Berühmte und berüchtigte Verbrecher umgibt immer wieder die romantisch verklärte Aura des Rebellen.
Das Ereignis beherrschte vor noch nicht allzu langer Zeit tagelang die Schlagzeilen der österreichischen Medien: Bei einem Einbruch in einen Kremser Supermarkt waren die beiden jugendlichen Täter von der Polizei überrascht worden, die Beamten machten, wie es so trocken im Amtsdeutsch heißt, von der Schusswaffe Gebrauch. Das Resultat war fatal, einer der Täter blieb am Ende des Einsatzes tot, der andere schwer verletzt zurück. Ein wenig überraschend waren da schon die Reaktionen der Öffentlichkeit, die man anhand der unzähligen Leserbriefe verfolgen konnte: Der Tenor einer großen Zahl der veröffentlichten Stellungnahmen lautete sinngemäß, dass ein ertappter Einbrecher nun halt mit einem letalen Ausgang zu rechnen habe. Ohne der noch ausstehenden Klärung vorzugreifen, war es schon erstaunlich, dass gar nicht kleine Teile der Öffentlichkeit zunächst einmal über den Tod eines Vierzehnjährigen, der ungeachtet aller Begleitumstände eine tragische Sache bleibt, einfach hinweggingen und sich lieber darüber ausließen, warum sich die beiden minderjährigen Täter um zwei Uhr morgens denn überhaupt noch auf der Straße aufhalten konnten.
Der in schöner Regelmäßigkeit zu vernehmende Schrei nach schwereren Strafen für Kriminelle und härterem Durchgreifen der Polizei ist zwar mittlerweile eine wohl vertraute Begleitmusik anlässlich der Veröffentlichungen diverser Kriminalstatistiken und natürlich ein keinesfalls auf Österreich beschränktes Phänomen. In den Vereinigten Staaten verfügen die Befürworter der ultimativen staatlichen Sanktion, der Todesstrafe, bei allen Umfragen über eine so satte Mehrheit, dass selbst eine Paradeliberaler wie Barack Obama während des Präsidentschaftswahlkampfes an dem brisanten Thema erst gar nicht anstreifen wollte.
Ein wenig verblüffend erscheint eine derartig massive gesellschaftliche Ächtung krimineller Delikte dann aber doch, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass besonders erfolgreiche Protagonisten des Verbrechens sich schon immer großer Popularität erfreuen durften. Der Erfolg des Gangsterfilm-Genres, das soeben wieder einmal Hochkonjunktur hat, darf dabei als Indikator für das nicht unbeträchtliche Ausmaß dieser Popularität gelten, sie beschränkt sich jedoch keineswegs auf fiktionalisierte Bearbeitungen. Denn berühmte Gesetzesbrecher verfügen seit jeher nicht nur über einen – gemessen an ihrer historischen Dimension – unverhältnismäßig hohen Bekanntheitsgrad, ihr Image ist auch keineswegs ein negatives. Bei dem im 14. Jahrhundert sein Unwesen treibenden Seeräuber Klaus Störtebeker mag ein gewisses Maß an romantischer Verklärung noch durch die zeitliche Distanz begründet sein, bei Outlaws des „Wilden Westens“ wie Jesse James hält man sich ohnehin lieber an den Mythos als an die historische Wirklichkeit, der Ruf des Banditen Salvatore Giulianos als Robin Hood Siziliens hat sich im kollektiven Gedächtnis so eingebrannt, dass trotz vieler dagegen sprechender Fakten nicht daran gerüttelt wird. Doch spätestens dann, wenn man sich die starke Präsenz von Gangstern wie Al Capone, Benjamin „Bugsy“ Siegel oder John Dillinger in der Populärkultur – und die damit einhergehende durchaus bewundernde Resonanz – vor Augen führt, wird die Sache durchaus diffiziler.
Man kann wohl mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass es nicht Annerkennung und Billigung ihrer Taten sind, die Gangstern – gleichgültig, ob es sich um historische oder fiktionale Figuren handelt – ihren Fixplatz im medialen und populärkulturellen Universum sichern. Mord, Gewalttaten und Drogenhandel sind, darüber wird sich ein überwältigender gesellschaftlicher Konsens herstellen lassen, ein geächtetes Verhalten, das sozialen Ordnungen zuwiderläuft. Ein Grund, dass manche dieser Täter, die den Gesetzesbruch besonders effizient vollziehen, aber nicht stärkere Ablehnung, sondern sogar so etwas wie Anerkennung und verstohlene Bewunderung entgegenschlägt, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass besonders erfolgreiches Übertreten gewisser Regeln und Vorschriften auch als eine Form der Revolte angesehen wird. Zwar sind diese Regeln in den diversen Gesetzen normativ festgeschrieben, doch die gesellschaftliche Bewertung einzelner Regelungen (und damit, die Bereitschaft, Übertretungen zu tolerieren) unterliegt durchaus starken Stimmungsschwankungen. Al Capones Aufstieg (wie übrigens der des gesamten organisierten Verbrechens in den USA) ist eng verknüpft mit der Prohibition der Zwanziger Jahre. Die Mehrzahl der Bürger betrachtete Alkoholkonsum trotz aller staatlichen Verbote und angedrohten Sanktionen einfach nicht als Gesetzesverstoß, folglich wurden auch diejenigen, die den Alkohol organisierten, nicht als Gesetzesbrecher, sondern schlimmstenfalls als wagemutige Spitzbuben betrachtet, selbst wenn es sich dabei zumeist um professionelle Kriminelle handelte. Als in der tiefen wirtschaftlichen Depression der Dreißiger Jahre Millionen Menschen verarmten und keine Chance mehr auf eine Rückkehr in eine halbwegs materiell abgesicherte, bürgerliche Existenz sahen, galten Bankräuber – ansonsten eine eher wenig respektierte Profession – wie John Dillinger oder Bonnie Parker & Clyde Barrow in weiten Teilen der Bevölkerung als durchaus tatkräftige Gesellen, die aus der allgemein vorherrschenden Agonie ausbrachen und wenigsten ihr Leben in die eigene Hand nahmen. Eine sicher verklärende, romantisierende Vorstellung, die aber veranschaulicht wie Kriminelle zu Projektionsflächen für Widerstand gegen ein als ungerecht empfundenes System werden können.
Derartige Ideen finden jedoch in immer größeren Maß neue Nahrung. In einer vernetzten, immer komplexer werdenden Welt besteht die Gefahr, dass sich der Einzelne zusehends nur mehr als machtloser Spielball zwischen einem als abgehoben agierend empfundenen politischen System und global agierenden Wirtschaftskonzernen fühlt. Angesichts vermeintlicher oder tatsächlicher Hilflosigkeit und Ohnmacht bei der Gestaltung des eigenen Schicksals kann schon jedes Ignorieren staatlicher (und damit von oben herab verordneter) Ordnung als Ablehnung des Systems empfunden werden, sei es nun Steuerhinterziehung oder Bankraub. Wer zudem mit seinen kriminellen Umtrieben noch besonders erfolgreich gegen bestehende Normen verstößt, kann sich zumindest eine Zeit lang materielle Sicherheit und damit auch gesellschaftliche Anerkennung verschaffen.
Brian De Palma stellte in Scarface (1983) mit der Titelfigur einen Mörder und Drogendealer als zentralen Charakter in den Mittelpunkt, der sich herzlich wenig als Sympathieträger oder Identifikationsfigur im konventionellen Sinn eignet – dem Erfolg des Films tat das wenig Abbruch. Denn dieser Tony Montana verkörperte auch eine Figur, die den ansonsten so begehrten und erwünschten sozialen Aufstieg eben mit allen Mitteln zu erreichen versucht. Als Immigrant sieht sich Tony Montana davon ausgeschlossen, mit legalen Mitteln diesen Aufstieg, der für ihn vor allem mit materiellem Erfolg verbunden ist, zu schaffen, also rebelliert er einfach gegen die vorgegebenen Regeln, indem er sie ignoriert – dies zudem vor dem damals vorherrschenden, durch die Reagonomics, geprägten Zeitgeist, der Maßlosigkeit und Gier um jeden Preis geradezu huldigte und Egoismus fast schon als Tugend ansah.
Selbstdarsteller und Revoluzzer von eigenen Gnaden
Verbrechen als Form des Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Missstände anzusehen, ist jedoch keineswegs nur mediale oder populärkulturelle Projektion, sondern wird von etlichen Kriminellen selbst immer wieder postuliert. So meinte etwa der „Einbrecherkönig“ Ernst Stummer, eine legendäre Figur der österreichischen Kriminalgeschichte, in einem Interview über seine jahrzehntelangen kriminellen Aktivitäten: „Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft mit eklatanten Systemfehlern leben. Es kann nicht sein, dass viele Menschen immer ärmer werden und andere Kohle bis zum Abwinken haben … Ich glaube, Kriminalität ist eine Art politische oppositionelle Ordnung.“ Selbst wenn man angesichts seiner Biografie den ideologischen Überbau des selbst ernannten Sozialrevolutionärs Ernst Stummer durchaus in Zweifel ziehen kann, erscheint es durchaus bemerkenswert, dass ein solcher Mann sich nicht mit dem Status einer reinen Unterweltgröße zufrieden gibt, sondern durchaus auch selbst als Systemkritiker, der eben mit seinen Mitteln gegen dieses System aktiv geworden ist, wahrgenommen werden möchte.
Jacques Mesrine, mehrfacher Mörder, Bankräuber und Kidnapper, aufgrund seiner vielfachen kriminellen Aktivitäten zu Frankreichs Staatsfeind Nummer 1 erklärt, dessen Geschichte unlängst in dem zweiteiligen Biopic Public Enemy No. 1 verfilmt wurde, prangerte in seiner während eines Gefängnisaufenthaltes verfassten Autobiografie L’Instinct de la mort vor allem die Zustände in den französischen Hochsicherheitsgefängnissen an. Der aus bürgerlichem Milieu stammende Mesrine, der sich jedoch stets gegen alle bürgerlichen Zwänge aufgelehnt hatte, war geradezu penetrant um sein Bild in der Öffentlichkeit besorgt, in den zahlreichen Interviews, die der zum Liebling der Medien avancierte Supergangster nur zu gern gab, versuchte er immer wieder seine politische Motivation in den Vordergrund zu rücken. Auch in diesem Fall sei es dahingestellt, ob Mesrine seine eigene Außendarstellung bereits weitgehend verinnerlicht hatte oder nur um sein Image bemüht war, es bleibt das Faktum, dass selbst der ansonsten wenig zimperliche Mesrine sich im Lauf der Zeit lieber in der Rolle des Rebellen als in der des erfolgreichen Berufsverbrechers sehen wollte.
Auf seine sehr persönlich definierte Form der Rebellion beruft sich Frank Lucas in dem ebenfalls auf wahren Begebenheiten beruhenden American Gangster (2007). Der Afro-Amerikaner Lucas war in den Siebziger Jahren einer der größten Heroindealer New Yorks, der die Drogen direkt aus Südostasien importierte, das Verteilsystem der Mafia einfach umging und damit hunderte Millionen Dollar verdiente. Lucas, der behauptete, die Ermordung seines zwölfjährigen Cousins durch den Ku-Klux-Klan sei der Auslöser für seine kriminelle Karriere gewesen, betrachtete es als eine Form der Überwindung von Rassendiskriminierung, wenn ein Schwarzer auch einmal die Führung in einem Bereich des organisierten Verbrechens übernahm. Er galt vor allem in seinem Heimatbezirk Harlem als bekannte Persönlichkeit, der regelmäßig mit Größen aus dem Sport und Showbusiness verkehrte. In American Gangster meint Lucas (Denzel Washington) nach seiner Verhaftung, er mache sich wegen der bevorstehenden Anklage wenig Sorgen, da niemand sich bereit finden würde, gegen ihn auszusagen: „Ich war stets für Harlem da, und jetzt ist Harlem für mich da.“ Wobei sich offenbar weder die Staatsanwaltschaft noch Lucas ihrer Sache sicher waren, man einigte sich auf einen Deal, bei dem Lucas für umfassende Aussagen mit einer Strafe von wenigen Jahren Haft davon kam. Berührungsängste gegenüber dem ehemaligen Drogenbaron halten sich weiterhin in Grenzen – Frank Lucas stand der Crew von American Gangster bei fast jedem Drehtag als Berater zur Seite. Erfolg und Größe des Verbrechens dürften überhaupt die Bereitschaft, Verständnis aufzubringen, dramatisch erhöhen: Als der Schwerverbrecher Jacques Mesrine bei seiner Festnahme 1979 von der Polizei erschossen wurde, gab es sofort zahlreiche Stimmen, die vorbrachten, die Polizei habe gar nicht versucht, Mesrine zu verhaften, sondern den Staatsfeind Nummer 1 einfach exekutiert. Dem erfolglosen halbwüchsigen Einbrecher von Krems wurde in der veröffentlichten Meinung nicht so viel Pardon gewährt.