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Die zweigeteilte Frau

| Karin Schiefer |

Claude Chabrol stellt nicht nur eine junge Frau auf eine heftige Zerreißprobe, beinahe unmerklich zerlegt er dabei auch die Oberschicht einer Provinzstadt in Stücke.

Claude Chabrol ist dafür bekannt, dem höheren Provinzbürgertum gerne hinter seine schweren, vieles verbergenden Gardinen zu schauen und sich dabei am besten von den Dramen des Alltags inspirieren zu lassen. Seiner neuen Arbeit, Die Zweigeteilte Frau, liegt eine Dreieckstragödie aus dem New York des späten 19. Jahrhunderts zugrunde, die Richard Fleischer schon 1955 in seinem Film The Girl In The Red Velvet Swing für die Leinwand adaptiert hat.

In Chabrols Version tritt die Scheinmoral der alteingesessenen Bourgeoisie etwas in den Hintergrund, jedoch nur um vorübergehend einer neuen Macht des Scheins, jener der Medien, vor allem des Fernsehens den Vortritt zu lassen und um schließlich das aufstrebende TV-Sternchen Gabrielle Deneige (Ludivine Sagnier) zwischen beiden Fronten beinahe zu zermalmen.

Gabrielles blondes, feenhaftes Wesen verzaubert, wo immer sie in Erscheinung tritt. Die Reinheit und Unschuld ihrer Ausstrahlung scheint ihr alle Türen zu öffnen – die zum schnellen Aufstieg beim lokalen TV-Sender ebenso wie jene zum Vermögen des Pharma-Erben Paul Gaudens (Benoît Magimel), der sie um jeden Preis an den Altar führen will. Gabrielle könnte diese Gunst kühl rechnend nützen und in Kürze in die obersten Ränge von Reichtum und Ruhm aufsteigen. Doch sie fällt für die Leidenschaft. Sie verliert ihr Herz an Charles Saint-Denis, einen erfolgreichen Schriftsteller jenseits der 60, der sich und seinen perversen Neigungen gerne mal eine Erfrischung zwischendurch gönnt, über die seine Frau getrost hinwegsehen kann. „Ich frage mich“, so der Dichter in einem TV-Interview, „ob sich Frankreich auf einen neuen Puritanismus oder eine neue Dekadenz hinbewegt.“ Doch was kümmert ihn die Antwort? Seine Existenz ruht auf doppeltem Boden. Gabrielle dagegen schwebt über dem Abgrund, ohne sich wie ihre Wohl- und Übeltäter auf ein Sicherheitsnetz verlassen zu können. Claude Chabrol wirft hier vielmehr die Frage auf, wer in der sich durch Besitz und Erfolg definierenden Gesellschaft als integres Wesen überleben kann. Unter der dünnen Oberfläche eines schicken Ambientes, hinter dem amüsanten Ton einer TV-Parodie hat der alte Meister eine düstere Geschichte konstruiert, in der es am Ende nur Verlierer gibt. Gabrielle scheint zwar geläutert und intakt aus der schweren Prüfung hervorzugehen. Dies jedoch nur dank der Illusion eines Zaubertricks.