Vielschichtiges Drama von Kore-eda Hirokazu
Eines Tages kommt ihr Sohn verstört aus der Schule zurück und berichtet von einer Beleidigung durch den Lehrer. Die Mutter ist empört und stellt das Kollegium zur Rede. Das flüchtet sich in Floskeln allgemeiner Natur und vollführt entschuldigende Verbeugungen. Weiter nichts? Die Mutter ist nicht bereit, das Geschehene solcherart auf sich beruhen zu lassen. Und so setzt sich allmählich eine Spirale der Eskalation in Gang, die sich gleich dreifach dreht.
Kaibutsu (int. Titel: Monster, dt. Titel: Die Unschuld), der aktuelle Film von Kore-eda Hirokazu, wurde im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt und mit dem Preis für das Beste Drehbuch sowie mit der Queer Palm ausgezeichnet. Letzteres für seine einfühlsame Schilderung der Freundschaft zweier Buben und der Anfechtungen, die die beiden zu gewärtigen haben. Ersteres für eine Erzählung aus drei Perspektiven, die einander nicht lediglich in Bezug auf das allen Gemeinsame ergänzen, sondern die es sukzessive erweitern. So dass am Ende sowohl eine komplexe gesellschaftliche Mikro-Struktur als auch jene nuancierten emotionalen Texturen, die diese in Gestalt eines Geflechts von Beziehungen durchwirken, sichtbar werden.
Die tiefe Freundschaft der Kinder, aus der möglicherweise mehr werden könnte, bildet dabei das Zentrum, von dem aus in Verästelungen die Eltern-Kind-, Lehrer-Schüler-, Eltern-Lehrer-Bindungen ausstrahlen. Die wiederum werden umfangen von Beschränkungen durch den sozialen Status (denen die alleinerziehende Mutter unterliegt), Erwartungen an Männlichkeit (die den Lehrer und die Buben plagen), dem rigiden Schulsystem, das sie alle im Griff hat. Während die Fragen danach, was eigentlich genau passiert ist und wer daran wie viel Schuld trägt, in den Hintergrund treten.
Mit Kaibutsu beweist Kore-eda einmal mehr seine Meisterschaft als empathischer Analyst des von hochkomplexen Regeln und strengen Normen bestimmten japanischen Sozialgefüges. Denn schließlich begreifen wir, dass der eigentliche Schrecken weniger in den unterschiedlichen Übergriffen besteht, als vielmehr darin, dass der Handlungsspielraum den Beteiligten kaum eine andere Möglichkeit lässt. Und wir begreifen auch, dass im Aus- und Aufbruch der beiden Jungs am Ende eine große Hoffnung liegt; ganz so wie nach den Unwettern und Naturkatastrophen, die die Handlung wie ein Kommentar begleiten, der Himmel aufreißt und die Sonne wieder zu strahlen beginnt.