In der Miniserie „The Undoing“ loten Susanne Bier und ihr famoses Ensemble unter reger Beteiligung des rätselnden Publikums einen Ozean mieser Gefühle, wohlfeiler Vorurteile und moralischer Untiefen aus. Ein zwiespältiges Vergnügen.
Am Ende haben sich alle die Hände schmutzig gemacht, niemand hat mehr eine weiße Weste. Besudelt stehen sie da, die Akteurinnen und Akteure dieser Räuberpistole, und sind doch unschuldig vor dem Gericht, das sich einmal mehr als eine nicht-gerechte Institution erweist. Jene Person zwar, die die grausige Tat begangen hat, wurde dingfest gemacht. Die Schuld aber hat sich unterdessen multipliziert. Und um die Antwort aufs Whodunit herum stehen Fragen im Raum: nach Charakter und Integrität, nach dem Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Gesetz, nach der ewigen Komplizenschaft von Geld und Macht, nach der Moral. Es ist unbefriedigend, dieses Ende, weil es zu viele Beteiligte ungeschoren davon kommen lässt; womit nicht zugleich gesagt ist, dass es ein schlechtes Ende wäre. Es ist eben ein böses, und ein gutes hätte diese Geschichte ja ohnehin nicht nehmen können.
The Undoing heißt die Miniserie, die im vergangenen Herbst in sechs Episoden auf HBO ausgestrahlt wurde. Als ausführende Produzenten unter anderem verantwortlich zeichnen David E. Kelley und Nicole Kidman, deren letzte Kollaboration Big Little Lies (2017–2019, 14 Episoden in zwei Staffeln) bekanntlich nicht wenig erfolgreich war. „Never change a winning team“, lautete demnach wohl die Parole; neuerlich übernahm Kidman eine der zentralen Rollen im Ensemble, und Kelley schrieb das Drehbuch, das auf dem 2014 erschienenen Roman „You Should Have Known“ von Jean Hanff Korelitz beruht. Die Regie übernahm diesmal die renommierte dänische Filmemacherin Susanne Bier, die zuletzt mit der Miniserie The Night Manager (2016, sechs Episoden) ihr inszenatorisches Geschick auch in diesem Genre überzeugend unter Beweis stellte. Bier nun gelingt es, den strahlend glatten Oberflächen, die den Handlungsraum von The Undoing prägen, fransig-diffuse Schatten anzuheften, Fallstricke zu ziehen, doppelte Böden zu verlegen und mehrdeutige Perspektiven einzunehmen. Es ist, als würde die Erzählinstanz schielen, als würde in dem Augenblick, in dem sie zu fokussieren versucht, alles im Sichtfeld unscharf werden und sich der Dingfestmachung entziehen.
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Mörderische Aggression
Das einzig glasklar und schneidend-scharf Erkennbare ist die Schrecklichkeit des Verbrechens, das am Anfang steht und um das im Weiteren alles kreist: Nicht weniger als elf Mal traf der schwere Hammer den Kopf der jungen Frau, so dass von ihrem schönen Gesicht rein gar nichts mehr übrig blieb. Für den Fall, dass man sich den resultierenden Anblick nicht vorstellen kann, bekommt man ihn gezeigt. Das unappetitliche und grausame Bild eines zu Brei geschlagenen Schädels stellt sicher, dass man eine Vorstellung erhält von der Zerstörungswut, die in der Tat zum Ausdruck kommt. Die Kriminalistik kennt das Phänomen als „Übertötung“. Der für derlei letale Raserei verantwortliche Affekt ist unkontrollierbar, man handelt quasi in einem hormonellen Rausch. Rasch stellt sich der Gedanke an rasende Eifersucht ein, ist die doch oftmals verantwortlich für das, was dann anschließend gern als „Verbrechen aus Leidenschaft“ verharmlost wird. Eifersucht liefert denn auch ein mögliches Motiv und eine Fährte, die zu gleich mehreren Verdächtigen führt. Ein weiterer Beweggrund könnte Besitzstandswahrung sein – bei welcher Gelegenheit die Wesensverwandschaft der beiden materialistisch fundierten Impulse unschön zutage tritt. Denn nicht zuletzt steht mit dem gesellschaftlichen Status mehr als nur (im vorliegenden Fall: sehr viel) Geld auf dem Spiel; Ansehen geht zwar bereitwillig und rasch mit Wohlstand einher, ungleich schwieriger ist es jedoch, einmal verlorenes Ansehen mit eben diesem Wohlstand zurückzukaufen. Der Verlust muss also unter allen Umständen verhindert werden.
The Undoing entwirft die passende Versuchsanordnung, mittels derer die moralische Verwahrlosung der Klasse der Stinkreichen offengelegt und ausgelotet wird; man kennt sie schließlich nicht umsonst als Filthy Rich. Wie nun sieht diese Versuchsanordnung aus? Die Psychologin Grace Fraser Reinhardt bewohnt mit ihrem Mann, dem Kinder-Onkologen Jonathan Fraser, und dem gemeinsamen Sohn Henry, der selbstverständlich eine Privatschule besucht, ein Townhouse in Manhattans Upper West Side. Graces Vater, Franklin Reinhardt, lebt gegenüber in einem Palast an der Park Avenue. Der Blick von seiner Terrasse geht über den Central Park, das „Wohnzimmer“ ist ein zwei Stockwerke hoher Saal, unbezahlbare Kunst hängt lässig an den Wänden, dienstbare Geister sorgen im Hintergrund fürs Wohlergehen.
In diesen luxuriösen Rahmen, der ebenso klischeehaft wie opulent entworfen ist, verirrt sich nun Elena Alves, eine kurvenreiche Schönheit aus eher einfachen Verhältnissen und mit Latino-Hintergrund. Ein Stipendium ermöglicht Elenas Sohn den Besuch jener renommierten Privatschule, auf die gleichfalls Graces Sprössling geht, und als sie bei einem Vorbereitungstreffen für einen Fundraiser eben dieser Schule kurzerhand ihre Brust auspackt, um ihr Baby zu stillen, versiegt das Gespräch der Trophy Wives, die rund um den Tisch versammelt sind, recht abrupt. Kaum weniger freizügig erscheint die Schöne kurz darauf auch bei der fraglichen Veranstaltung: Der Busen fällt ihr beinahe aus dem Kleid, die Männer scharen sich um sie wie die sprichwörtlichen Motten ums Licht, bereit, sich in ihr abgrundtiefes Dekolleté zu stürzen. Wenig später ist Elena Alves nicht nur tot, sondern geradezu ausradiert. Richtete die mörderische Aggression sich etwa gegen ihre offensiv zur Schau gestellte Weiblichkeit?
Unwohlgefühl
„A monster“, sei der Mörder, konstatiert Franklin Reinhardt gegenüber seiner Tochter, deren Mann alsbald unter dem Verdacht steht, eben jener zu sein. Wenig später wird er sich selbst mit einem gewissen Stolz als „cocksucker“ bezeichnen, als er nämlich dem Schuldirektor droht, der seinen Enkel erstmal lieber nicht mehr in der feinen Elite-Erziehungsanstalt sehen würde, denn die Upper Class versucht sich vom Skandal abzugrenzen. Die Anwältin des Verdächtigen wiederum beschreibt ihre Aufgabe als das Herstellen von „muck“ (d.i. Dreck, Mist, Dung), in dem die Anklage untergehen werde; sie wirkt dabei nicht nur siegesgewiss, sondern auch unbekümmert zynisch. Und nicht zum ersten Mal stellt sich einem die Frage, mit was für Figuren man es hier eigentlich zu tun hat? Wem soll man seine Sympathien widmen, wem Vertrauen schenken? Grace, die ihr Fähnchen nach dem drehbuchbedingt äußerst unbeständigen Wind hängt? Sohn Henry, den die Loyalität zu seiner Familie zu reichlich fragwürdigen Handlungen treibt? Jonathan, der mit beunruhigendem schauspielerischem Talent auf jede geänderte Sachlage zu reagieren in der Lage ist? Dem Patriarchen, dessen unermesslicher Reichtum und offenbare Skrupellosigkeit jede Schweinerei möglich scheinen lassen?
Oder tut man allen Unrecht, daran gewöhnt, dass die mit dem vielen Geld sich ohnehin von ihren Schandtaten freikaufen können und also im Zweifelsfall die Schuldigen sind? War es am Ende doch der betrogene Ehemann der Ermordeten, Fernando, den sein Latino-Temperament in den Eifersuchtsrausch getrieben hat? Womit man lediglich von einem peinlichen Klischee ins nächste wechselt und sich was schämen sollte.
Das Unwohlgefühl, das sich zu Beginn von The Undoing ins prächtige Interieur schleicht, es verlässt einen auch im Weiteren nicht. Eingeflochten ins Geschehen in Gestalt von immer wieder neuen Variationen der Verunsicherung schürt es das Misstrauen den Charakteren und ihren Motiven gegenüber während der gesamten Laufzeit. Die daraus entstehende Rezeptionshaltung ist, insofern sie auch die eigenen schwankenden Loyalitäten umfasst, freilich etwas anstrengender als eine, die lediglich verlangt, neugierig der allmählichen Entlarvung eines Übeltäters zu folgen. Vielmehr findet sich die Zuschauerin bzw. der Zuschauer in einem Spannungsfeld der Sichtweisen wieder, zwischen mal widerstreitenden, mal einander ergänzenden Perspektiven, immer aber im Zweifel bezüglich der eigenen ungefestigten Position: Soll man, angesichts des morallosen Treibens, die des distanzierten Ekels wählen? Oder sich der Faszination ergeben, ob schauspielerischer Leistungen, die Figuren wie Kaleidoskope schillern lassen? Es ist kalte Raffinesse, die sich hier mit kühlem Kopf bewundern lässt, ein analytisches Meta-Vergnügen an einer wie Chrom glänzenden dramaturgischen Mechanik, die unterschiedslos alle und alles durch den Fleischwolf dreht.