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Österreich. Ein Dossier

Echte, ganze Menschen

| Günter Pscheider |
„Heldinnen in Serie“: Unter diesem vielversprechenden Titel veranstaltete das Ministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort in Kooperation einen vom Team von FISA – Filmstandort Austria abgewickelten Drehbuchwettbewerb, bei dem sich sechs Projekte über ein Preisgeld von je 20.000 Euro freuen durften. Ein Blick auf den Stand der Dinge.

Heldinnen in Serie“ ist eine Initiative, die Begeisterung von höchster Stelle signalisiert. Bundesministerin Margarete Schramböck bringt das Ziel des Wettbewerbs auf den Punkt: „Die Gleichberechtigung von Frauen in der Filmindustrie ist mir ein großes Anliegen, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Mit dem ersten österreichischen Drehbuchwettbewerb für Serien wollen wir Frauen in technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Berufen in den Mittelpunkt stellen und auf diese Weise jungen weiblichen Zuseherinnen zeigen, was alles möglich ist und damit einerseits einen Impuls für die Serienentwicklung in Österreich geben und andererseits authentische Frauenfiguren zeigen und die Positionierung von Frauen innerhalb der Filmbranche stärken. Dass an diesen Themen großes Interesse besteht, haben uns die 108 Einreichungen gezeigt, unter denen auch viele mit großem Potenzial für internationale Kooperationen waren.“

Wie viele Autorinnen und Autoren aus leidvoller Erfahrung wissen, ist es vom Gewinn eines Wettbewerbs bis zur fertigen Finanzierung ein oft steiniger Weg. Die allermeisten Exposés werden nie realisiert, aber es ist auf jeden Fall wichtig, Stoffe zu sammeln, die starke Frauenfiguren präsentieren. Man kann also sagen: Wenn auch nur ein einziges Projekt aus diesem kreativen Pool realisiert würde, hätte sich die Investition schon gelohnt. Das Team des Drehbuchforum Wien hat ein mehrmonatiges Mentoring für die Preisträgerinnen und Preisträger begleitet und die optimalen Matches für die dramaturgische Beratung und Weiterentwicklung der prämierten Serien-Ideen gefunden. Dass das Publikum gerne mit außerordentlichen Heldinnen mitfiebert, beweisen die großen Erfolge einiger vor allem US-amerikanischer Serien, von konventionell wie Homeland bis originell wie The Queen’s Gambit.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in unserer Printausgabe 05/2021

Die sechs Projekte, die von einer hochkarätigen Jury ausgewählt wurden, decken jedenfalls ein breites Spektrum an Identifikationsfiguren ab. Cornelia Travnicek schickt in Die Alpen sind rot zwei Wissenschaftlerinnen auf eine Zeitreise in die siebziger Jahre, wo die beiden in das Polittheater um das AKW Zwentendorf hineingezogen werden. Bionic von Regine Anour-Sengstschmid und Dani Purer handelt von einer Nanotechnologin, die an ihrem eigenen Körper experimentiert. Ein längst überfälliges Bio-Pic über Lise Meitner, die kongeniale Partnerin von Otto Hahn, hat sich Florian Geiger mit Die Entdeckung der Kernspaltung ausgedacht, während in Konstanze Breitebners 800 Gramm Leben eine Ärztin ihre Karriere aufs Spiel setzt, um Neuerungen in der männerdominierten Disziplin der pränatalen Diagnostik durchzusetzen. In The Invisible Sister von Stephanie Falkeis erzählt Margaret Stonborough-Wittgenstein (1882–1958), die Schwester des berühmten Philosophen, aus feministischer Sicht von der turbulenten Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, während Stefan Wolner und Dietmar Zahn in Nachtvolk die gegenwärtigen gesellschaftlichen Vorurteile anhand einer muslimischen Kriminalbeamtin und einer emotional zerrütteten Universitätsdozentin aufzeigen, die gemeinsam eine Mordserie aufklären.

Wir haben mit zwei bzw. drei der Preisträgerinnen gesprochen. Cornelia Travnicek und das Team Regine Anour-Sengstschmid/Dani Purer sprechen darüber, was kommunistische Gruppen mit dem Widerstand gegen das AKW Zwentendorf zu tun haben, warum man nicht immer von allen gemocht werden sollte und wie der Wettbewerb der entscheidende Ansporn bei der Stoffentwicklung war.

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrer Geschichte gekommen? Gab es den Stoff schon vor dem Wettbewerb, oder wurde er extra dafür geschrieben?
Regine Anour-Sengstschmid:
Die Idee zu der Geschichte hatte ich, als ich eine Dokumentation über Neurowissenschaften und den Einsatz von Nanotechnologie gesehen habe. Da wurde ein Affe gezeigt, der an einen Rollstuhl gefesselt war und dessen Gehirn via Nanowires mit dem Rollstuhl verbunden war. Der
Affe hat dann den Rollstuhl nur mit Willenskraft durch den Raum gesteuert, um an eine Banane zu gelangen. Ich fand das faszinierend. Gleichzeit wurden so viele Fragen aufgeworfen, zum Beispiel: Wie weit erlauben wir der Wissenschaft zu gehen? Die Idee für die Serie Bionic war geboren, und als mich Dani Purer just am nächsten Tag anrief, um mir vom „Heldinnen“-Wettbewerb zu berichten, war für uns beide klar, dass wir teilnehmen würden. Der Wettbewerb hat dem Stoff sozusagen noch den richtigen Kick gegeben.

Cornelia Travnicek: Die Inspiration zu dem Stoff kam aus unterschiedlichen Ecken. So habe ich für meinen Master-Degree in Sinologie vor einigen Jahren eine Prüfung zum Thema „Maoismus in Österreich und Deutschland“ abgelegt und stieß dabei auf die verschiedenen kommunistischen Gruppen in Wien und ihr Engagement gegen das AKW Zwentendorf. Das AKW wiederum hat mich beschäftigt, als ich an der Universität von New Mexico einen Kurs an der Deutschen Sommerschule unterrichtet habe, mit dem Titel „Einführung in die österreichische Kultur“, und ich mich gefragt habe: Was ist denn österreichische Kultur, auch im Sinne von Alltagskultur, politischer Kultur? Die komplette Ablehnung von Atomkraft ist schon etwas ziemlich Einzigartiges. Und wie es dazu kam, die Geschichte könnte ja österreichischer nicht sein. Nun habe ich schon länger überlegt, ein Buch aus der Idee zu machen, dass zwei Physikerinnen aus der Jetzt-Zeit eben in dieser Zeit landen und überall involviert werden, aber sie eignet sich in Wahrheit viel besser für eine Serie. Da kam die Ausschreibung zu „Heldinnen“ wie gerufen.

Können Sie ein wenig über den Charakter der Heldinnen verraten, abgesehen von den Eckpfeilern der Handlung? Warum könnten sie ein Vorbild sein?
CT:
Die beiden Frauen sind sehr unterschiedlich. Die eine lebt ihr Leben sehr zielstrebig, karriereorientiert, alles gelingt ihr in ihrer Determiniertheit, sie erhält wichtige wissenschaftliche Gelder, obendrauf hat sie Glück in der Liebe – man könnte eifersüchtig sein auf sie. Aber genau darum zerbricht sie auch fast daran, als ihr das alles plötzlich genommen wird. Die andere ist einerseits ein nostalgischer Charakter, sie wäre gerne Hippie gewesen, Festivals wie Woodstock, das Lebensgefühl, das fasziniert sie, andererseits ist sie der Meinung, damals, in den Siebzigern, seien die Weichen gestellt worden im Umweltschutz. Da wäre noch etwas zu ändern gewesen, aber jetzt ist es in Wahrheit zu spät. Trotzdem engagiert sie sich in der Gegenwart in der neuen Umweltbewegung. Beide sind gute Wissenschaftlerinnen, die erste sehr fokussiert, die andere ein wenig chaotisch. Es geht mir aber nicht darum, in dieser Serie irgendwelche Modellfrauen zu zeigen, sondern echte, ganze Menschen.

Dani Purer: Unsere Protagonistin ist Nanotechnologin und Neurowissenschaflerin, die an einer neuartigen, bionischen Prothese arbeitet, sie selbst ist seit ihrer Kindheit auf eine Prothese angewiesen. Dabei gerät ihre forschungsgetriebene Weltanschauung mehr als nur ins Wanken. Abgesehen von der Vorgabe des Wettbewerbs haben wir eine Hauptfigur entwickelt, die sehr selbstbewusst und von ihren Fähigkeiten überzeugt ist, was sie zwar nicht unbedingt sympathisch macht, aber das muss es auch nicht. Das finde ich auch eine Eigenschaft, von der frau sich eine Scheibe abschneiden könnte: weniger Selbstzweifel zu haben und keine Angst davor, nicht von allen gemocht zu werden.

Was ist für Sie der größte Unterschied zwischen dem Schreiben eines Films und einer Serie? Für wie viele Folgen ist das preisgekrönte Exposé gedacht?
RAS:
Unser Exposé ist für eine Miniserie konzipiert, das heißt, sechs Folgen in einer Staffel mit abgeschlossenem Erzählbogen.  Der größte Unterschied zwischen dem Schreiben eines Films oder einer Serie liegt für mich darin, dass es bei einer Serie größere Freiheiten gibt. Man kann Nebenfiguren und parallele Storylines weiter ausloten. Das Ganze sinnhaft zu verbinden und den Spannungsbogen bis zum Ende der Staffel zu halten, ist dann die Herausforderung. Im Film ist man da zwar eingeschränkter, aber meistens hat man nicht ganz so viele Fäden in der Hand, die es zu verweben und verknüpfen gilt.

CT: Der Vorteil ist klar: Dass man längere, komplexere Handlungen präsentieren und in den Nebenhandlungen auch einmal auf kleine Abwege gehen kann. Aber dadurch ist es auch schwieriger, das Publikum bei der Stange zu halten – einen Film sieht man doch eher fertig, bei einer Serie steigt man schneller wieder aus. Es ist auch finanziell ein größeres Commitment von Seiten der Produktionsfirma und allen anderen Beteiligten notwendig. Wie viele Folgen und vielleicht sogar Staffeln es werden (können), wird sich in der genauen Ausarbeitung noch zeigen, es ist auf jeden Fall genug Stoff vorhanden.

Gibt es bereits Gespräche mit Regisseurinnen, Regisseuren oder Produktionsfirmen? Wen würden Sie sich wünschen – träumen wird man ja noch dürfen?
DP:
Obwohl vom Wettbewerb her gar nicht gefordert, wollten wir unbedingt eine Pilotfolge schreiben, weil es die einzige aussagekräftige Form ist, mit der man an Produktionsfirmen oder Sender herantreten kann als nicht-etablierte Autorinnen. Im Moment sind wir auch im Gespräch mit einer deutschen Produktion, es ist aber noch nichts entschieden. Für die Regie würden wir uns natürlich eine Frau wünschen, schon um den Sinn dieses Wettbewerbs zu unterstreichen. Kathryn Bigelow wird es wohl nicht werden, aber wir haben auch im deutschsprachigen Raum Regisseurinnen, die sich im Thriller- oder Action-Genre einen Namen gemacht haben. Barbara Eder würde mir da zum Beispiel einfallen.

CT: Es gibt tatsächlich schon Gespräche mit einer Produktionsfirma, die genauso begeistert von diesem Stoff ist, wie ich es bin, was mich sehr freut. Nun müssen erste konkrete Schritte gesetzt werden, dann kann das Schreiben beginnen.

Ob die Initiative „Heldinnen in Serie“ eine zweite Auflage erleben wird, steht derzeit noch in den Sternen. Zu wünschen wäre es jedenfalls.