Ein Film wie ein kolonialer Fiebertraum
„Vache qui rit ist scheiße“, findet Aleksei (Franz Rogowski). Seine Abneigung gegen den Käse mit der lachenden Kuh auf der Verpackung ändert auch nicht, dass ihm gerade das Wasser bis zum Hals steht. Crème Caramel, Bordeaux, Pain au chocolat, Camembert, das sind die französischen Delikatessen, die ihn vorantreiben. Er und sein Freund Michail werfen einander die Begriffe wie Spielbälle zu, um der nassen Kälte zu trotzen, die an ihren hageren Körpern zehrt. Die beiden jungen Männer aus Belarus haben es mit etwas Geschick bis nach Polen geschafft. Gemeinsam versuchen sie, nachts die Oder zu überqueren, um nach Frankreich zu gelangen. Als Aleksei das Ufer erreicht, ist er mit seinem Traum von einem neuen, sicheren, besseren Leben in Europa allein.
Den Plan, bei der Fremdenlegion anzuheuern, zieht er trotzdem durch. Dem Rekrutierungsfeldwebel erzählt er, dass er Französisch im Kino gelernt hat. Nach einer brutalen Ausbildung, die von einem harschen Offizier überwacht wird, hat er es geschafft. Er wird Legionär, erhält eine Aufenthaltsgenehmigung und die Erlaubnis, seinen Namen zu ändern. In fünf Jahren bekommt er einen französischen Pass – vorausgesetzt er überlebt.
Ein Schnitt, Ortswechsel, eine andere Welt. In Nigeria agiert Jomo als charismatischer Guerillakämpfer, der mit seiner Schwester Udoka eine aufständische paramilitärische Gruppe im Nigerdelta anführt. Die beiden haben ein seltsames Erkennungsmerkmal: verschiedenfarbige Augen. Aber das ist nicht die einzige geheimnisvolle Besonderheit in Giacomo Abbruzzeses Regiedebüt.
Der italienische Regisseur lässt Jomo und Aleksei bei einem Einsatz der Fremdenlegion in Nigeria, bei dem französische Geiseln aus der Hand der Rebellengruppe befreit werden sollen, aufeinander treffen. Aber Disco Boy ist kein Film, der sich für übermäßige Action oder die verbrecherischen Verknüpfungen von globaler Wirtschaft und Politik interessiert. Die Inszenierung setzt auf die optischen Reize der Apokalypse. Exotik und Ekstase sind die Schlagworte: In einer nächtlichen, wie aus einem kolonialen Fiebertraum entsprungenen Szene, führen Jomo und seine Schwester einen beschwörenden Tanz auf.
Auch in Rogowskis Darbietung sind Worte fast zweitrangig, so ausdrucksstark sind sein Körper, seine Mimik und Gestik, sein Blick. In der stilistisch kühnen, symbolträchtigen Inszenierung kommen die feinen Gesichtszüge und seine physische Gelassenheit besonders eindrucksvoll zum Einsatz. Das liegt nicht zuletzt auch an dem hypnotisch-pulsierenden elektronischen Score von Pascal Arbez-Nicolas aka Vitalic, der die berauschende Atmosphäre des Films unterstreicht.