Sowjetische Politik und die Musicals Tadschikistans.
Die zentralasiatische Republik Tadschikistan grenzt im Norden und Westen an Kirgisistan und an Usbekistan, im Süden an Afghanistan und im Osten an China. Tadschikistan wurde 1924 als Autonome Sowjetrepublik innerhalb der Usbekischen SSR Teil der Sowjetunion und ab 1929 als Tadschikische SSR Vollmitgliedstaat.
Sowjetische Musicals repräsentieren nicht nur in der Geschichte des russischen Kinos, sondern auch im Kino Tadschikistans eine leuchtende Facette. Musikfilme waren beim sowjetischen Volk sehr beliebt. Das Tajikfilm-Studio, das 1930 in Stalinabad (der frühere Name für Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans) eröffnet wurde, wurde von der sowjetischen Regierung als Produktionszentrum hauptsächlich von Musik- und Märchenfilmen wahrgenommen. Dies zeigt sich anhand der Dominanz von Filmen dieser Genres gegenüber der Produktion von ernsthafteren Genrefilmen in der Filmografie von Tajikfilm. Als Goldenes Zeitalter der tadschikischen Musicals gilt die Zeit von etwa Mitte der fünfziger bis in die späten siebziger Jahre. Ernste Genrefilme der Zeit beschäftigten sich mit der Errichtung der Sowjetmacht in den Bergregionen des historischen Tadschikistan sowie mit dem militärisch-patriotischen Thema über das Leben an der Heimatfront während des Großen Vaterländischen Krieges (1941–1945).
Tajikfilm erhielt von anderen Filmstudios einen inoffiziellen Spitznamen: „Basmachfilm“ – ein Hinweis auf die häufige Produktion von Filmen über die Basmachi, die bäuerlichen Kämpfer der nationalen Befreiungsbewegung in Zentralasien in den zwanziger und dreißiger Jahren, die sich der Errichtung der Sowjetmacht widersetzten. Basmachi wurde in diesen Filmen jedoch als ausländische Geheimdienstler, religiöse Reaktionäre und Unterstützer sozialer Ungleichheit dargestellt. Basmachi-Filme nutzten die Struktur des amerikanischen Westerns und repräsentierten die Region Zentralasien, insbesondere das Territorium der Tadschikischen SSR, als einen Wilden Osten, der mit Exotik und Mysterium gewürzt war. Hier kämpften sowjetische Revolutionshelden um ein neues Leben und eine neue Weltordnung. Die Filme, die für ein sowjetisches Massenpublikum bestimmt waren, erfüllten die Aufgabe der Mythenbildung. Über die riesigen sowjetischen Filmvertriebsnetze waren diese Filme für die anderen Sowjetrepubliken verfügbar.
Der Osten wurde als Raum der Dystopie und Utopie wahrgenommen.1 Während die tadschikischen Filme über die Schlachten mit den Basmachi den Mythos einer längst vergangenen Vergangenheit weg voller Patriotismus und Heldentum präsentierten, so spiegelten die oft optimistischen und verträumten Musikfilme einen utopischen Traum wider. Obwohl sie in zeitgenössischen Settings spielten, abstrahierten sie vom tatsächlichen Leben. Die Filmemacher von Tajikfilm erzielten in vielen Musikfilmen eine komödiantische Wirkung, indem sie Märchenfiguren in moderne Umstände versetzten, um sich beispielsweise über die Korruption der bürokratischen Elite, die konservative Mentalität und den übertriebenen orientalischen Respekt vor sozialen Hierarchien lustig zu machen.
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Meiner Meinung nach kann man Tajikfilm als „Märchenfabrik“ bezeichnen. Es entstanden zahlreiche Märchen, zum Beispiel die Scheherazade-Trilogie, basierend auf den „Märchen aus 1001 Nacht“, unter der Regie von Takhir Sabirov (1985–1988), sowie verschiedene Filme über den volkstümlichen Helden Khwaja Nasreddin, einen sarkastischen Weisen, der auf einem Esel ritt. Zu diesen Märchentiteln gehören Muqaddas Makhmudovs One-Thousand and Two Nights (Tisyacha vtoraya noch, 1964), Klimenti Mints’ The Twelve Graves of Khwaja Nasreddin (Dvennadtsat’ mogil Hodji Nasreddina, 1966) und Marat Aripovs Look More Cheerful (Glyadi veseley, 1982). Diese Filme zeigten das Bild eines märchenhaften Landes, das von Riesen und Helden, amazonenhaften Schönheiten, listigen Wesiren (Regierungsbeamten), engstirnigen Sultanen und armen Männern, die Prinzessinnen heiraten, bewohnt wird. Die Filmfiguren singen oft oder werden Zeugen eingefügter musikalischer Tanznummern, zum Beispiel in Harems. Laut S. N. Yakushenkov wurde dieses utopische Bild des sowjetischen Ostens aus einer Vielzahl von Patchwork-artigen Facetten geschaffen, die es dem Betrachter nicht erlaubten, das wahre „Gesicht“ dieses „Anderen“ zu sehen.2 Was das tadschikische Volk betrifft, so wurde der Hunger nach einer authentischen Darstellung seiner eigenen Kultur vor allem ab den achtziger Jahren immer stärker. Das drückte sich unter anderem in der Wiederbelebung der nationalen Kultur in Form der Übernahme der tadschikischen Sprache als Staatssprache aus.
Dieser Essay soll die Traditionen der tadschikischen Filme untersuchen, deren Musik von bekannten sowjetischen Komponisten geschaffen wurde, wie The Tajik Film Concert (Tadjikskiy Kinokontsert, 1943), I Met a Girl (Ya Vstretil Devushku, 1957), Love Me, Love Me Not (Lyubit ne Lyubit, 1963), The White Piano (Beliy Royal, 1968) und The Cook and the Singer (Povar i Pevitsa, 1978). Es ist wichtig anzumerken, dass diese Musicals ein rein sowjetisches Phänomen in der tadschikischen Kultur waren, da sie mit dem Zusammenbruch der UdSSR aufhörten zu existieren. Diese Hochblüte verdankte sich in erster Linie dem Multikulturalismus dieses Filmgenres, der engen Zusammenarbeit zwischen berühmten sowjetischen Komponisten und Sängern aus der gesamten Union sowie der Verfügbarkeit der technischen Unterstützung des Orchesters des Staatskomitees des Ministerrats der UdSSR für Kinematografie. Die tadschikische SSR allein verfügte nicht über solche Ressourcen. Tadschikische Musicals waren das Produkt einer überregionalen Zusammenarbeit. Manchmal wurde das Drehbuch in einem anderen sowjetischen Studio entwickelt oder bei einem in Moskau lebenden Drehbuchautor bestellt. Auch die Musik wurde in Moskau geschrieben; mit Originaltexten tadschikischer Dichter, die entweder auf Tadschikisch oder Russisch geschrieben und dann in die jeweils andere Sprache übersetzt wurden. Während der Postproduktion wurden die Dialoge des Films auf Russisch synchronisiert und die Lieder mit berühmten Stimmen für den Vertrieb in der gesamten Union neu aufgenommen. So wurde ein komplexer Produktionsmechanismus geschaffen, um die Entstehung der Musicals in einer universellen Filmsprache zu koordinieren. Der Wunsch, eine solche Filmsprache für das sowjetische Publikum zu schaffen, bedeutete auch, dass Musicals kein Ausdruck der Mentalität der Menschen in der tadschikischen SSR waren, sondern ein Spiegelbild der Vorstellungen anderer.
Die Ursprünge des tadschikischen Musicals gehen auf die traditionelle Musikkultur zurück. Improvisierte Liedduette, genannt badekha, wurden zu den Versen von Volksdichtern und zu denen klassischer Dichter der tadschikisch-persischen Literatur wie Rudaki, Saadi und Jami aufgeführt. Gleichzeitig gab es dramatisierte komische Lieder, die der Unterhaltung dienen sollten, sowie Lieder praktischer Art, die die landwirtschaftliche Arbeit begleiteten und eine gewisse Art von rituellem Zauber ausdrückten, der mit dem Fruchtbarkeitskult verbunden ist. So wurden Lieder zu einem festen Bestandteil tadschikischer Filme, bei denen die Charaktere während der Arbeit oder während des Nichtstuns singen. Die ersten professionellen Komponisten, die in Musiktheatern arbeiteten (und sich später der Filmmusik zuwandten), nutzten die Gelegenheit, um authentische tadschikische Volkslieder oder Lieder aus tadschikischen Opern, die auf Folklore basieren, aufzunehmen. So wurde der in Armenien geborene Sergei Balasanyan zum ersten eingeladenen Filmkomponisten des tadschikischen Kinos. Er schuf „The Uprising of Vose“, die erste tadschikische Oper über den Nationalhelden aus Baljuvan im Süden Tadschikistans, der im 19. Jahrhundert einen Aufstand gegen den Emir von Buchara auslöste. Balasanyan verwendete das Volkslied über Vose aus seiner oben erwähnten Oper in dem Film Dokhunda (1956), bei dem Takhir Sabirov Regie führte. Balasanyan hatte die Musik seiner Oper „The Uprising of Vose“ nach lebendigen volkstümlichen Themen und Melodien geschaffen.
In der neu gegründeten Tadschikischen SSR ergriff die sowjetische Regierung Maßnahmen, um sowohl die Musikausbildung zu fördern als auch das nationale musikalische Erbe zu bewahren. Die Forschungen und Bemühungen zur weiteren Popularisierung der traditionellen tadschikischen Musik wurden mit der Gründung des Research Folklore Department of Music im Jahr 1937 in Stalinabad eingeleitet.3 Eine der Folgen der Entwicklung der Musikkunst der Völker des Ostens war die Wiederbelebung ihres Selbstbewusstseins und die Anerkennung ihres eigenen Liedguts als bedeutender Bestandteil der Weltmusikkultur.4 Daher spiegelten sich die Volksmusik und Lieder von Sergey Balasanian sowie die traditionelle tadschikische Tanzkunst von Gafar Valamatzadeh, dem ersten professionell ausgebildeten lokalen Tänzer und Choreografen, auch in den Tajikfilm-Produktionen wider. Es wurde davon ausgegangen, dass Musicals, wie das Kino selbst, eine universelle Sprache sprechen, die von den Massen verstanden wird, weil die Lieder motivieren, inspirieren, erziehen, unterhalten und die Zuschauer hin zu sozialistischen Werten lenken sollten.
So war Mukhamadjon Rahimi, der tadschikisch-sowjetische Dichter und einer der ersten vor Ort ausgebildeten Drehbuchautoren, an der Komposition von Texten für die Lieder des ersten tadschikischen Musicals mit dem Titel The Tajik Film Concert (1943) beteiligt. Es war dies der achte Film des Tajikfilm-Studios, das 1932 mit der Produktion begonnen hatte. Rahimis Arbeit in The Tajik Film Concert zeigte, wie neue sozialistische Inhalte in traditionelle poetische Imaginationen und Strukturen eingebettet werden konnten. The Tajik Film Concert wurde von Klimenti Mints inszeniert, einem Regisseur des Stalinabad-Filmstudios, das während der Evakuierung der führenden Filmstudios in Zentralasien während des Großen Vaterländischen Krieges mit Soyuzdetfilm (dem ehemaligen Maxim-Gorki-Filmstudio) zusammengelegt worden war. Der Film bestand ausschließlich aus Musikstücken, die von den Künstlern des neu gegründeten tadschikischen Musiktheaters, Balletts und der Philharmonie aufgeführt wurden, und sollte sowjetische Soldaten an der Front unterhalten.
Diese Absicht rechtfertigte Mints’ Wunsch, den Betrachter zu überraschen und das Material exotisch zu präsentieren. Zum Beispiel zeigt die Eröffnungsszene des Musicals einen Theatervorhang, der sich zu einer Filmleinwand öffnet. Ein alter Geschichtenerzähler, auf Tadschikisch hafiz genannt, beginnt eine Geschichte über die uralte Kultur des Landes und präsentiert einen Zug auf Kamelen reitender Rubab-Spielerinnen (die Rubab ist ein lautenähnliches Instrument) entlang der Großen Seidenstraße. Die Musik für den Film wurde von Balasanyan basierend auf tadschikischen Volksmelodien geschrieben, wobei Gafar Valamatzadeh die Tänze und Lieder choreografierte und in zwei der Tanznummern selbst auftrat.
The Tajik Film Concert war schematisch aufgebaut und ähnelte eher einer Theatervorstellung, deren musikalische Nummern von einem alten Geschichtenerzähler, einer klugen Tänzerin oder einem herzigen Kind angekündigt wurden. Auffällig war auch, dass die elf nachfolgenden Musiknummern die Erzählung nicht vorantrieben. Im Allgemeinen war die Struktur des Musicals als Patchwork angelegt: Es gab Haremskostüme, eine große Menge an Schmuck, sinnliche Tänze, traditionelle Musikinstrumente als Requisiten, Säbeltänze in Koexistenz mit volkstümlichen pantomimischen Tänzen sowie den Taubentanz, den Storchtanz und den Schlangentanz. Der orientalistische Blick auf die tadschikische Kultur hier ähnelt dem von Sergei Diaghilews berühmten „Russischen Jahreszeiten“, den Aufführungen der Ballets Russes in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Nur die letzten Musikstücke von The Tajik Film Concert erinnerten die Zuschauer an die Sowjetmacht. Da trat Rena Galibova auf, die berühmte tadschikische Sängerin und „Künstlerin des Volkes der Tadschikischen SSR“. Zunächst sang sie auf Tadschikisch und in tadschikischer Tracht ein Lied namens „Dear Moscow“. Sie kletterte auf das Dach eines auf einem Flughafen geparkten Flugzeugs. Der Wechsel zu westlicher Kleidung und Frisur markierte auch einen sprachlichen Wandel: Das Lied wurde auf Russisch mit deutlichem tadschikischem Akzent gesungen. Der Subtext dieser Szene war klar: die Verwandlung der tadschikischen Frau in eine befreite Frau des Ostens.
Waren die anderen Musiknummern kaum zeitlich datiert und spielten eher in einer Phantasiewelt, so deutete die Szene mit dem Flugzeug auf den Beginn der Moderne, den Wandel des Selbstbewusstseins und den Gewinn der Freiheit hin. Natürlich erzählte dieses Lied von der „Freiheit“, die das tadschikische Volk dank „Mütterchen Russland“ erlangt hatte.
Die tadschikischen Musicals der vierziger und fünfziger Jahre waren beeinflusst vom europäischen Musiktheater und von den russischen Filmmusicals der stalinistischen Zeit mit einer starken Präsenz von Liedern und „Attraktionen“, Unterhaltungselementen im Kino, wie Sergei Eisenstein sie bezeichnet hatte. Ein weiterer Trend in diesen Werken ist die Schaffung eines imaginären Sowjetischen Tadschikistan. Die Lieder, die in den tadschikischen Musicals von 1956 bis in die achtziger Jahre zu hören waren (z. B. der von Aida Vedisheva gesungene „Road Song“ in White Piano, 1968, inszeniert vom tadschikischen Regisseur Muqaddas Makhmudov) zeigten die Tadschikische SSR als sonniges Land mit einem dauerhaft klaren blauen Himmel, die Straßen der Stadt gefüllt mit Blumenbeeten und Mädchen, die schön und stolz aussehen wie die unzugänglichen Schneeberge des Pamir. Die Musik von Alexander Zatsepin, dem berühmten sowjetischen Filmkomponisten, und die Texte von Onegin Hajikasimov, dem berühmten sowjetischen Liedtexter aserbaidschanischer Herkunft, trugen in mehreren Musicals zur Etablierung einer solchen Aura des alten Duschanbe bei.
Das alte Duschanbe und sein authentisches Erscheinungsbild sind allerdings heute fast verschwunden und den Hi-Tech-Hochhäusern gewichen. Aber die Atmosphäre, die die Lieder in The White Piano erzeugen, weckt bei Tadschikinnen und Tadschiken aller Generationen im In- und Ausland noch immer eine starke Nostalgie, die Sehnsucht nach einer Utopie, nach einem verlorenes Paradies. Das Lied enthielt folgende Zeilen: „Es soll irgendwo Städte von wundersamer Schönheit geben, aber ich werde nur Duschanbe für immer in meinem Herzen behalten“. Die Ironie daran war natürlich, dass der Komponist Alexander Zatsepin noch nie in Tadschikistan gewesen war, als er die Musik für The White Piano schrieb. Die Geschichte des Films folgt einem eher schematischen Szenario. Eine Kunstkritikerin aus Moskau macht sich auf die Reise in die Tadschikische SSR, um im Harem des letzten Emirs von Buchara das weiße Klavier einer ausländischen Konkubine zu finden. Ihr Chef rät ihr von der Reise dringend ab, aber sie nimmt die Herausforderung an, um sich mit den Touristenattraktionen von Duschanbe, dem nationalen Flair und der fremden Mentalität vertraut zu machen, was zu einer Reihe von komischen Vorfällen führt, die es Makhmudov ermöglichen, sich über lokale Besonderheiten lustig zu machen.
Zum Beispiel gibt es eine Szene, die den Ehebruch eines verheirateten tadschikischen Komponisten, Vater von zehn Kindern, schildert. Gespielt wird er von Frunzik Mkrchtyan, einem sowjetischen Schauspieler armenischer Herkunft. Das Musical enthält eine Traumsequenz („Song of the Art Critic“), in der die Kunstkritikerin davon träumt, in einem Harem empfangen zu werden, begleitet von Eunuchen, die ein Lied darüber singen, dass sie vom Arbeitsamt diese Arbeit zugewiesen bekommen hätten und dafür gut bezahlt würden. Die Kunstkritikerin ihrerseits trainiert Konkubinen darin, Rock’n’Roll statt Bauchtanz zu tanzen. Dann gibt es ein weiteres Lied, das von der romantischen Heldin gesungen wird, gespielt von Stalina Azamatova, der Ballerina, die in den sechziger Jahren ein tadschikischer Filmstar war. Das Lied zeichnet das Bild von einem rauen Wind in einer Wüste, von einer Karawane von Kamelen, von Dünen und einer Palme an einer Kreuzung, wo die Heldin verspricht, auf einen imaginären Liebhaber zu warten. Auch diese Bilder, wie das des Harems, waren losgelöst von der Realität der Tadschikischen SSR, in der keine Palmen wachsen, und die als ein von feudal-patriarchalischen Überresten dominiertes Territorium dargestellt wurde. Die moderne Kunstkritikerin auf der Suche nach dem historischen Klavier unter unwissenden Menschen, die den wahren Wert ihres kulturellen Reichtums nicht erkennen, verkörperte wiederum die Mission, das kulturelle Erbe des sogenannten „jüngeren Bruders“ hervorzuheben – so wurden die Unionsrepubliken innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik genannt.
Die Entstehung der Musicals erforderte die gleichzeitige Arbeit an Drehbuch, Text und Musik. Eine der Hauptschwierigkeiten bestand darin, dass die russischen Texte zu bereits komponierter tadschikischer Musik mit einem anderen Tempo und Rhythmus hinzugefügt werden mussten. Vor allem unter dem Einfluss der populären Filmkomödien von Leonid Gaidai wie Prisoner of the Caucasus (Kavkazskaya Plennitsa, 1967) oder Ivan Vasilevich Changes His Profession (Ivan Vasilevich Menyaet Professiyu, 1973) wurde jenen sowjetischen Komponisten und Song-Schreibern Priorität eingeräumt, die bereits Erfahrung mit dem Musikmachen für diese Art von Film hatten.
Alle Produktionen von Tajikfilm wurden in der Regel zweisprachig geplant: Der Film wurde auf Tadschikisch mit tadschikisch gesungenen Liedern gedreht und später in Moskau auf Russisch neu synchronisiert und gesungen. Zum Beispiel wurde die Rolle von Zukhra, der weiblichen Protagonistin in The Cook and the Singer (1978), einem weiteren Musical von Muqaddas Makhmudov (Ko-Regisseur war der sowjetische Filmemacher Valery Kharchenko), von Makhfirat Khamrakulova, der beliebten tadschikischen Sängerin der siebziger und achtziger Jahre, gespielt. Da sie alle Lieder gesungen hat, ist davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer Gesangskünste besetzt wurde. Als der Film jedoch in Moskau ins Russische synchronisiert wurde, wurden ihre Lieder von Alla Pugacheva, der beliebten sowjetischen und späteren russischen Sängerin, neu aufgenommen. Auch die beiden Lieder aus Pugachevas erstem Album, das im Jahr der Filmproduktion (1977) veröffentlicht wurde, wurden im Film verwendet. Die Wahl von gefeierten Sängerinnen und Sängern wie Alla Pugacheva, Muslim Magomayev, Aida Vedisheva, Mikhail Boyarsky und Filmkomponisten wie Alexander Zatsepin, Andrey Babaev und Eduard Artemyev sicherte die Schallplatten-Veröffentlichung der Filmsongs für die gesamte Union. Wie der Filmregisseur Muqaddas Makhmudov gemeint hat, musste das tadschikische Kino eine universelle Anziehungskraft haben, um in der gesamten UdSSR verstanden zu werden.
Die Internationalisierung der Musik wurde als Spiegel dieser universellen Anziehungskraft verstanden. Im Zusammenhang mit dem Engagement für die Internationalisierung der sowjetischen Kunst in den vierziger Jahren schrieb Sergei Balasanyan einen Artikel mit dem Titel „Was verhindert die Entwicklung der Oper in Zentralasien?“. Der Artikel wurde schließlich verboten, weil er feststellte, dass die meisten Werke der Komponisten, die Zentralasien besuchten, zwar vorgaben, national zu sein, dass es sich in Wahrheit aber um russische Opern zu zentralasiatischen Themen handelte, die nach den typischen Opernvorlagen des 19. Jahrhunderts geschrieben wurden. Er fügte hinzu, dass varyagi (ein abwertender Begriff für Ausländer, Fremde) ohnehin keine nationale Kunst schaffen könnten. Einige Vertreter der tadschikischen Intelligentsia der fünfziger Jahre wurden des Nationalismus bezichtigt, weil sie der aktiven Schaffung neuer Musikstücke in europäischen Genres entgegenstünden, und weil sie argumentierten, dass die eigene einheimische Kultur entwickelt werden sollte, anstatt fremde Musik zu propagieren. Die Diskussion um europäische Musikgenres illustriert ganz und gar den Ansatz bei der Entstehung des sowjetischen Musicals, die Bemühungen, die sowjetische Musikkultur als künstlichen Organismus auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Der Höhepunkt des tadschikischen Musicalfilms ist I Met a Girl (Ya vstretil devushku, 1957), der 14 Jahre nach The Tajik Film Concert entstand. Regie führte Rafail Perelstein, ein sowjetischer Filmemacher, der nach Tadschikistan eingeladen wurde, um eine wichtige Aufgabe zu erfüllen – das Musical zu drehen, das 1957 in Moskau die Republik beim „Zweiten Jahrzehnt der tadschikischen Kunst“ repräsentieren sollte. Die Musik zu I Met a Girl wurde von Andrey Babaev, einem aserbaidschanischen Komponisten, komponiert. Die tadschikischen Texte wurden von Mirzo Tursunzadeh, dem tadschikischen Dichter, geschrieben. Aber das charakteristische Lied des Films, „Ya Vstretil Devushku“ (übersetzt als „I Met a Girl“ auf Englisch und „Didam jamole“ auf Tadschikisch), wurde wegen seines russischen Textes bekannt, der vom sowjetischen Armenier Gabriel El-Registan geschrieben und von Rashid Beibutov, dem aserbaidschanischen Sänger, gesungen wurde. Die Verwirrung über die Identität des weithin bekannten Liedes (man kann darüber streiten, ob das Lied aserbaidschanisch, armenisch, tadschikisch oder russisch ist) spiegelt den Multikulturalismus der tadschikischen Sowjet-Musicals wider. Später wurde das Lied in vielen Sowjetrepubliken immer wieder neu aufgenommen.
Die Handlung von I Met a Girl besteht darin, dass Lola, ein talentiertes junges Mädchen, überredet werden soll, ihre Ausbildung nach dem Abschluss nicht fortzusetzen und nicht im städtischen Ensemble zu singen und zu tanzen. Singen und Tanzen galten als unanständige Aktivitäten, wenn sie von einem traditionell erzogenen Mädchen öffentlich praktiziert wurden. Viele aktive Komsomol-Mitarbeiter überreden Lolas Vater jedoch, seiner Tochter zu erlauben, auf der Bühne aufzutreten. Interessanterweise wird I Met a Girl vom tadschikischen Volk dank der kreativen Verwendung tadschikischer Volksmusik durch Andrey Babaev, die seiner eigenen aserbaidschanischen Kultur nahe stand, als „nationaler Film“ wahrgenommen. Mirzo Tursunzadeh verschmolz die Merkmale der tadschikischen Gefühlswelt, seine Kenntnis des lokalen Lebens und die lyrische Tradition der tadschikischen klassischen Poesie in den komponierten Liedtexten. Im Gegensatz zu The Tajik Film Concert weist I Met a Girl eine dreiaktige Struktur auf, die um unterhaltsame Intrigen konstruiert wurde. Die von Gafar Valamatzadeh choreografierten Nationaltänze wurden als eine Art Proto-Sprache verwendet und ersetzten den Dialog. In der Szene beispielsweise, in der die ehemaligen Klassenkameraden anfangen zu tanzen, bitten sie hiermit Lolas Vater, sie mit ihnen spazieren gehen zu lassen. Die Lieder im Film werden dazu verwendet, die Emotionen der Charaktere auszudrücken oder eine Erinnerung zu erzählen. So spricht Lolas Tante, eine Hausfrau, über ihre tragische Liebe im Teenageralter und ihre frühe Zwangsheirat. Einige der Filmsongs waren stilisierte Arbeitslieder, wie das Lied von Chaikhanshik, dem zentralasiatischen Teehausbesitzer, oder das Lied eines Schuhmachers, die spektakulär mit nationalem Flair choreografiert wurden. So trieb jede Filmszene und jedes Lied die Handlung voran.
Tajikfilm, die „Märchenfabrik“, wurde als „Ausstrahlungsort“ filmischer Mythologie gesehen. Allegorie, Folklore und die Tendenz, der Filmsprache eine theatralische Grundlage zu geben, manifestierten sich noch im Kino Tadschikistans. Mittelalterliche persische Liebesgeschichten wie die von Layla und Majnun, von Takhir und Zukhra sowie von Komde und Madan wurden in den tadschikischen Musicals und Filmballetten oft auf die Leinwand gebracht. Das oben erwähnte Musical The Cook and the Singer (1978) war eine zeitgenössische Adaption der Geschichte von Takhir und Zukhra – ebenso wie zuvor Love Me, Love Me Not (1963) unter der Regie von Ali Khamraev, einem usbekischen Gastregisseur. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Ali Khamraev und Muqaddas Makhmudov zusammen an der VGIK, der berühmten Filmschule in Moskau, studiert hatten und ähnliche filmische Einflüsse erlebt hatten, wie sie später in ihren Musicals zum Ausdruck kamen. So versuchten beide, ein anderes Tadschikistan zu schaffen, das sich von der traditionellen Darstellung unterschied. Sie nahmen modische Musik und Tänze auf, strebten nach einer internationalen Besetzung und beliebten Playback-Sängern und liebten Kostüme und exotische Elemente. In Love Me, Love Me Not gab es zum Beispiel afrikanische Musiker und Tänzer sowie stilisierte Flamencotänzer. Diese äußeren Einflüsse kamen aus ihrer Erfahrung mit der großstädtischen Umgebung in Moskau, wo Khamraev und Makhmudov als Filmstudenten ausgebildet wurden.
Die Filmhandlung von Love Me, Love Me Not über Takhir und Zukhra, Freunde aus der Kindheit und ausländische Studierende in Moskau, ermöglichte es Khamraev, den Film mit der Ästhetik des westeuropäischen und progressiven russischen Kinos zu gestalten. Die Details, dass es sich bei den Liebenden um Tadschiken handelt, sowie die spätere geografische Verschiebung zur tadschikischen SSR wurden nur angedeutet (durch die nationalen Kopfbedeckungen und Ikat-Kleider) und wurden prägnant verwendet, ohne das Gesamtkonzept zu verderben, nämlich, ein Musical zu schaffen, das von den berühmten Filmen der Tauwetter-Periode, wie Mikhail Kalatozovs The Cranes are Flying (Letyat Zhuravli, 1957), beeinflusst war. Grigoriy Jungvald-Khilkevich, sowjetischer Filmemacher und Künstler, war der Production Designer von Love Me, Love Me Not.
Der Freund des Protagonisten, genannt Kudrad, rezitiert improvisierte Gedichte und erinnert in seiner Kunst an die sowjetischen Dichter der sechziger Jahre. Die visuellen Effekte des Weitwinkelobjektivs und die schräge Kameraperspektive (bekannt als Dutch angle) waren für das tadschikische Kino innovativ. Im Grunde war die Handlung des Films die einer typischen Sitcom: Die Väter von Takhir und Zukhra, der eine Vorsitzende der Kollektivwirtschaft, der andere sein Buchhalter, hatten ihre Kinder verheiratet, als diese noch in der Wiege lagen. Doch die Zeit ist vergangen, und die Eltern fürchten nun den Vorwurf, die feudal-patriarchalischen Überreste zu kultivieren, wenn sie weiterhin auf der Heirat bestehen. Die Intrige des Musicals entwickelt sich aus den Zweifeln der beiden Männer, ob ihre Kinder einander lieben oder nicht, was wiederum die beiden Liebespaare Takhir und Zukhra sowie Kudrad (Takhirs Freund) und Gulnora verwirrt. Die männlichen Playback-Sänger im Film waren Vladimir Troshin und Muslim Magomaev, während das weibliche Playback von Elmira Urazbayeva (einer usbekischen Popsängerin der sechziger Jahre) zu den Versen von El-Registan gesungen wurde. Das von Muslim Magomaev gesungene Lied „Where Are You, My Gulnora?“ im orientalischen Tango-Stil diente als Leitmotiv, das die Liebeszweifel von Kudrad ausdrückte und die Zuschauer vor dem drohenden Schlamassel warnte. Es drückte sich auch im Maskentanz in den Bergen aus, bei dem hinter den Masken der Protagonisten die wahren Gesichter und Absichten verborgen blieben.
Tadschikische Musicals waren ein komplexes Phänomen bei der Schaffung eines internationalisierten Kinos, das sich zunächst durch Orientalismus und Exotisierung, dann ab den sechziger Jahren durch Verwestlichung auszeichnete, um die tadschikischen Kinobesucher zu unterhalten und das nationale Kino als Bestandteil der gesamten Filmindustrie der Sowjetunion zu etablieren. Es ist unmöglich, sich die Entstehung eines so nationalen Musicals wie I Met a Girl in den sechziger oder siebziger Jahren vorzustellen. Erstens, weil in den sechziger Jahren eine neue Generation von Filmemachern im tadschikischen Kino auftauchte, um ein neues verwestlichtes Musikkino zu schaffen, das sich an den Anforderungen des Filmvertriebs konzentrierte. Zweitens wurde die Politik des „entwickelten Sozialismus“ eingeführt, um die nationalen Unterschiede weiter zu verwischen. Allerdings bleibt die Suche nach einem nationalen Kino, das lokale Identität ausdrückt, insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und angesichts der Globalisierung, weiterhin eine offene Frage.