Der Filmemacher Benjamin Heisenberg über seine Filmästhetik, die sich aus der Bildhauerei entwickelte, und über seine Ausstellung, die bis 19. November in der temporary gallery vienna zu sehen ist.
Sie stammen aus Tübingen, haben in München studiert, mit Ihrem Film Der Räuber in Österreich Filmpreise gewonnen und leben in der Schweiz. Trotzdem zählt man Sie zur „Berliner Schule“. Was ist das eigentlich?
Benjamin Heisenberg: Die Berliner Schule ist ein Begriff für Filmemacher, die aus verschiedenen Gründen eine zeitlang gleichzeitig in Berlin gelebt haben. Es war mal ein Begriff für Leute, die in Berlin studiert haben, aber dann wurden immer mehr eingemeindet, weil man das Gefühl hatte, da bestehen ästhetische und persönliche Gemeinsamkeiten. So ist eine Gruppe zusammen gekommen von Leuten, die sich für eine bestimmte Sorte von Realismus interessierten. Es ist also mehr ein Phänomen als eine Schule.
Nun haben Sie mit der Zeitschrift „Revolver“, die sie mit den Regisseurskollegen Christoph Hochhäusler und Sebastian Kutzli gründeten, dieser Gruppe auch ein publizistisches Forum geschaffen. Wie wichtig ist eigentlich noch die Filmkritik?
Benjamin Heisenberg: Wir sind in der paradoxen Situation, dass immer mehr über Film geschrieben wird, aber doch eher vom Service-Standpunkt aus als von einem der Kritik. Aber die Auseinandersetzung mit Film ist gerade für Filmemacher besonders wichtig. Erstens sind die Regisseure außerhalb des Mainstreams davon abhängig, weil die Kritik eine wichtige Form Legitimation ist neben den Festivals und Preisen. Zweitens glaube ich, dass die Auseinandersetzung mit dem Film dazu beiträgt, dass man immer weiter lernt. Je stärker dieser Austausch unter den Filmemachern und Filmexperten ist, desto bessere Filme kommen zustande. Deshalb haben wir „Revolver“ gegründet: Als Standortbestimmung und Forum für eine Theorie der Praxis. Die Filmkritiker sind da ein ganz wichtiger Teil, weil sie einen Hintergrund haben, den Film aber unbeteiligt sehen und nicht nur in den Produktionszusammenhängen.
Dann möchte ich mal als Kritiker als Beispiel meine Lesart ihres Films Der Schläfer anbieten und fragen, was Sie davon halten. Da gerät ein arabischstämmiger junger Wissenschaftler in Terrorismus-Verdacht. Das Vorgehen des Geheimdienstes, der einen Spitzel anwirbt, erinnerte mich an die DDR-Staatsicherheit. Wollten Sie zeigen, dass ihre Methoden bis heute weiterleben?
Benjamin Heisenberg: Grundsätzlich habe ich mich dafür interessiert, einen Film über das Normalleben in einer demokratischen Struktur zu erzählen und über die Möglichkeit, auch in einer solchen Struktur von der Bespitzelung betroffen zu sein. Dass das mit der Stasi sehr viel zu tun hat, war mir auch im Prozess des Schreibens des Buches klar. Mein Film erzählt ja von der Normalität der Bespitzelung.
Habe Sie denn die Arbeit der Nachrichtendienste recherchiert, oder ist die Darstellung reine Fiktion?
Benjamin Heisenberg: Ich kannte einige Leute, die Verbindungen zum Nachrichtendienst hatten. Und durch einen Kontakt bei der Polizei haben wir Kontakt mit Leuten aufgenommen, die mit versteckten Ermittlern zu tun hatten und die uns sehr viel darüber erzählt haben wie es abläuft: Wie rekrutiert wird und welche Daten abgenommen werden. Ich habe auch mit dem damaligen stellvertretenden BND-Chef geredet. Ich fand interessant, dass der Geheimdienst auch sehr nonchalant vorgeht in der Akquise der Leute. In England ist das ganz gewöhnlich, dass man vom MI5 oder MI6 rekrutiert wird, wenn man etwa in Cambridge studiert. In Deutschland wird das sozusagen eher hinter vorgehaltener Hand gemacht, aber es trotzdem nicht unüblich.
Der Schläfer nimmt die Stimmung des vorausgegangenen Kurzfilms Die Gelegenheit auf. Hier wird ein sympathisch wirkender Jugendlicher überraschend zum Denunzianten, um einem Homosexuellen zu schaden, der seine Bekanntschaft gesucht hatte. In beiden Filmen spielen Sie mit den Vorurteilen des Zuschauers und dem, was Filmfiguren ohne dass wir etwas über sie wissen, positiv oder negativ erscheinen lässt.
Benjamin Heisenberg: Absolut. Das Ganze entspringt einem Weltbild von mir, demnach auch Leute, die man sehr liebt und achtet, Dinge tun, die man ihnen nicht zutraut. Mich interessieren diese Brüche in der Psyche und im Verhaltensmuster. Das finde ich für eine realistische Beurteilung der Welt, für die ich mich einsetze, sehr wichtig. Natürlich muss man sein Vertrauen in die Welt oder ein gewisses glückliches Leben, das man führen möchte, behalten. Aber es ist auch wichtig, dass man den Menschen nicht zu sehr idealisiert. Sonst wird man vom Leben immer wieder enttäuscht. Ich glaube auch nicht, dass sich unsere eigenen Moralvorstellungen in unser Verhalten umsetzen lassen. Wir verhalten uns doch immer wieder sehr widersprüchlich gegenüber den eigenen Idealen.
Um eine Figur in anderem Licht erscheinen zu lassen, arbeiten Sie sehr bewusst mit den Räumen, in denen sie agiert. So brechen sie die von der Kamera klinisch abgefahrene Laborwelt in Der Schläfer mit Orten spielerischen Ausbruchs wie einer Gokart-Bahn oder einer experimentellen Theaterbühne. Es ist dann spannend zu sehen, ob und wie diese Figuren etwas mit diesen Freiräumen anzufangen wissen. Ist diese Beschäftigung mit dem Raum etwas, dass Sie bei ihrem Münchner Kunststudium beim Bildhauer Olaf Metzel gelernt haben?
Benjamin Heisenberg: Auf jeden Fall. Wenn ich künstlerisch oder ästhetisch über meine Einflüsse rede, ist die Kunstakademie prägender gewesen als die Filmhochschule. Abgesehen von der ebenfalls sehr wichtigen Arbeit an der Filmzeitschrift „Revolver“. Unser Professor Metzel hatte die Fähigkeit, die verschiedensten Studenten mit den unterschiedlichsten Stilen und Ansätzen nebeneinander leben zu lassen. Aber er hat sie auch manchmal heftig miteinander konfrontiert. In der Filmhochschule ging es dann eher um Technik oder die Finanzierung, das war eher praktisch orientiert.
Für meine Filme ist die Kamerarbeit von Reinhold Vorschneider besonders wichtig, der ein besonderes Raumgefühl mitbringt. Wenn es gut geht, schafft man ein Verhältnis zum Raum, das ein anderes Verhältnis zum Betrachter mitbringt. Und dann nimmt man als Zuschauer dieses Verhältnis vielleicht sogar mit in sein eigenes Leben, indem man die Räume, in denen man selbst lebt, mit anderen Augen betrachtet. So bemerkt man, was das Umfeld vielleicht an emotionaler Beeinflussung mit einem macht. In Der Räuber kommt dann noch die Kamerabewegung verstärkt als Element hinzu, dass zu dieser Raumerfahrung entscheidend beiträgt.
Heute ist Film ja integriert im Kunstkontext, aber noch vor zwanzig Jahren war das doch sicher sehr exotisch auf der Münchner Kunstakademie.
Benjamin Heisenberg: Das waren so Nischen, in denen man solche Sachen machen konnte. Ich bin eigentlich durch Collagen darauf gekommen. Ich hatte Umberto Eco gelesen und mich über Semiotik informiert. Es interessierte mich, wie sich Wörter zu Bildern verhalten. So ist das Video „Es zogen einst“ entstanden, wo man zu jedem Wort ein passendes Piktogramm sieht. Das war der Anfang meiner Filmkarriere. Danach habe ich „Terremoto“ gemacht, was auch ein Film sein sollte, wo sich die Bilder im Rhythmus der Worte bewegen. Das hat sich dann aber immer mehr zu einem Spielfilm gemausert. Und so bin ich peu a peu aus der bildenden Kunst zum Filmemachen gekommen.
Was waren denn die künstlerischen Vorbilder?
Benjamin Heisenberg: Das waren zunächst vor allem Francis Bacon, Goya und Velazquez, daneben Grünewald, Warhol, Tinguely. Im Film hat mich Andrzej Wajdas Asche und Diamant sehr beeinflusst, dann Hitchcock, Truffaut und die Nouvelle-Vague-Regisseure aber auch – und bis heute – Jean Renoir.
Ihr Professor Olaf Metzel ist bekannt dafür, dass er reale Dinge nimmt und in einen neuen, skulpturalen oder urbanen Kontext stellt. Ist das nicht auch etwas, das das Kino tut?
MBenjamin Heisenberg: ich interessiert der Versuch mit dem Zuschauer: Wie verändert sich die Wahrnehmung, wenn man eine Situation ändert oder das Verhalten einer Figur. Oft in meinen Filmen wird dabei die Identifikation mit dem Charakter gestört. Entweder durch die Geschichte, wenn er sich so verhält, wie wir es eigentlich nicht von ihm wollen. Oder auch die Ästhetik, die Positionierung im Raum oder wie sich die Kamera zu ihm verhält. Dadurch muss der Zuschauer auch sein Verhältnis zum Film überdenken, was mich als Vorgang sehr fasziniert. Denn diese plötzliche Ungewissheit – etwa wenn wir plötzlich Informationen von Dritten über sie bekommen – entspricht unserer Wahrnehmung von Menschen im Alltag. Und das fasziniert und beschäftigt mich immer wieder auch ausserhalb des Filmemachens.
Bei Der Räuber hatte das auch Auswirkungen auf die Musik. Ich hatte ursprünglich eine durchkomponierte Musik geplant, aber so oft wir sie anlegten funktionierte sie eine Weile lang und dann trennte sie sich sozusagen vom Film. Obwohl an ihr nichts falsch war, löste sie sich vom Film, weil sich ständig etwas an der Identifikation mit der Hauptfigur änderte, was diesen Musikeinsatz unmöglich machte. So entschieden wir uns dann für sehr kurze Sequenzen, bereits existierender Musikstücke, die den Film eher kommentieren als begleiten.
Populäre Filme leben dagegen von einer durchgehenden Identifikation mit den Protagonisten. Macht diese komplexe Haltung Ihre Filme denn schwerer zugänglich?
Benjamin Heisenberg: Ich finde den „Räuber“ ja gar keinen sehr anspruchsvollen Film. Aber auch im Arthouse-Kino ist inzwischen eine Produktstruktur erreicht, wo garantiert sein muss, dass man einen entspannten Wohlfühlkinoabend hat. Das gute Kino, das durch dieses Raster fällt, hat kaum mehr Zuschauer. Da hilft es auch nichts, wenn die Zeitungen toll darüber schreiben. Deutschland ist kein leichter Markt im Arthousebereich, das wissen wir. Die Umfragen bei Der Räuber haben ergeben, dass die Zuschauer meist sehr zufrieden waren. Aber das Problem ist die Leute überhaupt ins Kino, bzw. in den Film zu bringen.
Etwas anderes, das ja angeblich immer von einem lohnenden Kinoabend erwartet wird, ist eine psychologisch stimmige Motivierung.
Benjamin Heisenberg: Das ist ja das Absurde: Wir reden im Film von Psychologie, dabei geht es eigentlich nur um Erklärung. Der Räuber ist dafür ein typisches Beispiel. Ich kenne einige Psychologen, die drin waren und die sagen: Das ist eine typische Fallstudie. Die sind gewöhnt, Menschen beim Handeln zuzuschauen und brauchen keine Erklärung. Nur wir sind gewohnt, dass Filmfiguren sich ständig in ihrem Handeln erklären oder von anderen erklärt werden.
Obwohl Sie einen Hintergrund als bildender Künstler haben, und man in den Museen derzeit sehr viel Film sehen kann, assoziiert man Sie eher mit dem Kino. Warum arbeiten Sie nicht stärker für den Ausstellungskontext? Vielleicht würden Ihre Arbeiten dort ja sogar besser verstanden.
Benjamin Heisenberg: Ich hatte im Februar 2011 eine Ausstellung in Berlin und im Oktober meine Kunstvideos in der Wiener Galerie Amer Abbas. Für die Leute, die beides wahrnehmen, ist das schon interessant, weil es zwischen Film und Kunst ein Beziehungsgeflecht gibt. So gibt es ein Video, in dem ein Satz aus dem Schläfer vorkommt, der auf etwas ganz anderes angewendet wird. Und dort wiederum kehrt etwas wieder aus einem Video, das ich drei Jahre zuvor gemacht hatte. Einige der Strategien, die ich in Videos ausprobiert habe, benutze ich in Spielfilmen. Da gäbe es einiges zu entdecken.
Was ist denn nun in Wien zu sehen?
Benjamin Heisenberg: Neben den alten Videos ist auch mein neuestes zu sehen: Ich habe bei einer Flugshow die Flieger vor den Wolken gefilmt und die Bilder so gespiegelt, dass 64 kleine Screens wie ein Kachelmuster auf die Wand projiziert werden. Dazu hört man dann diesen ziemlich drastischen Fluglärm. Das ist eine sehr ästhetische Arbeit geworden. Dazu kommt noch ein Video, das ich gemeinsam mit dem Künstler Clemens Krauss gedreht habe, mit dem ich dort ausstelle. Es heißt „Er“ und handelt von einer fiktiven Persönlichkeit, die in Simbach am Inn, also genau gegenüber Braunau, lebt und eine völlig absurde Lebensgeschichte hat.
Das haben sie gerne, die Österreicher, dass man sie an Braunau erinnert.
Benjamin Heisenberg: Deswegen haben wir ja Simbach genommen. Das liegt auf der deutschen Seite.
Ihre Filme laufen außerhalb Deutschlands besonders gut, da steht ihnen ihr hoher Anspruch offensichtlich nicht im Weg.
Benjamin Heisenberg: Ich glaube, dass der persönliche Blick der Filme dazu führt, dass man sich auch in anderen Kontexten darauf einlassen kann, weil man die Person begreift, die dahinter steht. Und es ist ja auch das Bemühen dieser Filme, etwas über unser Leben zu sagen und diese universellen Probleme verbinden uns unter den Kulturen. Dass man die Mainstream-Filme oft weniger zeigt, liegt nicht daran, dass man sie nicht verstünde, sondern weil sie sich nicht so sehr von den Mainstream-Filmen in den jeweiligen Ländern unterscheiden. Und der deutsche Komödien-Mainstream hat dann oft noch das Problem, dass er einen Humor hat, den man im Ausland nicht so lustig findet.
Da bin ich mal gespannt auf Ihr nächstes Projekt, die Komödie Ole Kohle Kurt. Ob man die wohl lustig finden wird?
Benjamin Heisenberg: Die Leute sagen, dass sie teilweise sehr lachen müssen, es ist aber auch sehr absurd. Ich hoffe, es wird lustig und hat vielleicht noch was von Ionesco oder Beckett. Das wäre was Neues im deutschen Kino.