme! Man muss halt viel dafür arbeiten mit wenig Geld, was okay ist. Und dann gewinnt man manchmal halt so einen Preis. Es ist schon schwer, mit diesen Emotionen umzugehen.

In „Sonne“ wirken viele Dialoge improvisiert. Arbeiten Sie nicht mit einem festen Drehbuch?
Schon, aber ich möchte den Schauspielern und Schauspielerinnen keine Dialoge geben, denn das Beste kommt aus ihnen selbst heraus. Und wenn es nicht klappt, filmen wir es am nächsten Tag noch einmal. Ulrich Seidl als Produzent gab mir da die Freiheit, chronologisch zu drehen. Er macht es selbst auch so.

Wie haben Sie Ihre drei Protagonistinnen, die ja alle Laiendarstellerinnen sind, ausgewählt?
Law Wallner und Maya Wopienka, die Bella und Nati spielen, habe ich wegen ihrer schnellen Auffassungsgabe ausgewählt. Sie sind wie die Figuren im Film laut und lustig. Melina Benli ist wie Yesmin vielleicht etwas reflektierter. Ich glaube nicht, dass jeder 50-jährige, strikt nach dem Koran lebende Moslem ihre Handlungsweise nachvollziehen kann. Aber man soll nicht in Klischees denken: Nicht jeder Moslem-Mann ist auch sexistisch – was häufig unterstellt wird.

Warum heißt der Film eigentlich „Sonne“?
Da ist eine Sonne in der kurdischen Flagge. Man kann es aber auch im übertragenen Sinne poetisch verstehen: Egal, welcher Kultur du angehörst oder aus welchem Land du stammst, da scheint immer eine Sonne auf dich herab.