„Fistful of Dynamite“ aka „Duck, You Sucker!“ aka „Giù la testa” aka „Once Upon a Time ... the Revolution“ aka „Todesmelodie“: Im seinerzeit unterschätzten politischen Mittelteil seiner Amerika-Trilogie wirft Sergio Leone einen abgeklärt-melancholischen Blick auf Revolution, Freundschaft und Verrat.
Nachdem er mit der Dollar-Trilogie (1964–1966) das Western-Genre nachhaltig verändert und mit Once Upon a Time in the West (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) Anerkennung als ernsthafter Filmkünstler erfahren hatte (John Boorman: „Both the greatest and the last Western“), fragte sich Sergio Leone (1929–1989), wie es nun weitergehen sollte. Der (Popkultur-)Historiker und Leone-Experte Christopher Frayling zitiert den italienischen Regisseur in seinem Buch „Spaghetti Westerns“ mit folgenden Überlegungen: „I wanted to bring one period of my work to a close. So I revisited some of the big situations in my earlier films… I pushed myself to treat them differently, while remaining faithful to my style. Then I took account of the fact that [the film] could become the second panel of a new triptych… this one would push the story on to the second American frontier… After that, I knew I would be ready to speak of my defining fantasies: my relationship with America, lost friendship and the cinema.“
Räumen wir zu Beginn gleich den vielleicht verwirrendsten Aspekt dieses Filmprojekts beiseite: Als italienischen Originaltitel wählte Leone Giù la testa („Zieh den Kopf ein“), was er für den US-Release im Glauben, es handle sich um eine im Englischen gängige Redewendung, als Duck, You Sucker! übersetzt haben wollte. Dies wurde jedoch als irreführend bzw. zu komödiantisch empfunden und führte nach einem schwachen US-Kinostart – der Film war zusätzlich noch stark beschnitten worden – zu einigen Alternativbenennungen. In Frankreich brachte man Giù la testa unter dem Arbeitstitel des Drehbuchs, Il était une fois la révolution („C’era una volta la rivoluzione“ – „Es war einmal die Revolution“), ins Kino, im deutschen Sprachraum wollte man mit Todesmelodie an den Erfolg von Spiel mir das Lied vom Tod anschließen, und in Polen bezog man sich mit Za gars´c´ dynamitu („Für eine Handvoll Dynamit“) auf die Dollar-Trilogie. Im englischen Sprachraum veröffentlichte United Artists den Film über die Jahre öfter als Fistful of Dynamite und seltener als Once Upon a Time… the Revolution. So viel dazu. In finanzieller Hinsicht war der Film im Vergleich mit Leones vorhergehenden Filmen kein Überflieger, spielte aber beispielsweise in Frankreich und Italien viel ein; über die Jahre wuchs auch der Ruf bei der damals gar nicht so übelwollenden, aber insgesamt doch schaumgebremsten Kritik.
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Vergangenheit und Gegenwart
Der Film, der hier im Folgenden (aufgrund der Kürze) mit Todesmelodie bezeichnet wird, entstand in einem politisch aufgeheizten Klima; 1968 hatten die Studentenunruhen in Paris stattgefunden, das Schlagwort Revolution war in aller Munde. Alles war politisch, auch – und vielleicht ganz besonders – das italienische Kino. Das Italowestern-Genre, das Leone mitbegründet hatte und wie wohl kein anderer prägte, erzählte, nicht selten von grimmigem Humor begleitet, bereits von einer ungerechten Welt, die von Zynismus, Gier und Grausamkeit beherrscht wird. Die Hauptfiguren waren hier keine strahlenden All American Heroes (oder gar Old Shatterhands), sondern Anti-Helden, die relativ skrupellos mit ihren Gegnern umgingen. Manchmal schmuggelten Regisseure wie Sergio Sollima dabei auch politische, kapitalismus- und US-kritische Aspekte in ihre Filme.
Einen Sonderfall des Genres markiert der Zapata-Western, der zur Zeit der mexikanischen Revolution spielt (empfehlenswert hier u.a. Sergio Corbuccis Il mercenario von 1968, in dem Franco Nero Kapitalismus und Klassenverhältnisse anhand eines nackten Frauenkörpers erklärt). Von den meisten Filmemachern wurde die Revolution dabei positiv dargestellt, doch der aus einer antifaschistischen Familie stammende Leone, dessen Vater Regisseur und Schauspieler war, erzählt die Geschichte mithilfe seiner Co-Autoren Sergio Donati und Luciano Vincenzoni anders: abgeklärt, melancholisch, grausam. Passend, dass Todesmelodie mit einem Zitat Mao Zedongs eröffnet wird: „Die Revolution ist kein Festessen, kein literarisches Fest, keine Stickerei. Sie kann nicht mit Eleganz oder Artigkeit durchgeführt werden. Die Revolution ist ein Akt der Gewalt.“
Im Mittelpunkt der leicht pikaresk angehauchten Handlung steht ein ungleiches Paar: Der von James Coburn gespielte, aus Irland geflüchtete Republikaner und Sprengstoffexperte John (oder, hier ist der Film ambivalent, doch „Seán“?) Mallory und der mexikanische Bandit Juan (Rod Steiger), der mit einem Clan an unehelichen Söhnen Dinger dreht. Juan will mithilfe des widerwilligen, trinkfreudigen und desillusionierten Mallory – der mehrmals versucht, sich von Juan abzusetzen – bloß eine Bank überfallen, doch die beiden geraten immer wieder in politische Wirren, was dazu führt, dass besonders der unpolitische Juan zum Revolutionshelden wider Willen wird. Dazwischen werden die beiden Zeugen von Grausamkeiten, Kämpfen und Hinrichtungen – und allmählich Freunde.
In seinen früheren Filmen hatte Leone US-Mythen gleichzeitig überhöht und dekonstruiert, auch wenn es durchaus Anknüpfungspunkte an reale Ereignisse (etwa der Bürgerkrieg in The Good, the Bad and the Ugly) gegeben hatte. Die Themen Verrat und Klassenunterschiede, der skrupellose Drang nach Reichtum und sozialem Aufstieg, lassen sich in jedem Teil von Leones Amerika-Trilogie ausmachen: Am intensivsten wohl im abschließenden Teil Once Upon a Time in America, in dem sich Robert De Niro als Gangster auf die Suche nach der verlorenen Zeit macht – und nach Jahrzehnten entdeckt, dass er von einem Jugendfreund, mit dem er durch dick und dünn ging, hintergangen wurde. Mit Todesmelodie verarbeitete Leone dieses Thema trotz gelegentlicher Anachronismen jedoch so konkret politisch wie bei keinem anderen Werk.
Bereits zum satirisch geprägten Beginn des Films, als der schäbig gekleidete Juan in einer luxuriösen Kutsche mitfährt, werden reale Namen und Ereignisse zur Zeit der Handlung benannt, darunter der Revolutionär und Präsident Mexikos, Francisco Madero (1911–1913) sowie die Zustände im Agrarbereich, eine der Hauptursachen für die Revolution. Bevor er einsteigt, pinkelt Juan noch eine Ameisenkolonie an – ein passendes Bild für Machtverhältnisse und Willkür –, dann lässt er die spöttischen und verächtlichen Kommentare der reichen Passagiere über sich ergehen. Die Aussagen der Oberklasse-Vertreter, die Juan als „tierisch“ bezeichnen, werden von Leone durch Nahaufnahmen kauender Münder sogleich hintertrieben. Die Spöttelei hat eine Ende, als Juans Clan die Kutsche überfällt und zum Stehen bringt: Die überlebenden, ihrer Habseligkeiten beraubten Passagiere werden nackt in einen Schweinekoben gestoßen; eine Frau, die sich über Juan lustig machte, vergewaltigt. Als schließlich Mallory auf einem Motorrad daherkommt und eher unfreiwillig seinen virtuosen Umgang mit Dynamit demonstriert, glaubt Juan zu wissen, mit wem er seinen Lebenstraum – den Überfall auf die Bank von Mesa Verde – umsetzen kann.
Um auf die oben erwähnten Nahaufnahmen zurückzukommen: Leones Trademarks, die extremen Close-ups, die sich mit Panoramen abwechseln, sind auch in Todesmelodie stark vertreten (Kamera: Giuseppe Ruzzolini), das Epische ist allerdings nochmals gesteigert: Schlacht- und Exekutionsszenen sind mit inszenatorischer Raffinesse und komplexen logistischen Abläufen in Szene gesetzt. Trotz des großen Aufwands sind die Figuren dabei menschlicher gezeichnet als die oftmals mythischen Typen der Vorgängerfilme. Sowohl Mallory als auch Juan haben charakterliche Ambivalenzen und machen Wandlungen durch; besonders Juan, der zu Beginn an Tuco aus The Good, the Bad and the Ugly erinnert, wird im Verlauf der Handlung immer vielschichtiger. Sowohl Steiger (der vielleicht „schauspielerndste“ Hauptdarsteller in einem Leone-Film) als auch Coburn sind sehr gut in ihren Rollen (Coburns irischer Akzent ist zwar eine Spur inkonsistent, aber das fällt angesichts des Umstands, dass Leone viel mit Blicken arbeitet, nicht stark ins Gewicht). Mit Method Actor Steiger, der wenige Jahre zuvor einen Oscar erhalten hatte, krachte Leone, der manche Takes extrem oft wiederholen ließ, am Set heftig zusammen; zu verschieden schienen die Auffassungen von Film und Schauspielführung zu sein. Man versöhnte sich jedoch, und später schwärmte Steiger gar von Leones Methoden.
Bitterer Humor
Eine der virtuosesten Szenen, in der brutale Action und Humor zusammenkommen, ist der schließlich wirklich stattfindende Überfall auf die Bank von Mesa Verde. Im Glauben, nun reich zu werden, öffnet Juan nach dem explosiven Vorstoß ins Gebäude Safetür um Safetür – nur um zu entdecken, dass er benutzt wurde: Hinter den Türen verbergen sich keine Banknoten, sondern verhaftete Revolutionäre.
Somit fügen sich auch die Pointen in den skeptischen Grundton des Films; Leones Ansicht von Revolutionen drückt sich wahrscheinlich ziemlich ungefiltert in einem wütenden Monolog Juans gegenüber Mallory aus, der gerade ein Buch von Bakunin liest: „I know what I am talking about when I am talking about revolutions! The people who read the books go to the people who can’t read the books, the poor people, and say, ,We have to have a change.‘ So, the poor people make the change, ah? And then, the people who read the books, they all sit around the big polished tables, and they talk and talk and talk and eat and eat and eat, eh? But what has happened to the poor people? THEY ARE DEAD! That’s your revolution! Sh… so, please… don’t tell me about revolutions. And what happens afterwards? The same fucking thing starts all over again!“
Dass Leone das Thema universell anlegte, zeigt sich in Anspielungen auf die damals noch jüngere Geschichte Europas – so erinnert etwa ein Panzer an die NS-Zeit, und Juans Söhne werden in Anspielung auf ein reales Massaker in Italien während des Zweiten Weltkriegs in einer Höhle erschossen. Dass das Meisterwerk nicht unbedingt auf ein Happy End hinauslaufen wird, erahnt man spätestens hier.
Neben den vielen politischen Erschießungen gibt das Thema Verrat – eine Obsession Leones – dem Film die bitterste Note, was besonders in Mallorys Flashbacks zum Tragen kommt: Mallorys irischer Kampfgefährte und bester Freund Nolan, mit dem ihn auch eine Ménage à trois verbindet, kommt in Begleitung von britischen Soldaten in das Stammpub der beiden, das Gesicht von Schlägen gezeichnet. Dabei identifiziert er einen Gast nach dem anderen als Widerstandskämpfer. Mallory betrachtet die Szene abgewandt im Spiegel. Als Nolan auch ihn identifiziert, zieht Mallory mit einem Gewehr die Konsequenzen, tötet erst die Soldaten und schließlich, nach einem langen intensiven Blick, Nolan. Auch diese Revolution ist eine tragische.
Leone inszeniert diese Rückblende, die sich im Verlauf des Films schon mehrfach angekündigt hat, in Zeitlupe, ganz ohne Dialog, unterlegt mit der grandiosen Musik von Ennio Morricone. Das hier erklingende Stück „Giù la Testa“ ist eines der besten, das der Maestro je komponiert hat: Die Streicher beginnen düster, dann folgt ein eigentlich fröhliches, melodiöses Pfeifen, eine Männerstimme singt „Sean Sean“; schließlich geht dieser Hauch von Easy Listening in eine wunderschöne, aber melancholische Melodie über, wenn die Stimme von Edda Dell’ Orso auf die immer intensiver aufspielenden Streicher trifft. Man lächelt mit Tränen in den Augen angesichts des breiten Gefühlsspektrums, das Leone und Morricone (a marriage made in heaven) hier abdecken. Die Rückblendentechnik – den Protagonisten gehen kurze Fragmente vergangener Ereignisse durch den Kopf, am Ende fügt sich für den Betrachter alles zu einem Gesamtbild – hatte Leone bereits in For a Few Dollars More und Once Upon a Time in the West eingesetzt; in Once Upon a Time in America sollte er dieses Stilmittel dann ins Extrem treiben.
Das Verrats-Thema wird auf einer zweiten Ebene anhand der Nebenfigur Doktor Villega (Romolo Valli) aufgenommen – auf eine Weise, in der Desillusionierung und Vergebung nahe beieinander liegen: Villega, ein glühender Revolutionär, der sich sicher war, unter Folter nicht zu reden, tat dies eben doch – was zur Exekution vieler Kampfgefährten führte. Mallory, der diesen Verrat entdeckt, verurteilt Villega jedoch nicht: „I did that only once in my life.“
Das auf ein explosives Finale folgende, abschließende Bild des Films zeigt das entsetzt-ratlose Gesicht des nun endgültig auf sich allein gestellten Juan. Es wird, je nach Schnittfassung, entweder von Stille oder einem kurzen inneren Monolog begleitet: „What about me?“