Zunehmende Gewalt, staatliche Repression und das Kippen der Hoffnungen anhand von sechs ausgewählten Filmbeispielen anno 1969.
1. A man went looking for America.
And couldn’t find it anywhere.
(Columbia-Werbeslogan für Easy Rider)
„We blew it!“ lautet einer der letzten Sätze des von Peter Fonda gespielten Wyatt in Easy Rider, desillusioniert über die ganze gemeinsame Unternehmung, durchs Land zu fahren, auf der Suche nach einem vorkolonialen Amerika und der großen Freiheit. Sie endet als bad trip. Bevor die Sehnsucht in einer Leere mündet, schlägt ein dem Menschen wesentlicher Aggressionstrieb zu, eine für die Herausbildung der Vereinigten Staaten und deren American Dream konstitutive Gewalt.
In diesem Punkt stellt Easy Rider einen direkten Bezug zu den beiden Gewalt stilisierenden Filmen Bonnie and Clyde (Arthur Penn, 1967) und der Western-Genre-Revision The Wild Bunch (Sam Peckinpah, 1969) her: Die Utopie ist unerreichbar, buchstäblich der Nicht-Ort, an dem man nur scheitern kann. Doch gestreift hatten die beiden Easy Rider, Peter Fonda und Dennis Hopper, als „Modern Cowboys on Steel Horses“, vieles davon auf ihrem Weg von Los Angeles nach New Orleans zum dortigen Karneval, dem Mardi Gras, und nach Florida. „Cultural Knights in Search of a Contemporary Holy Grail“ (John Belton, 1995). Ein Kokain-Deal zu Beginn der Handlung ermöglicht diese Fahrt durch die amerikanische Weite, und glaubt man Dennis Hoppers Aussage gegenüber dem Gossip-Chronisten des New Hollywood, Peter Biskind (Easy Rider, Raging Bulls, 1998), dann hat die Welle der Kokain-Einfuhr, welche die beiden Helden hier aus Mexiko vormachen, in die Vereinigten Staaten nach dieser Filmszene erst richtig angefangen. Biskinds zahlreiche Interviewquellen legen aber auch den Schluss nahe, dass Easy Rider, der Zeitgeist und Lebensgefühl einer Generation verströmte, unter der Regie eines Multidrogen-Freaks und manischen, terroristischen Chaoten-Direktors (Dennis Hopper) entstanden war, der sich natürlich an kein festgelegtes Drehbuch hielt und an Ort und Stelle improvisierte.
Zum American Dream kann aber ebensogut das eigene Häuschen der Silent Majority der Plastic People gehören, über die Frank Zappa und die Mothers of Invention spotteten (Haskell Wexler hat seinem Medium Cool, 1969, dessen Musik weitgehend von dem E-Bluesgitarristen Mike Bloomfield produziert worden war, Passagen von den Mothers unterlegt). Diese ambivalente Vorstellung von Freiheit ist ein amerikanischer Mythos auf beiden Seiten eines auseinander fallenden Imperiums. Die Gesichter der hungernden Hippie-Agrarkommunarden, Pioniere alternativer Lebensformen einer Counterculture, erinnern an Fotos von Siedlern aus dem 19. Jahrhundert. Der freie Umgang mit Marihuana folgt dem konstitutionell verbrieften Recht des Pursuit of Happiness – so lautet auch der Titel des Films von Robert Mulligan, 1969 – im Zeichen des Banners der Stars and Stripes, die Wyatt als Captain America auf dem Rücken trägt. Auf die Fahne mögen sich die aggressiven Rednecks und die xenophoben, rassistischen Mittelwestler, deren Vorfahren sich hier als Siedler einmal niedergelassen hatten, ebenso berufen, doch sie schießen Wyatt (Peter Fonda) und Billy (Dennis Hopper) auf freier Straße ab, nachdem sie bereits vorher bei einem nächtlichen Überfall auf die Schlafenden einschlagen und den Anwalt George (Jack Nicholson) umbringen. Er war der einzige, der gesellschaftskritisch gesprochen hat. Die Fahrtaufnahmen, in am Western orientierten Panoramen von einer weiten, ruhigen Landschaft, werden zunehmend eruptiver, rhythmisch willkürlicher, mitunter flackern Einstellungen in vorangehende hinein. Einmal, in einer Art finalem Flashforward, findet sich bereits die Einstellung des beschossenen, in Feuer aufgehenden Motorrads von Wyatt, nah an der Wahrnehmungsschwelle eingeschnitten. Es ist das Endbild, von dem sich die Kameraperspektive aus dem Helikopter schließlich emporhebt. Das brutal abbrechende Finale macht den Film politisch und schreit nach Empörung und Gegenwehr. Sollte das eine Flucht aus der fehlgeleiteten Zivilisation sein: Billy the Kid und Wyatt Earp brachen auf, um die amerikanischen Werte beim Wort zu nehmen und als andere akzeptiert zu werden? Oder doch bloßes Biker-Vergnügen, das man sich mit illegalem Drogendeal erkaufte und für diese kriminelle Handlung mit dem Leben bezahlen musste?
Bereits Vorläuferfilme wie Roger Cormans The Trip (1967) oder The Wild Angels (1966) verknüpften die Zeichen für die Ikonografie des Bikerfilms mit einer Obsession für jugendliche Kriminalität. Auf dem Schauplatz eines Friedhofs in New Orleans visualisiert Easy Rider die Auswirkungen eines LSD-Trips mit Überbelichtungen, Farbfiltern und Soundkakophonie; subjektive und beobachtende Blickwinkel lassen sich kaum noch unterscheiden. Heute erfüllen die Bilder der einstigen, mit Steppenwolf untermalten Aufbruchstimmung die Freiheitsvisualisierungen der Werbewelt.
„Born to Be Wild von Steppenwolf oder Wasn’t Born to Follow von den Byrds sind in Wirklichkeit der Film von der Suche nach Amerika, nicht die Bilder von Peter Fonda“, schrieb Wim Wenders 1970 in der Filmkritik: Der Soundtrack aus eigenständigen Plattenaufnahmen illustriere nicht einfach die Bilder des Films, diese seien umgekehrt „Relikte einer Anschaulichkeit, die sich in der Musik viel stärker ausgebreitet hat als in den Bildern.“
2. Aufstieg aus dem Underground
Von den Filmen à la Warhol, vom Factory-Leiter seit 1964 produziert, sagte der Undergroundfilmer Jonas Mekas, sie würden Film auf Lumière zurückführen, ihn verjüngen und auf alles kinematografische Setting verzichten. Kennzeichnend ist ihr Tempo, die dragtime, sich hinziehende, scheinbar endlose Zeit (die mit der drugtime und den magischen Schönheiten einer erweiterten Zeit zu tun haben.) „Genau genommen kommt es Warhol darauf an, zu demonstrieren, dass das, was wir sehen, gemessen an der Zeit, die nötig ist, um es zu betrachten, nichts Neues offenbaren sollte; ja, es könnte durchaus sein, dass es sein Ziel ist, bewusst einen circulus vitiosus darzustellen: einen kreisförmig verlaufenden Prozess, der keinerlei Fortschritt bringt, sondern allein eine ‚endlose’ Beschäftigung mit dem eigenen Ich.“ (Parker Tyler, Underground Film, 1970)
Grundiert von psychedelischem Dekor hatte er diesen Zirkel mit Chelsea Girls (1967) auf die Spitze getrieben, aber auch Blue Movie und Flesh (beide 1969) atmen Warhols „ästhetische Realität“ („Ich weiß nicht, wo das Künstliche aufhört und das Wirkliche beginnt“, Warhol, 1967). Worum es in seinen Szenen geht, kann allein durch die Dauer sichtbar gemacht werden, Tempo und Rhythmus kontemplativer Strukturen, denen gegenüber wörtliche Bedeutungen und Geschehnisse zweitrangig sind. Was die Filmästhetik von Warhols Factory angeht, kann man 1969 als das Wendejahr betrachten, in dem Konzessionen an geläufige Erzählweisen sich ankündigten. Blue Movie etwa zeigt Warhols Stars Viva und Louis Waldon, die einen Tag zusammen im Apartment verbringen; Flesh (Regie: Paul Morrissey), ebenfalls noch ohne die Trennung von Darsteller und Rolle, besitzt indes schon die dramaturgische Form eines normalen Spielfilms, zeigt in einer Einheit von Zeit und Handlung einen Tag im Leben eines Hustlers, eines männlichen Prostituierten, an der Lower East Side von Manhattan. Das Ziel der Hauptfigur Joe Dallesandro ist es, einen bestimmten Geldbetrag aufzutreiben, um einer Freundin eine Abtreibung zu ermöglichen. „Aber die einzelnen Passagen des Films machen sich doch mehr oder weniger selbstständig von dieser Fabel … Es sind die besseren Stücke des Films, bei denen die Kamera nur läuft und Menschen oder Dinge etwas tun oder sein lässt, was sie auch tun oder sein würden, wenn die Kamera nicht zusähe.“ (Enno Patalas, 1971) Zu sehen ist noch der strobe cut, ein Verfahren, bei dem Ton und Bild bereits bei der Aufnahme geschnitten werden, was von einem kurzen Lichteinfall markiert wird. Ein operativer Zugang: „Das heißt, Apparat und Prozedur der Bild- und Tonaufnahme wurden nicht verschleiert, wurden dem Zuschauer einsichtig gemacht. In Trash (1970) dagegen ist die Inszenierung wieder kaschiert, regieren die Täuschung und Identifikation, herrscht ein Naturalismus, der das Erzeugnis einer Inszenierung als Lebensausschnitt ausgibt. Der Aufstieg aus dem Underground zur Auswertung durch den Großverleih geht zusammen mit der Rückführung des Kinos in den Kreis der Darstellenden Künste.“ (Patalas)
3. Öffentliche Ereignisse und private Ansichten
Thematischer Aufhänger der Filmhandlung ist ein Filmprojekt, zu dem eine Avantgarde-Regisseurin (gespielt von der Filmemacherin Shirley Clarke) aus New York erstmals nach Hollywood kommt. Nach ihrem Dokumentarfilm Black Panthers (1968) hatte Agnès Varda neben Clarke noch weitere Freunde als Darsteller ausgewählt: die beiden Autoren und Stars des Musicals Hair, James Rado und Jerôme Ragni, die zusammen mit Warhols Factory-Superstar Viva in einem Bungalow von Los Angeles eine Ménage-à-trois unterhielten. Mit Lion’s Love hat Varda jenseits der Aufteilung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm das Kino Warhols nach Hollywood versetzt. Alle Figuren spielen sich selbst. Die mächtigen, imposanten Löwen, womöglich Sinnbilder der Warhol-Stars, sind träge, faule Liebhaber, verkündet ein Zeitungsartikel, sie besitzen aber unbedingte star quality, sind also worth looking at. Der „Komplex Hollywood“ ist eine Schimäre, keine Stadt, heißt es bei der Betrachtung von weitem aus dem Auto, als „a goldminer’s camp with service of the Ritz“ beschreibt es jemand. Über das Thema Filmemachen hinaus kommt es zu durchgehend offenen Szenen und Textimprovisationen bei privater Präsenz der Akteure – im Bett liegend, essend, fernsehend, mitunter werden Kamera und Regie im Off direkt angesprochen, in zwei Szenen ist Varda – gespiegelt und als eine Handlung Vorexerzierende – im Filmauschnitt präsent. Man hört spielerische Reflexionen zur Methode, Fragen an die Illusionsindustrie von den Stimmen der Selbstdarsteller: Kann man real sein und gleichzeitig Schauspieler; kann man Schauspieler sein und gleichzeitig lieben; kann man lieben und gleichzeitig real sein?
Viva, in deren Präsenz Ausdrucksformen von Jean Harlow wie auch von Greta Garbo mitschwingen, bekennt am Schluss direkt in die Kamera, dass sich ihr Traum, endlich in einem richtigen Film mit einem richtigen Drehbuch und zu lernenden Dialogen zu spielen, wieder einmal nicht erfüllt habe und sie wieder (nur) ihren eigenen Text sprechen konnte, und sie erfülle sich jetzt ihren Wunsch, ruhig zu sein – und schweigt daraufhin, bis der Film durch die Kamera gelaufen ist. Die Ermordung Robert Kennedys (5. Juni 1968), ein tragisches öffentliches Ereignis, nehmen die Filmfiguren privat vom Bett aus als kleines Fernsehbild auf, man ist fassungslos und kann trotzdem weiter frühstücken. „Varda setzt die Attentate auf Martin Luther King, Robert Kennedy und Andy Warhol in den Zusammenhang einer Einstellung“, schreibt Bert Rebhandl. „Während im Fernsehen die Nachrichten zu sehen sind, läutet das Telefon, und Viva erfährt von den Schüssen auf Warhol. Die Rückschläge dreier progressiver Bewegungen (der gewaltlosen Fraktion der Bürgerrechtsbewegung, der liberalen Kräfte in der Demokratischen Partei, der PopFraktion innerhalb der New Yorker Avantgarde) hebt Varda im Scheitern des eigenen Films auf.“
4. Letzte Liebe, letzte Tage im Schatten der Einberufung
Die Kreisblende öffnet sich auf eine Bungalowgegend am Stadtrand von Los Angeles, in Strandnähe, durchsetzt von Ölpumpen und Containern. Die Erzählung des Films Model Shop setzt die Hauptfigur George (Gary Lockwood) früh unter Druck (morgens kann er noch verhindern, dass die Bank sein Auto wegen Ratenverzug abholen lässt, am nächsten Morgen nicht mehr), dazu kommt der Erwartungsdruck in seiner Beziehung. Bis zum folgenden Tag, am Ende der Filmhandlung, werden diese Vorgaben bedeutungslos geworden und alles entschieden sein. Nach der Vorstellung des Regisseurs Jacques Demy sollte dieser Film ein portrait-poème der Stadt Los Angeles werden, im Klima der Zeit, einer etwas gedrückten Bohème-Atmosphäre.
Model Shop ist Resultat einer langen Erkundung der Stadt; Drehort und Drehbuch waren zur gleichen Zeit entstanden, die Szenen entwickelten sich aus den Dekors und die Rollen aus Begegnungen heraus. Nothing to Do and Little to Say lautet ein Song der Band The Spirit (deren erste LP gerade erschienen war und die im Film mitspielen), der eine Autotour von George in seinem MG-Cabrio durch die Stadt untermalt.
Demy begleitet das ungerichtete, passive Schweifen seines Helden, folgt seinem ziellos suchenden Ausdruck und lässt ihm plötzlich eine traumhafte „Erscheinung“ widerfahren, für die George sein Leben ändern wollte.
Mit dem Auftritt des Models schreibt Demy seine Geschichte von Lola/Cécile (Anouk Aimée), der Hauptfigur seines ersten Spielfilms (1960), fort. Nach dem entfremdeten Anfangskontakt der beiden in der frühen Form einer Peep Show, dem Model Shop, kommt es zu einer authentischen Verständigung, doch bereits am nächsten Morgen ist sie abgereist. Im Ton der Erschütterung dessen, der auf einmal Hoffnung geschöpft hat, endet der Film ohne Tröstung. „Wasting a lot of time … thinking about choices.” Dennoch, wie immer, öffnet sich Demys Kino dem Traum und fragt nach der Chance seiner Verwirklichung unter den Scheinfreiheiten und Subsistenzzwängen der Warengesellschaft. Obwohl nahe Hollywood gedreht, ist Model Shop ein genuiner Demy-Film; wie vormals in Nantes, Cherbourg und Rochefort verwandelt der Regisseur Räume der authentischen Stadt in Erinnerungsorte seiner Erzählung – auffallend sind die hinzugekommenen Abschweifungen der Aufmerksamkeit des Helden. Was man dem Film aus dem Blick des Europäers auf Los Angeles, Kalifornien, im Jahr 1969 wohl nicht verzeihen wollte, dürfte mehr noch als mit dem unentschiedenen Schweifen mit der resignativen Haltung des Protagonisten und einer unbestimmten Trauer, die seine Szenen bittersüß eintrübte, zu tun gehabt haben. Wenn schon Sympathie fürs Außenseitertum, so wurde stärkere Fallhöhe erwartet, Rebellion nach vertrautem Muster – stattdessen war ein tief sitzender Zweifel spürbar, vor dem dunklen Horizont der Einberufung Georges zur US-Army für den Einsatz in Vietnam.
5. Death Valley – Die Macht der Einbildungskraft und die Gewalt des Systems
Zabriskie Point, Michelangelo Antonionis Exkursion in die Vereinigten Staaten, öffnet sich auf eine angeheizte Debatte unter Studenten über Streiks und Protestaktionen auf dem Campusgelände. In der politischen Rhetorik, bedenkt man das Diskursniveau der Studentenbewegung um 1968, durchaus oberflächlich, werden die Studenten in Militante (überwiegend Black Panther), Theoretiker und vorsichtige Gemäßigte eingeteilt. „Auch ich bin bereit zu sterben, aber nicht vor Langeweile“ – mit diesen Worten verlässt der Teilnehmer Mark (Mark Frechette) die Debatte, somit markiert als nonkonformistischer Aktionist, der sich in keine Bewegung integriert. In einer Parallelhandlung arbeitet die junge Hippiefrau Daria (Daria Halprin) bei einem Immobilienkonzern. Beide Figuren, verkörpert von Amateurdarstellern, sind als Ikonen der amerikanischen Jugend, als zwei Seiten der Gegenkultur gezeichnet, die Antonioni über das Cross-Cut-Verfahren in der Griffith-Tradition allmählich zusammenführt. Während Marks Autofahrten durch Los Angeles liefert der Film subjektive Eindrücke der US-Konsumgesellschaft mittels Reißschwenks und Flashzooms, durch den Reihungsstil von Handlungsfragmenten schafft Antonioni die für ihn typische Entdramatisierung des Geschehens.
Die aseptische Atmosphäre des Konzerns Sunnydunes Enterprises, in dem die Hippiefrau arbeitet, wird mit den Studentenprotesten auf dem Campus kontrastiert, Popästhetik mit kontemplativer Symbolik. Halbdokumentarische Bilder des Kampfes um die besetzte Universität zeigen Gewalt auf beiden Seiten, nach der Eskalation fallen Schüsse, ein Farbiger wird getötet, dann ein Uniformierter, und Mark, den die Polizei für den Täter hält, weil er in dem Moment eine Waffe in der Hand hielt – als täuschender Handlungsauslöser recht konventionell – flieht in einem gestohlenen Sportflugzeug. Diesen Take off – eine Elevation durch das Vehikel ins Weite, in die Vogelperspektive über rechtwinkligem Stadtmuster – unterlegt Antonioni sehr adäquat mit einer kraftvoll schwebenden, entspannt treibenden Musik der Grateful Dead aus San Francisco. Von der Campusrevolte wechselt Zabriskie Point zur Liebesgeschichte in der Leere der Mojave Wüste. Am tiefsten Punkt der USA, am Zabriskie Point im Death Valley, das einer Mondlandschaft ähnelt, filmt Antonioni in Landschaftstotalen eine surreale Vision nackter Paare oder Trios bei Liebesposen im Wüstensand, eine gleichsam symbolisch überhöhte Orgie für den Slogan „Make Love, Not War“.
Die Rückkehr in die Stadt endet für Mark tödlich. Nachdem Daria diese Nachricht in einem Musterhaus ihres Chefs gehört hat, verlässt sie augenblicklich die Luxussphäre; die Explosion dieser Villa erscheint daraufhin als ein symbolischer Akt der Zerstörung, eine Gewaltfantasie, die, aus zahllosen Kameraperspektiven komponiert, sich der totalen Dekomposition der Warenwelt in schwereloser Extremzeitlupe bis hin zu jeder gegenständlichen Auflösung nähert. Mit diesem Spektakel, begleitet von dem sich zu einem orgiastischen Ausbruch hochschaukelnden Stück Careful With that Axe, Eugene der damals noch psychedelischen Pink Floyd, ist dem Film ein halluzinativer Schluss gesetzt, ein sensueller Kick und eine symbolischer Racheakt gegen das System. – Nach den hohen Verlusten von MGM an diesem Film (von sieben Millionen Dollar Budget wurde gerade mal eine Million wieder eingespielt) wurde versucht, diese durch den Verkauf einer Schallplatte mit dem Soundtrack zu kompensieren.
6. „The Whole World is Watching!“ – Das verantwortliche Kameraauge
In Haskell Wexlers Medium Cool sind Fiktion und Realität ebenso miteinander versetzt wie das Persönliche und das Politische. Der Film des renommierten Kameramanns (u.a. Who’s afraid of Virginia Wolf, American Graffiti), eines Künstlers mit ausgesprochen klarem politischem Standpunkt, entstand im Sommer 1968 zuzeiten des Parteikonvents der Demokratischen Partei in Chicago, wo zwischen Kriegsgegnern und Studenten auf der einen, Polizei und Nationalgarde auf der anderen Seite blutige Straßenschlachten ausgetragen wurden, vor laufenden Kameras: das Fernsehen übertrug unverstellte Live-Bilder exzessiver Gewalt, während in die mediale Berichterstattung aus Vietnam längst die Militärzensur eingegriffen hatte. Wexler schrieb, inszenierte und filmte die Geschichte um einen Fernsehkameramann John Casselli (Robert Forster), der über die Entfremdung in seinem Job – in der registrierenden Aufnahmefunktion „zwischen den Welten“ – zum Bewusstsein seiner politischen Verantwortung als Journalist gelangt.
Eigentliches Thema ist die Spannung zwischen der professionellen Indifferenz des Filmers und der Intensität seines Gegenstandes, eine Veranschaulichung des Marshall McLuhan-Worts vom Fernsehen als distanzierendem cool medium. Die lange Vorspannsequenz der Motorradfahrt, über die das belichtete Filmmaterial vom Unfallort ins Sendegebäude in der City gefahren wird, versinnbildlicht den kühlenden Kanal, den gleichgültig machenden Abstand zwischen einem Ereignis und seiner konsumistisch gleichgemachten Nachrichtenform. Als Casselli am Anfang das schwer verletzte Opfer eines Autounfalls filmt, ruft er erst den Krankenwagen, als er die Aufnahmen im Kasten hat. Als er sich in eine Frau verliebt, zu der er zum Zweck eines TV-Features ein routiniert-ausbeuterisches Verhältnis aufnehmen wollte, erkennt er die Verantwortung im Sucher seiner Kamera. Unmöglich, keine politische Haltung, kein Engagement zu entwickeln, wo doch in der Welt politische Antagonismen aufeinanderprallen.
Wexler integriert Spielhandlungen in tatsächliche Ereignisse, die auf den Straßen stattfinden: Dokumentation und Fiktion sind hart gegeneinander gesetzt, durchwegs ohne Set und Zusatzlicht, mit authentischem Ton (nicht von ungefähr hängt in Johns Wohnung ein Poster von Jean-Paul Belmondo, eine Referenz an Raoul Coutard, den Kameramann von Godards A bout de souffle), unter Verzicht auf Continuity-Schnitt und orientierenden Establishing Shots. Gegen Ende läuft die nach ihrem Sohn und nach Casselli suchende Freundin abends in einem leuchtend gelben Kleid – als quasi fiktive Figur markiert – während der wirklichen Proteste von Chicago hinter Panzern und Armeejeeps durch die Mengen, deren Konfrontation zur Straßenschlacht eskaliert. Das Team selbst befindet sich im Zentrum der Gewaltausübung, Reißschwenks der Handkamera zeigen Verletzte, und als Tränengas aufzieht, hört man Wexlers Tonmann warnend aus dem Off rufen: „Look out Haskell, it’s real!“
„The whole world is watching!“, skandieren die Demonstranten, und es wird deutlich, dass sich die Gegenkultur ganz bewusst der berichterstattenden Medien bedient hat. Man wusste, dass die Prügelei der Nationalgarden erst dann richtig losgehen würde, wenn die Kameras nicht mehr arbeiteten. Als das Paar am Ende mit dem Auto tödlich verunglückt, ist ein narrativer Kreis geschlossen, etwas filmisch Naheliegendes, was auch einen Rückschluss auf die blutigen Ereignisse in Chicago zulässt. Medium Cool wurde von den Paramount Pictures ein Jahr lang zurückgehalten und mit Zensurschnitten versehen, Regierungsstellen hatten darauf gedrängt, ihn gar nicht erst in die Kinos zu bringen.
Eine Auswahl weiterer US-Filme aus dem Jahr 1969:
Alice’s Restaurant (Arthur Penn); Gimme Shelter (David und Albert Maysles);In the Year of the Pig (Emile de Antonio); M.A.S.H. (Robert Altman); Tell Them Willie Boy Is Here (Abraham Polonsky); THX 1138 (George Lucas); Midnight Cowboy (John Schlesinger); The Rain People (Francis Ford Coppola); The Sterile Cuckoo (Alan J. Pakula); The Wild Bunch (Sam Peckinpah)