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Dossier Schauspiel: Spielen und Leben

„Kerls! Wollt ihr denn ewig leben?“

| Jörg Becker |
Der Schauspieler Otto Gebühr spielte in fünfzehn Filmen und über zwanzig Jahre hinweg Friedrich den Großen: eine Lebensrolle.

In Berlin kursierte bereits in den zwanziger Jahren ein Witz, der Filmstar Otto Gebühr sei gerade dabei, seine Memoiren zu schreiben, voraussichtlicher Titel: „Wie ich den Siebenjährigen Krieg gewann“. Seit dem Ersten Weltkrieg wurde der historische wie legendäre Monarch Friedrich II. von Preußen, bereits zu Lebzeiten „der Große“ genannt, der deutschen Bevölkerung „über Gebühr“ zur Kenntnis gebracht. Der wohl am stärksten instrumentalisierte Herrscher der Neuzeit war zur Filmfigur geworden.

Der 1877 als Sohn eines Kaufmanns im Ruhrgebiet geborene und in Köln aufgewachsene Otto Gebühr – anfangs Wanderschauspieler, später Ensemblemitglied in Dresden, ab 1908 schließlich in Berlin – kam nach seiner Weltkriegsteilnahme als Freiwilliger 1917 an Max Reinhardts Deutsches Theater. Sein Schauspielkollege Paul Wegener empfahl den 40-Jährigen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Friedrich II. dem Regisseur Carl Boese für dessen Preußen-Kostümfilm Die Tänzerin Barbarina (1919). Damit verschaffte er Gebühr Zugang zu einer Rolle, die seine Lebensrolle werden sollte: Seine Verkörperung Friedrichs II. sollte Otto Gebühr während der NS-Zeit sogar den Rang eines „unabkömmlichen Kulturschaffenden“ einbringen. 1944 wurde er von Goebbels auf eine „Gottbegnadeten-Liste“ der unverzichtbaren Künstler gesetzt.

Über zwanzig Jahre hinweg in insgesamt fünfzehn Filmen spielte Otto Gebühr in „gespenstischer Leibhaftigkeit“ (Hubertus Fischer) die Herrscherfigur. Bereits 1927 bekundete er in einem Interview, dass er sich „vollständig als König Friedrich“ fühle. Als Physiognomie-Wunder entsprach Gebühr perfekt dem Bild, das sich der deutsche Bürger von seinem Feldherrn- und Fürsten-Idol machte, jenem Bild, das auf Adolph Menzels Gemälde „Flötenkonzert von Sanssouci“ zurückging und auf seine Illustrationen zu Franz Kuglers Legenden-Anekdotenbuch „Geschichte Friedrichs des Großen“ von 1840, das in keinem Bücherschrank eines konservativen Haushalts fehlte. Auferstanden in den vier Filmen von Fridericus Rex (1920 bis 1923) und den zwei Teilen Der Alte Fritz (1927/28), wurde den Deutschen nach dem verlorenen Krieg zur Zeit der Ersten Republik der als Visionär und erster Diener seines Staates gepriesene Heros zur Anschauung präsentiert: „Wiederum triumphierte lebendig gewordene Größe der Vergangenheit über den grauen Alltag und den Niedergang unserer Tage”, notierte die „Neue Preußische Kreuz-Zeitung“ am 21. Dezember 1930.

Aus der Perspektive der Physiognomik, die zwischen 1918 und 1945 die Wahrnehmungslehre in Deutschland beherrschte, versuchte sich anlässlich des Erscheinens von Gerhard Lamprechts Der Alte Fritz (1928) eine kleine Schrift unter dem Titel „Das Filmgesicht“ mit zahlreichen Szenenfotos an einem Hymnus über den Darsteller Gebühr: „Eine hohe reine Stirn. An den Schläfen plastisch gegliedert. Von horizontalen Falten zart durchfurcht. Unten: ein breites Kinn. Energisch vorgewölbt. Darüber: ein breiter Mund, gebildet von einer leicht vorgestülpten Unterlippe, von einer Oberlippe schmal und lang, und von zwei Mundwinkeln, flink, wie Wiesel. – Oben und unten werden durch eine kräftige Nase mit fleischigen Nasenflügeln, nervösen Nüstern, zu markantem, gespannten, strengen Profil verbunden. (…) Das ist das Antlitz Otto Gebührs.“ (Hans Friedrich Eggler, 1928)

Führer-Projektionen in die Vergangenheit

Zum Kanon der legendären Herrschergeschichten und -anekdoten, die in Deutschland einmal Schulstoff waren, gehören jene von der gnadenlos strengen Erziehung des feinsinnigen Kunstliebhabers Friedrich durch seinen Vater, den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm: Dieser will über Friedrich wegen Desertion die Todesstrafe verhängen: „Es ist besser, dass unsere Kinder sterben, als dass die Gerechtigkeit aus der Welt geschafft wird!“ Nun darf der Kronprinz zwar nicht hingerichtet werden, doch wird er gezwungen, die Exekution seines besten Freundes mitanzusehen. Diese Zurichtung, die Identifikation mit der Herrschaft, dem Aggressor wird für die kommende Größe verantwortlich gemacht: „Diese Augenblicke lassen ihn reifen, härten ihn zum Manne. Es stirbt etwas in ihm, seine Jugend ist es, die immer erfüllungsbedürftig und toll vor Sehnsucht gewesen ist. (…) Wäre er ohne diese harte Schule einmal jener Heros geworden?“ (Walter Gottfried Lohmeyer, 1927) „Die ganze Fridericus-Serie hindurch wird die psychologische Linie durchgehalten, die von der Auflehnung des Kronprinzen zu seiner endgültigen Unterwerfung führt“, schreibt Siegfried Kracauer in „Von Caligari zu Hitler“.

Mit Beginn der Nazi-Herrschaft sollte der Preuße dazu dienen, die neue Diktatur zu legitimieren, das nationalkonservative Bürgertum mit den eher plebejischen Nationalsozialisten zu versöhnen. Zur Lage der Hitler-Partei und ganz Deutschlands in Krisenzeiten wurden immer wieder Parallelen aus dem Siebenjährigen Krieg herbeigezogen, die den Glauben an den Sieg bestärken sollten. Im Hitler-Bunker unter der Reichskanzlei hing noch zuletzt ein Friedrich-Porträt (im Szenenbild von Der Untergang wiedergegeben).

Eben noch hat die unverzichtbare Schnupftabaksdose in der Brusttasche Friedrichs die tödliche Kugel aufgehalten, wird uns „nach dem Friedensschluss der Sieger gezeigt. Nicht bei üppigem Mahle oder von flatternden Fahnen umgeben, sondern als einsamer Mann. In der Kirche. Dem Orgelspiel lauschend. Tief in sich versunken. Und nun das letzte Bild von diesem Großen, Einzigen: der trauernde Sieger. Friedericus Rex: Spiegelbild eines der gewaltigsten Menschen, den je die Erde trug. Durch geniale Inkarnation dem deutschen Volke von neuem lebendig – in Otto Gebühr.“ (W.G. Lohmeyer, 1927) Der ganze Film sei eine „anti-republikanische Provokation“, so Siegfried Jacobsohn in Die Weltbühne, (30. März 1922), „ein reiner Propagandafilm für die Wiedereinsetzung der Monarchie“, geprägt von einer „Grundeinstellung, sich unbedingt absoluter Autorität zu unterwerfen“, was für Siegfried Kracauer auf einen regressiven Zug in der deutschen Gesellschaft der Weimarer Zeit hindeutete, dem Verlangen, an einer rechten Mythologie festzuhalten.

Die Premiere von Das Flötenkonzert von Sanssouci von Gustav Ucicky am 19. Dezember 1930 im Berliner Ufa-Palast am Zoo musste aufgrund lautstarker Proteste der Linken unterbrochen werden. Der Film stellte den revanchistisch-reaktionären Gegenschlag auf den Remarque-Film All Quiet on the Western Front (USA 1930, Lewis Milestone) dar, der erst Tage zuvor verboten worden war. Als die preußischen Soldaten im Film in den Siebenjährigen Krieg ziehen, brandete großer Beifall auf. Für Siegfried Kracauer besteht kein Zweifel daran, „dass Hugenbergs Ufa ihn mit Rücksicht auf die nationalistischen Instinkte fabriziert hat“.

Carl Froelichs Der Choral von Leuthen, der erste offen kriegsverherrlichende Fridericus-Film, der nicht mehr den populären Volkskönig der Anekdoten präsentiert, sondern den Dämon des Enthobenen, dessen Blick und Erscheinung die Untertanen in ihren Bann schlagen, zeigt einen „wetterfesten Soldatenkönig“ in kritischer Situation. „In Kurzem haben wir den Feind geschlagen, oder wir sehen uns nie wieder!“ Alles oder Nichts, das war Hasardspiel an der Staatsspitze, aus der Höhe des einsamen Befehls, dem gegenüber es nur gläubigen Gehorsam gibt. „Ich habe heute Vabanque gespielt“, gesteht der preußische Triumphator den Österreichern in Lissa, die aufgrund dessen, dass es für Friedrich glückte, düpiert dastehen. Das Massaker von Leuthen als Schlüsselereignis sollte in Variationen ein Modell für nachfolgende Fridericus-Filme geben: „Kerls! Wollt ihr denn ewig leben?”, soll Friedrich seinen Soldaten zugerufen haben.

Der letzte Fridericus-Film, nach dem Angriff der Wehrmacht auf Polen im November 1939 von Emil Jannings vorgeschlagen, sollte „den Friedrich nach Kunersdorf, nicht den Gartenlaube-Friedrich von Gebühr“ zeigen (Joseph Goebbels im April 1940). Ein leitendes Motiv: Veit Harlans Friedrich will Frieden und muss doch Krieg führen. Entsprechend imposant geht eine Großaufnahme des Königs ohne jede Unschärfe in eine überwältigende Totale auf das preußische Heer über. „Der König ist von einer Todessehnsucht erfüllt, die die dämonisierende Ausleuchtung Bruno Mondis noch betont, und gerät immer dann in Hochform, wenn er von Vernichtung und Zerstörung sprechen darf.“ (Frank Noack, „Veit Harlan“, 2000). Der Schluss ist als Vision gehalten, ein pathetisch überhöhter Traum vom Frieden: Das Auge Friedrichs blickt wie das Auge Gottes durch die Wolken auf wiedererbaute Mühlen und auf Feldern tätige Bäuerinnen und Bauern herab.