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Die Tänzerin / La Danseuse

Filmkritik

Die Tänzerin / La Danseuse

| Michael Ranze |

So ein Serpentinentanz ist eine feine Sache, und Loïe Fuller beherrschte ihn perfekt.

Wer sich für Filmgeschichte interessiert, auch für die Anfänge des Stummfilms, hat vielleicht schon einmal einen Serpentinentanz gesehen. Die Tänzerin wirbelt dabei quadratmeterweise Stoff durch die Luft, sie hebt und senkt die Arme, dreht sich im Kreis, so dass der Eindruck einer schlangenförmigen Bewegung entsteht. Der Körper der Tänzerin scheint im Stoff aufzugehen, nur der Kopf ist noch zu sehen. Mademoiselle Ancion und Annabelle Whitford Moore hießen jene Frauen, die Max Skladanowsky und Thomas Alva Edison 1896 auf Film bannten. Doch eine konnte es noch besser und steht darum im Mittelpunkt dieses Regiedebüts von Stéphanie Di Giusto: Loïe Fuller. Keine genaue Biographie, sondern ein Porträt, das sich Freiheiten nimmt. So hat Marie Louise Fuller, 1862 bei Chicago geboren, ihrem Vater in Wirklichkeit nicht beim Goldsuchen geholfen. Nach seinem gewaltsamen Tod will sie unbedingt Schauspielerin werden – sehr zum Unwillen ihrer sittenstrengen Mutter. Als sich bei ihrem ersten Bühnenauftritt ein Kleid zu lösen beginnt, rettet Loïe die Show durch rasche Drehungen, der Stoff beginnt zu flattern – die Idee zum Serpentinentanz ist geboren. Um ihre Kunst zu vervollkommnen und gleichzeitig ein Patent anzumelden, reist sie nach Paris. Im legendären Folies Bergère feilt sie an ihrem Tanz, erweitert mit langen Stöcken den Wirkraum des Stoffes und erfindet aufwändige Lichteffekte, die den weißen Stoff zum Leuchten bringen. Loïe wird zum Star. Doch sie treibt Raubbau an ihrem Körper, auch das Augenlicht droht zu schwinden. Zu grell sind die Bühnenscheinwerfer.

Das kraftraubende Training und die faszinierenden Auftritte stehen denn auch im Mittelpunkt des Films, der den Zauber der Tänze mit all seinen Farbenspielen auf die Leinwand überträgt und so den Zuschauer staunen lässt. Darüber hinaus ist dies aber auch das Porträt einer Frau, die trotz aller Widerstände an sich glaubt und an ihrem Traum festhält. Mangelnde Eleganz und Leichtigkeit macht sie durch Athletik und Kraft wieder wett. Ihre Scheu – auch in Liebesdingen, wie das wechselvolle Verhältnis zu Isadora Duncan (dargestellt von Johnny Depps Tochter Lily-Rose) beweist – überwindet sie nur auf der Bühne. Hier, in den kunstvollen Drehungen, hat man fast das Gefühl, dass sich Loïe Fuller die Menschen mit den langen Stöcken und den wallenden Stoffen vom Leibe hält. Nur in der reinen Bewegung (die natürlich auch eine filmische ist) geht sie auf und entzieht sich.