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DVD | Robert Aldrich

Die schmale, rote Linie

| Jörg Schiffauer |
Die DVD-Wiederauflage von „Attack!“ und „Ten Seconds to Hell“ bietet Gelegenheit, sich (erneut) mit zwei Filmen aus dem großartigen Œuvre von Robert Aldrich vertraut zu machen.

Im Verlauf seiner knapp vier Jahrzehnte umfassenden Karriere erwies sich Robert Aldrich als einer der spannendsten und vielschichtigsten Filmemacher des US-amerikanischen Kinos. Der 1918 geborene Aldrich arbeitete zu Beginn der vierziger Jahre zunächst für RKO Pictures um dann als Regieassistent Erfahrung zu sammeln. 1953 konnte er mit Big Leaguer sein Regiedebüt feiern, bereits ein Jahr später gelang Robert Aldrich mit dem Western Apache – die Hauptrolle übernahm Burt Lancaster – eine viel beachtete Arbeit. Eine Reputation, die durch Vera Cruz – wiederum hochkarätig in Gestalt von Burt Lancaster und Gary Cooper besetzt – bestätigt wurde und Aldrich in der obersten Liga Hollywoods etablierte. Er gründete seine eigene Produktionsfirma, um sich innerhalb des Studiosystems jene kreativen Freiräume zu verschaffen, die seine Regiearbeiten ausmachen. Aldrichs Filme zeichnen sich durch einen geradlinigen, höchst effektiven und prägnanten Erzählstil aus, der sich an den Paradigmen des klassischen Hollywood orientiert, seine Inszenierungen sind keineswegs prätentiös oder formal extravagant. Es ist vielmehr die Kompromisslosigkeit in der Zeichnung der Charaktere und einer damit einhergehenden Auseinandersetzung mit den Defiziten der menschlichen Natur, durch die sich Robert Aldrich deutlich von gängigen Mustern Hollywoods zu distanzieren verstand. Dass ein solcher Zugang auch Kritik an gesellschaftlichen und institutionellen Zuständen nach sich zog, war nur folgerichtig. Aldrich formulierte seine Kritik stets innerhalb tradierter Formen des Genrekinos, wobei er eine ganze Reihe dieser Sparten – vom Western über den Noir-Krimi, Kriegsfilm bis zum psychologischen Thriller – zu meistern verstand.

Attack! und Ten Seconds to Hell – unlängst auf DVD und Blu-ray bei Koch Media neu aufgelegt – sind zwei wunderbare Beispiele für die beeindruckende Intensität und Kraft von Robert Aldrichs filmischer Arbeit, die nicht immer ausreichend gewürdigt worden ist.

Im Mittelpunkt von Attack! (Ardennen 1944), den Aldrich im Jahr 1956 drehte, steht eine US-amerikanische Kompanie, die in die berüchtigte Ardennen-Offensive der Wehrmacht gerät. Die von dem integren Lieutenant Joe Costa (beeindruckend verkörpert von Jack Palance) geführte Einheit sieht sich aber nicht nur durch den Gegner am Schlachtfeld bedroht, als beinahe größerer Feind erweist sich ihr kommandierender Offizier Captain Cooney. Der verdankt seinen Rang nur dem Einfluss seines Vaters, einem hochrangigen Politiker, erweist sich seiner Position jedoch in keiner Weise gewachsen. Die Mischung aus Inkompetenz, Feigheit und Opportunismus erweist sich als fatal, denn Cooney hetzt die Truppe wiederholt sinnlos in Einsätze, die seine Männer unnötig in tödliche Gefahr bringen. Attack! ist in seiner schonungslosen Form der Darstellung des Kriegs, die sich jeder Heroisierung konsequent verweigert, ein höchst nonkonformistischer Film – das US-Kino der fünfziger Jahre tendierte mehrheitlich dazu, seine Weltkriegshelden noch bereitwillig zu feiern –, der exemplarisch jenen Mut zur Haltung, den Robert Aldrich zu zeigen pflegte, exemplarisch widerspiegelt.

In den Wirren der ersten Nachkriegsjahre siedelte Aldrich Ten Seconds to Hell (Vor uns die Hölle, 1959) an. Sechs ehemalige Soldaten der Wehrmacht kehren nach Berlin zurück, die Stadt ist noch deutlich von den Kriegsschäden gezeichnet. Doch die Bombenangriffe haben nicht nur Zerstörung hinterlassen, sondern auch hunderte Blindgänger, die zwischen den Ruinen liegen und jederzeit detonieren können. Um die Gefahr für die Bevölkerung so rasch als möglich zu beseitigen, wird den sechs Heimkehrern, die im Krieg schon einschlägige Erfahrung mit dem Entschärfen von Sprengsätzen machen mussten, von Seiten der britischen Militärverwaltung ein Angebot unterbreitet. Die Gruppe soll drei Monate Blindgänger entschärfen, was einem Himmelfahrtskommando gleichkommt. Doch weil sie inmitten all der Verwüstung ohnehin kaum eine Perspektive für sich sehen und die versprochene Bezahlung extrem attraktiv ist, entscheiden sich die Männer für den riskanten Job. Aldrich und sein Kameramann Ernest Laszlo verleihen Ten Seconds to Hell – gedreht vor Ort in Berlin durch körnige Schwarzweißbilder eine intensive, bedrückende Authentizität, die sowohl die materialen Schäden, vor allem aber die moralischen Devastierungen, die der Krieg angerichtet hat, deutlich macht. Innerhalb der Gruppe verkörpern dies zwei für Robert Alrich geradezu prototypische Charaktere: Der von Jack Palance gespielte Karl Wirtz, obwohl innerlich selbst durch die Geschehnisse um ihn herum schwer erschüttert, hat sich allen Widrigkeiten zum Trotz eine Art moralischen Kompass bewahrt. Als Antagonist erweist sich bald schon Erik Körtner (Jeff Chandler), der als Folge des Kriegs zwischen Zynismus und purem Utilitarismus agiert, wobei kein Platz mehr für Empathie bleibt. Anhand der Figur des Erik Körtner wird ein Fazit deutlich, das sich leitmotivisch durch zahlreiche Filme von Robert Aldrich zieht: Besonders schwierige Umstände sind geeignet, die schlimmsten menschlichen Eigenschaften hervorzubringen.

 


 

Robert AldrichArchiv | Ausgabe 07+08 2018

Blick in den Abgrund

Im August jährt sich der Geburtstag von Robert Aldrich zum hundertsten Mal. Ein passender Anlass für einen Blick auf das vielseitige Werk eines Regisseurs, dessen Filme auch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen nichts an Kraft und Gültigkeit verloren haben.