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Filmkritik

Die Zeit der Frauen / Parched

| Ralph Umard |
Lokalkoloritreiches Porträt diskriminierter indischer Landbewohnerinnen

Der englische Filmtitel „Parched“ – was soviel wie „verdorrt“ bedeutet – bezeichnet treffend sowohl den Schauplatz der Handlung in der Einöde des nordwestindischen Bundesstaates Rajasthan, wie auch die verkümmerte Sexualität und den Liebesdurst der Witwe Rani, ihrer besten Freundin Lajjo und der 15-jährigen Janaki, die einen Schulfreund liebt, aber mit Ranis einzigem, ebenfalls minderjährigen Sohn zwangsverheiratet wird.

Sie führen ein armseliges Dasein in einer erzpatriarchalisch organisierten Dorfgemeinschaft. Lajjo wird von ihrem alkoholsüchtigen Mann regelmäßig geschlagen, gefügig erträgt sie die Misshandlungen. Eine andere Frau rebelliert, wird aber zwangsweise zurück ins Haus ihres untreuen  Ehegatten gebracht, obwohl sie dort von männlichen Familienmitgliedern vergewaltigt wurde.

Rani verhält sich den überlieferten Sitten gemäß, nach denen Frauen den Männern untertan sind. So lässt sie ihren verderbten Sohn gewähren, wenn er seine Braut brutal entjungfert und das wenige Geld bei Dirnen und Saufgelagen verprasst. Bisweilen drastisch, aber ohne zu polemisieren werden die meisten Männer in diesem naturalistisch gestalteten Sozialdrama als selbstgerechte Machos dargestellt, ohne dass ihre Charaktere dabei karikierend überzeichnet sind – was ihr Verhalten umso verabscheuungswürdiger erscheinen lässt.

Ausgerechnet eine Prostituierte tritt als Vertreterin weiblicher Emanzipation in Erscheinung – auch wenn sie wirtschaftlich von Männern abhängig ist und wegen ihres Lebenswandels Minderwertigkeitsgefühle hat, die sie durch forsches Auftreten kompensiert. Ihr Einfluss bewirkt, dass Rani und Lajjo ihr unterwürfiges Verhalten hinterfragen und zögerlich beginnen, familiäre Fesseln abzustreifen.

Trotz der betroffen machenden Milieuschilderung wirkt der Film keineswegs deprimierend. Die Dramaturgie entspricht dem Muster gängiger Bollywood-Melodramen – „sometimes happy, sometimes sad“. Immer wieder erleben die Protagonistinnen ausgelassene Glücksmomente, es wird gefeiert, gesungen und getanzt, die lokalkoloritreiche Bildgestaltung von Chefkameramann Russell Carpenter – der für Titanic mit dem Oscar ausgezeichnet wurde–  besticht durch Brillanz und Detailreichtum. Dabei ist Parched alles andere als eskapistisch, sondern ein kraftvolles, sozialkritisches Kinoschauspiel, das gesellschaftlich relevant und emotional eindringlich ist und dabei anspruchvoll unterhält.