Ingrid Bergman (29. August 1915 – 29. August 1982)
Eine nordische Erscheinung, von klarem Ausdruck und beträchtlicher Körpergröße, gab sie ein Bild von Reinheit, einen Glanz von Natürlichkeit, ungeschminkter Echtheit, faszinierender Sensibilität – die Verkörperung der integren, erwachsenen Frau, auch wenn in dieser, wie die Rollen zeigen, mitunter andere Anteile schlummerten. Oft war sie ernst, und wenn sich ein Lächeln zeigte, schien darin bereits etwas von einer Ahnung tragischer Wendungen, kommender Verluste hindurch.
Die Beliebtheit der Bergman, deren Ausdruck von Unschuld die puritanischen Vorstellungen des amerikanischen Mittelstands weit überstieg, mochte mit der Natürlichkeit und Energie der von ihr gespielten Figuren zu tun haben, mindestens ebenso viel aber mit dem Charakter des Emanzipierten in zahlreichen ihrer Rollen, in denen sie nie wirklich eine Verliererin gewesen ist, sondern Interpretin einer emotionalen, selbstbewussten und vernünftigen Frau, inmitten von Hollywoods androgynen Diven, Glamour Girls, sinnlichen Kindfrauen und femmes fatales hatte sie ihren natürlichen Außenseiterstatus, eine junge verheiratete Mutter, in dieser Branche enorm populär besetzt. Sie vermochte sich in ihrer Schönheit zu behaupten, nicht in der Rolle des Opfers, das männlicher Rettung bedarf und sein Schicksal ganz vom Erfolg seiner weiblichen Verführungskunst abhängig macht, noch weniger als Vamp, Männerdompteuse oder Rätselweib, dessen von den Augen abzulesende Wünsche zu befriedigen eine letzthin stets unlösbare Aufgabe darstellt, sondern eher als eine dem männlichen Zweckrationalismus entgegengesetzte Energie, im Verhalten, das sich gleichermaßen fürsorglich maternalistisch wie heroisch zu beweisen vermochte. Ihr Aufstieg in Hollywood schien über Jahre unaufhaltsam. Der Produzent David O. Selznick hatte die auffällig große, für Major Studio-Verhältnisse ungewöhnlich ursprünglich wirkende Schwedin nach Los Angeles holen lassen, ein Jahr Unterricht an der Schauspielschule des Königlichen Dramatischen Theaters Stockholm, das die früh Verwaiste gegen den Widerstand ihrer Pflegeeltern durchgesetzt hatte, neun schwedische Filme und eine deutsche Ufa-Produktion – Die vier Gesellen (Carl Froelich, 1938; der gescheiterte Emanzipationsversuch von vier Grafikerinnen, die sich selbständig machen wollen) – lagen bereits hinter ihr. Amerika war ein gewaltiger Sprung nach vorn, ein Neuanfang – wie zehn Jahre darauf jener andere Sprung nach Italien, und acht Jahre später nach Frankreich für Jean Renoir (Élena et les hommes, 1957) und kurz davor bereits zurück in die USA.
A Blend of Poetic Grace With Quite Realism
„The minute I looked at her, I knew I had something. She had an extraordinary quality of purity and nobility and a definite star personality that is very rare.” (David O. Selznick). Der Production-Tycoon („Selznick International Pictures“) baute seinen Jungstar aus Schweden, dessen anfängliche Schüchternheit ihm auffiel („She couldn’t stop blushing“), als „Saint Ingrid“ auf, ein „Girl next door“ mit reinem, natürlichem look, der vor allem über ihren Off-Screen-Charakter, also ihre Privatperson und nicht über ihr Rollenimage hergestellt wurde. Als knapp zehn Jahre darauf Bergmans Rossellini-Affäre an die Öffentlichkeit gelangte, begann damit schlagartig eine Demontage all jener Werte, die sie als öffentliche Star-Personality zu verkörpern hatte. Das Ausmaß der Empörung, das ihr entgegenschlug, war enorm. Die bis zu diesem Zeitpunkt erklärte ‚First Lady der Leinwand‘ – so die Motion Picture Association of America, Abteilung Production Code –, Hollywoods Darling war im Begriff, seinen Marktwert zu verlieren.
In der Filmerzählung Intermezzo verzichtete sie als aufopferungsvolle Pianistin auf den geliebten Musiker gleich zweimal, in der ersten Version unter Gustaf Molander, 1936 noch in ihrer Heimat Schweden gedreht, ein zweites Mal in dem amerikanischen Remake, ihrem Debüt in Hollywood 1939 (Intermezzo – A Love Story, Regie: Gregory Ratoff), über das Graham Greene schrieb: „What star before has made her first appearance on the international screen with a highlight gleaming on her nose tip? That gleam is typical of a performance that doesn’t give the effect of acting at all but of living – without make-up.“ Der womöglich erinnerungsträchtigste, populärste Film ihrer Karriere war ein Anti-Nazi-Movie: Casablanca (Michael Curtiz, 1942), unter den weithin geläufigen, gassenhauerartigen Szenen sei nur an das Abschiedsbild auf dem Flughafen erinnert, als im Schatten ihrer Hutkrempe, der ihre Augen verbirgt, das Glitzern einer Träne sichtbar wird. Im Jahr darauf erschien die Bergman in der Hemingway-Verfilmung For Whom the Bell Tolls (1943, Sam Wood) mit kurzen Haaren als schüchterne Widerstandskämpferin im Spanischen Bürgerkrieg, dann auch als Angsttraumatisierte, die in Gaslight (1944, George Cukor) zeitweilig in psychotische Zustände gerät. Man sieht sie an der Seite der männlichen Kollegen Gary Cooper, Cary Grant, Joseph Cotten, Gregory Peck unter der Leitung von Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Victor Fleming, Michael Curtiz oder Anatole Litvak.
Das Begehren ist immer das Begehren des anderen
Oberflächlich ein Geheimdienst-Spionagemelodram um die CIA, die deutsche Nazis in Rio ausspioniert, im Grunde aber eine dunkle Liebesromanze mit Anleihen an den Film noir: Mit Notorious (USA 1945/46) wollte Alfred Hitchcock – so jedenfalls lautet seine Version gegenüber François Truffaut – einfach „einen Film über einen Mann machen, der eine Frau zwingt, mit einem anderen Mann ins Bett zu gehen, weil das seine professionelle Pflicht ist. Der politische Aspekt der Sache interessierte mich nicht besonders.“ Der Film ‚funktioniert‘ und berührt wohl von vornherein deswegen, weil die Rolle jener Patricia Huberman, deren Vater zu Beginn der Nazi-Kollaboration überführt und verurteilt wird, von Ingrid Bergman gespielt wird; dadurch weiß man sogleich, dass die Rolle des leichten Mädchens, das sie in Gesellschaft wie im Auftrag der CIA spielen wird, nur ein ‚falsches Selbst‘ sein kann. Tiefer geschaut, über die Täuschung hinweg, stößt der Zuschauer bzw. Cary Grant als FBI-Agent Devlin bei Huberman unweigerlich auf die wahre Liebe, die er im Grunde immer schon erwidert.
Psychodynamisch gesehen liegt ein wechselseitiges Missverständnis gegenüber der bedingten Liebesfähigkeit des anderen vor. Huberman/Bergman, vom Vater enttäuscht und schamerfüllt, aufgrund ödipaler Problematik also die Verkörperung einer Hysterikerin, lässt sich instrumentalisieren von einem attraktiven Unbekannten, Devlin/Grant, der auf ihrer Party hockt wie ein einmontierter Schattenriss, von ihrer Leichtlebigkeit in der Folge gleichermaßen fasziniert, wie er von jenem besonderen Touch des Bad Girl sich auf Abstand gehalten fühlt. Die aufkommende Liebe zwischen den beiden scheint zum Opfer zu werden des Spionageauftrags. Jeder erwartet vom anderen, er möge sich zeigen, wartet vergeblich auf dessen Begehren, folglich geht Patricia den Deal mit der CIA ein, wirft sich weg, selbstdestruktiv riskiert sie alles, von Devlin genauso enttäuscht wie vom Vater; masochistisch erfüllt sie alle schlechten Erwartungen, welche die Auftraggeber des Secret Service an ein ‚leichtes Mädchen‘ haben, füllt die ihr zugedachte Rolle als verführerische Mata-Hari selbstquälerisch aus – das Ganze wirkt wie eine Prüfung: Wenn sie den patriotischen Einsatz, bei dem sie einen zwielichtigen NS-Sympathisanten verführen und zugleich überführen soll, ablehnte, würde das beweisen, dass sie Devlin liebt; solange dieser ihr aber ebendiesen Spionageauftrag vorlegt, andient, so beweist er damit, dass er sie nicht liebt. Man spürt ein Beziehungsgesetz: Der andere soll der erste sein, der sich ‚outet‘; das Begehren ist immer das des anderen, auf dessen Liebesgeständnis man wartet, das dieser nun aber, er, aus Trotz gegenüber der Bereitwilligkeit, mit der sie den amourösen Spionagedeal annimmt, verweigert, woraufhin sie diesen Trotz weiterhin nährt, indem sie ihre Liebe negiert und ihr Gefühl für Devlin in eine Geschäftsbeziehung verwandelt. Doch seine Wahrnehmung geht weiter, und halbbewusst muss ihm immer klar gewesen sein, welcher Gefahr er sie von Anfang an ausgesetzt hat …
„Miss Bergman not only bears a startling resemblance to an imaginable human being; she really knows how to act, in a blend of poetic grace with quite realism which almost never appears in American pictures.” (James Agee) In ihren Rollen vermittelte sie eine innere Stärke und emotionale Reife, die nicht mit der Durchsetzungskraft oder Toughness aus jener geläufigen, Gewalterfahrung und Vernarbung geschuldeten Härte und Gefühlsabwehr einhergeht. So verstrahlte ihre Aura weniger Distanz als Wärme, eine Nähe aus der Plausibilität des Gefühls, die noch aus einem Film hervorgeht, in der sie als Fremde auf eine Insel kommt, dort die Fremde zu bleiben verurteilt ist und an der Unwandelbarkeit der Eingeborenen inmitten der schroffen, bedrohlichen Vulkanlandschaft, in welche diese heimatlich verwurzelt sind, und gleichermaßen an der eigenen Angst davor, in eine Lebensfalle gegangen zu sein, schier verzweifelt (Stromboli, 1949).
In Arch of Triumph (1948, Lewis Milestone), Joan of Arc und Under Capricorn (Victor Fleming bzw. Alfred Hitchcock, beide 1949) allerdings blieb der Erfolg aus, der bis dahin seitens der Kritik und an der Kasse ihre Filme begleitet hatte. Der folgende Lebensabschnitt – soll man sagen: ein Exil, eine amour fou, eine der skandalträchtigsten Liebesgeschichten des vergangenen Jahrhunderts, oder Bergmans neorealistisches Abenteuer, sachlich kann es jedenfalls als ihre dritte Schaffensperiode bezeichnet werden – sollte etwa sieben Jahre später mit einem Oscar-gekrönten Hollywood-Comeback enden: Anastasia (1956, Anatole Litvak), in der Rolle einer die russischen Oktoberrevolution überlebenden, unter Amnesie leidenden Zarentochter an der Seite von Yul Brunner als weißrussischem General. Nach jahrelanger Ächtung hatte der ehemalige Publikumsliebling, begabt mit der „Konstitution eines Ochsen“ (Bergman), die amerikanische Öffentlichkeit zurückerobert.
Ein Gesicht des Neorealismus
Wahrscheinlich hatte sich Ingrid Bergman mit dreiunddreißig Jahren nach neuen künstlerischen Horizonten gesehnt: „Ich habe zehn Jahre lang immer die gleichen Rollen in den gleichen schönen, romantischen Filmen gespielt“, soll sie ihrer Freundin Irene Selznick anvertraut haben. „Jetzt möchte ich etwas anderes machen, etwas, das realistischer ist, wahrhaftiger. Etwas wie Paisà.“ (Zu diesem Komplex durchweg Renate Möhrmann: „Ingrid Bergman und Roberto Rossellini. Eine Liebes- und Beutegeschichte“. Berlin: Rowohlt 1999). So schreibt sie diesen Brief, der Roberto Rossellini im Mai 1948 erreicht: „Lieber Herr Rossellini, ich sah Ihre Filme Rom, offene Stadt und Paisa, und sie gefielen mir sehr. Wenn Sie eine schwedische Schauspielerin gebrauchen können, die sehr gut englisch spricht, die ihr Deutsch nicht vergessen hat, aber im Französischen nicht besonders gut ist und die auf Italienisch nur ‚Ti amo‘ sagen kann, dann bin ich bereit zu kommen und einen Film mit Ihnen zu drehen. Ingrid Bergman“.
Als sich Bergman und Rossellini begegneten, waren beide auf dem Gipfel ihres Ruhms, ihre Beziehung wurde ein Welt-Skandal, eine öffentliche Angelegenheit, doch nun begann das Image der Heiligen von Hollywood, treusorgender Ehefrau und Mutter, von den Tatsachen abzuweichen. Die Liebesgeschichte der beiden, das „öffentliche Leben im Ehebruch“, wie das oberste Gericht des Vatikan es nannte, die Affäre, die zur Scheidung der bisherigen Ehe und zur Heirat in Italien führte, findet sich in einer Flut von Yellow-Press-Kolumnen und Reportagen dokumentiert. „We deliberately built her up as the normal, healthy, non-neurotic career woman devoid of scandal and with an idyllic home life. I guess that backfired later.” (David O. Selznick)
Bei den Dreharbeiten zu Stromboli – „Ingrid Bergman in un film di Roberto Rossellini“ -, ist sie vierunddreißig, trägt Männerhosen und ist meist einen Kopf größer als die Einwohner jener Insel. Man kann sagen, sie begann dem Neorealismus, den Rossellini zur Vollendung führen sollte, ihr Gesicht zu leihen, das in diesen Filmen zunehmenden „optischen Situationen‘ ausgesetzt war, auf die Gilles Deleuze unter dem Titel „Jenseits des Bewegungs-Bildes“ hingewiesen hat: „Stromboli ist die Geschichte einer Fremden, der sich die Insel umso mehr offenbart, als sie zu keiner Reaktion fähig ist, mit der sie die gewaltige Kraft dessen, was sie sieht – die Intensität und das Ungeheuere des Thunfischfangs (»es war grausam…«), die Panik erzeugende Gewalt des Vulkanausbruchs (»ich bin am Ende, ich habe Angst, welch ein Geheimnis, welch eine Schönheit, mein Gott…«) -, lindern und ausgleichen könnte. Europa ‘51 zeigt eine Frau, die nach dem Tod ihres Kindes beliebige Räume durchquert und nun Wohnblöcke, Slums und Fabriken kennenlernt (»Ich glaubte, Verurteilte zu sehen«) [Die entsprechende Szene, in der die Bergman anstelle einer erkrankten Frau in eine Fabrik arbeiten geht, ist in Harun Farockis Film Ich glaubte Gefangene zu sehen, D 2000, enthalten; Anm. JB]. Ihre Blicke verraten nichts mehr von den praktischen Fähigkeiten einer Hausfrau, die ihren alltäglichen Pflichten nachgeht, sondern durchlaufen nun alle Zustände einer inneren Vision – Niedergeschlagenheit, Mitleid, Liebe, Glück, Anerkennung – bis hin zur psychiatrischen Anstalt, in die sie nach einem neuaufgelegten Jeanne-d’Arc-Prozeß eingeliefert wird: sie sieht, sie hat zu sehen gelernt. Viaggio in Italia läßt uns eine Touristin begleiten, die zutiefst getroffen ist vom Vorüberziehen der Bilder oder visuellen Klischees, in denen sie etwas Unerträgliches entdeckt, was jenseits der Grenze dessen ist, was sie persönlich ertragen kann. Wir haben es nunmehr mit einem Kino des Sehenden [cinéma de voyant] und nicht mehr mit einem Kino der Aktion zu tun.“ (G. Deleuze: „Das Zeit-Bild. Kino 2“. Frankfurt/M: Suhrkamp 1991; Übers.: Klaus Englert)
46 Kinofilme (zwischen 1934 und 1978), drei Oscars, zahlreiche TV-Auftritte und viel Bühnenarbeit absolvierte sie bis zum Ende ihres Lebens, und sie hatte immer die Absicht weiterzuspielen, bis zuletzt mit ihrer Verkörperung der 1978 verstorbenen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir. Mit Hilfe des Schriftstellers Alan Burgess veröffentlichte sie 65-jährig ihre Memoiren („Ingrid Bergman. My Story“; 1980). Ihr letzter Spielfilm sollte Ingmar Bergmans Herbstsonate (1978) werden. Mit der Rolle einer Musikerin hatte sie eingangs in Hollywood reüssiert; als weltberühmte Konzertpianistin, deren Lebenslügen, Sehnsüchte und Egoismen im Verhältnis zu ihrer Tochter (Liv Ullmann) zum Ausdruck kommen, sollte sie ihre Kinokarriere abschließen.
Ingrid Bergman – bei Rossellini
Stromboli
In einem Brief an Ingrid Bergman gibt Rossellini einen vorbereitenden Umriss jener Hauptfigur, Karin Bjorsen, einer vertriebenen jungen Frau aus Lettland, durch das Kriegsgeschehen in einem italienischen Lager interniert, dem sie durch Eheschließung mit einem Fischer auf eine Insel, die von einem Vulkan bedroht, beherrscht wird, entkommt – ein Entwurf zu jener Rolle, die er für sie vorgesehen hat, in der er sie sieht: „Ich habe versucht, mir das Leben dieser lettischen Frau dort vorzustellen – groß und stolz schreitet sie auf dieser Insel des Feuers und der Asche zwischen den kleinen dunkelhäutigen Fischern und den blassen, von zahlreichen Geburten erschöpften Frauen einher. Es gibt kaum eine Verständigungsmöglichkeit für sie dort, nicht einmal mit dem Mann, der sie aus dem Lager herausgeholt hat. Als sie einander in die Augen sahen, erkannten sie ihre Seelen. Sie hatte in seinen unruhigen, intelligenten Augen einen einfachen, zarten und zärtlichen Mann entdeckt. / Sie ist ihm gefolgt in dem Glauben, ihren Retter gefunden zu haben, der ihr nach all den Jahren der Flucht und Angst Geborgenheit und eine neue Heimat geben würde. Aber statt dessen ist sie auf dieser wilden, vom Vulkan geschüttelten Insel gestrandet, wo die Erde schwarz ist und die See schäumt und lärmt. Und der Mann neben ihr ist in Wirklichkeit kein Held, sondern wehrlos der Verzweiflung und dem Lebenskampf ausgesetzt, wie ein Tier. / Sogar der Gott, dem die Leute dienen, scheint sich von ihrem zu unterscheiden. Wie läßt sich der Gott, zu dem sie als Kind gebetet hat, mit diesen vielen, so unterschiedlichen Heiligen vergleichen? / Die Frau versucht, gegen ihr Schicksal anzukämpfen, sie wehrt sich, sie hat nicht überlebt, um auf dieser Insel dahinzuvegetieren. Voller Verzweiflung hofft sie auf ein Wunder, das sie retten soll. / Und plötzlich versteht die Frau den Wert der ewigen Wahrheit, die das menschliche Leben bestimmt: sie versteht, wie stark derjenige ist, der nichts besitzt, und daß in ihm die Kraft ruht, die uneingeschränkte Freiheit schenkt. Ein tiefes Glücksgefühl ergreift ihr Herz, eine ungeheure Freude am Leben.“
„Ich kann nicht vergessen, mit welch angewiderten Mienen gewisse Leute vor nicht allzu langer Zeit von den Tränen und dem Schniefen der Bergman in Stromboli sprachen. Und man muß zugeben, so etwas geht (bei Rossellini häufig) bis an die Grenze dessen, was man ertragen kann, was schicklicherweise zulässig ist, bis an den Rand der Schamlosigkeit. Wie er die Bergman führt, das hat mit Ehe zu tun, und es gründet sich auf eine intime Kenntnis weniger der Schauspielerin als der Frau; …“ (Jacques Rivette: „Lettre sur Rossellini / Brief über Rossellini“. Orig. in: „Cahiers du Cinéma“ 46, April 1955, übers.: Heiner Gassen/Fritz Göttler)
„Ich ließ mich finden von denen, die nicht nach mir suchen; ich offenbarte mich denen, die nicht nach mir fragen“ (Jesaja 65, zitiert nach Paulus) – der Bibelvers ist von Rossellini seinem Film Stromboli, terra di dio (1949) vorangestellt, der für den jungen Eric Rohmer „die Geschichte einer Sünderin“ erzählt, die von der Gnade getroffen wird, ein Film, der die Idee der Gnade feiert, „allein durch die Evidenz dessen, was sie uns zu sehen geben“. – „Die Heldin von Stromboli, auf eine unwirtliche Insel verschlagen und gezwungen, das karge Leben eines Fischers, den sie aus Berechnung geheiratet hat, zu teilen, erspart uns keine der jämmerlichen Zuckungen eines in die Falle geratenen Tieres.“ („Gazette du cinéma“, Nov. 1950, veröffentlicht unter dem Namen Maurice Schérer. Zit. nach Eric Rohmer: „Le gout de la beauté. Écrits“. Hrsg. von Jean Narboni und Cahiers du Cinéma, Paris, 1984. Übers.: Frieda Grafe)
„Keine Kunst ist weniger geeignet, Innenleben zum Ausdruck zu bringen, als die Rossellinis. Das Stöhnen, Jammern und Röcheln Ingrid Bergmans, das von Gemäuern und Gestaden widerhallt, bedeutet nicht mehr als die Zuckungen des von dem Marder erwürgten Kaninchens oder der von den Spießen der Fischer durchbohrten Thunfische. Es ist wiederum nur sie selbst, entkleidet sie jeden Geheimnisses und enthüllt ihre innere Leere. In dieser Hinsicht ist es aufschlussreich, Stromboli zu vergleichen mit Under Capricorn (USA 1949, Alfred Hitchcock), einem rein protestantisch inspirierten Werk, in dem wir dieselbe Darstellerin ebenfalls den steilen Pfad von Verzweiflung und Selbstekel zum Frieden eines wiedergefundenen guten Gewissens erklimmen sehen. Wäre Film nur die Kunst, das Innere der Seelen auszuloten, gäbe ich das ganze Stromboli für die einzige Einstellung bei Hitchcock, in der Ingrid Bergmans Gesicht, gegen den Rand ihres Bettes gelehnt, mit hängenden Lippen und halbgeschlossenen Lidern, für den Zeitraum eines Augenblicks eine Überfülle so verschiedener Gefühle widerspiegelt, Furcht und Selbstbeherrschung, Arglosigkeit und Berechnung, Wut und Resignation, daß eine noch so treffsichere Feder sie auf mehreren Seiten nicht auszudrücken vermöchte. Aber Rossellinis Absicht ist eine ganz andere (…). Man würde in diesem Film vergeblich nach dem Echo des Abenteuers suchen, von dem die Zeitungen noch voll sind – niemals hat ein Regisseur seine Darstellerin mit weniger Liebe und Rücksicht behandelt. Wenn es im Verlauf der Vorführung passiert, daß unser Blick zerstreut von der Figur abläßt und auf der verweilt, die sie darstellt, so veranlaßt uns dazu nicht das Schicksal der Frau, sondern das der Schauspielerin, die, folgsam unter der Fuchtel eines unnachgiebigen Meisters, bereitwillig lernt, auf Geröllhalden und Strandkieseln ihre erhabenen Tragödinnen-Allüren zerschellen zu lassen.“ (Eric Rohmer)
„Roberto Rossellini wirbelt mit seinem Bergman-Film [!] Stromboli neuen Staub bei der amerikanischen Filmzensur auf. Kritiker… halten ihn zwar für den besten Bergman-Film, sind aber um die Publikumsreaktionen besorgt“, meldete der SPIEGEL (2.2.1950). Das Kinounternehmen mit den Auswertungsrechten für den Film in den USA, RKO Pictures, schnitt etwa zwanzig Minuten aus dem Film und bog das offene Ende durch einen Off-Kommentar in eine Aussicht auf Versöhnung des Paares, hier mag Karin ihren Gott – ‚wenn es ihn gibt‘ – finden, gleichwohl der Vulkan ihrem flehenden Ruf die Antwort schuldig bleibt. Auch aus der deutschen Fassung sind Passagen gestrichen worden. In einer englischen Fassung blieb die Vielsprachigkeit des Films, der ja von Fremdheit, Ausgrenzung, Kommunikationsbarrieren und Missverstehen handelt, erhalten; eine existierende italienische Fassung nivelliert die Fremdsprachen. Nun gibt es eine um die fehlenden (im italienischen Original belassenen) Passagen vervollständigte deutsche Synchronfassung.
Viaggio in Italia
Ein wohlhabendes englisches Ehepaar fährt nach Neapel, wo die Frau ein Haus geerbt hat. Zugleich ist es eine Reise ans Ende ihrer Ehe, deren Möglichkeit einer Fortsetzung, ja eines Neubeginns Viaggio in Italia (1953) in einer viel analysierten Schluss-Szene auf buchstäblich wunderbare Weise eröffnet. Das Paar findet sich wieder, die beiden umarmen sich, doch das Parallelwunder ist nicht eindeutig, es kommt zu keinem Fazit, Rossellini lässt seinen Film mit einer Schlusseinstellung in die Zeit zurückkehren, in banale Eindrücke von Unbeteiligten am Geschehen. Bis dahin erscheint jegliche Verständigung abgebrochen, die Gefühle füreinander sind einer wechselseitigen Wachsamkeit gewichen, ein Kontakt gegenseitiger Kränkung und Verletzung, in dem die Bindung fortwirkt. Nachdem George Sanders, Bergmans Filmgatte mit durchweg maskenhaft distinguiertem Spiel, die Scheidung vorgeschlagen hat, beobachtet das Paar aus Gelegenheit eine archäologische Ausgrabung in Pompeji: ein im Moment des Todes, in der Umarmung durch den Vulkanausbruch überraschtes Paar. Die Rührung hängt beiden nach. Rossellini zähle „alle nur möglichen Klischees der ‚italianità‘ auf“, schrieb Gilles Deleuze, „wie sie die flanierende Bourgeoisie sich vorstellen kann: Vulkane, Museumsstandbilder, Heiligtum der Christen…“
„In ihrem Haar schimmert das Grau. Sie ist neununddreißig Jahre alt und spielt eine neununddreißigjährige Frau. Sie fährt durch Italien mit ihrem Mann. Viaggio in Italia. Wenn sie sich zu einer Hoteltür begeben, zum Wagen, läßt George Sanders Ingrid Bergman vorgehen und berührt sie dabei leicht am Arm. Es ist die einzige Berührung, die zwischen den beiden vorkommt. Man weiß nicht, ob sie von ihm oder von ihr kommt. Sie fährt Auto, allein. Sie besichtigt ein Museum, eine Grotte, einen Vulkan. Sie ist noch immer einen Kopf größer als der Einheimische, der sie bei ihrer Wallfahrt begleitet. (….) Wenn Ingrid Bergman Auto fährt und Liebespaare, schwangere Frauen, Frauen mit Kinderwagen sieht, schaut sie, als hätte es das nie gegeben, Liebespaare und Kinder. Im Leben hat sie vier Kinder, und sie liebt, sie liebt Roberto Rossellini. Er filmt sie, er filmt nicht die Geliebte, nicht die Mutter, er filmt die letzte Leere, den kleinen, verlorenen, heimatlosen Teil in ihr, die gebliebene und immerwährende Fremdheit.“ (Christiane Baumann: „Es ist ein Zögern darin. Über Ingrid Bergman“, die tageszeitung, 20.12.1990)
„Mit dem Erscheinen von Viaggio in Italia sind alle Filme plötzlich um zehn Jahre gealtert…“ (Jacques Rivette, s.o. 1955) – „Viaggio in Italia erzählt von einem Neubeginn und ist selbst einer.“ (Alexander Horwath, 1997)
„Da Rossellini ein wirklicher Metteur-en-scène ist, ist die Form des Films bei ihm nicht die Ausschmückung des Drehbuchs, sondern dieses ist der Rohstoff der Form“, so André Bazin in seiner Kritik zu Europa ‘51 (1951): „Rossellini läßt seine Darsteller nicht spielen, nicht dieses oder jenes Gefühl ausdrücken, er bringt sie lediglich dazu, vor der Kamera auf eine bestimmte Art zu sein. In einer solchen Mise-en-scène haben der jeweilige Platz der Figuren, ihre Art zu gehen, ihre Bewegungen innerhalb des Dekors, ihre Gesten weit mehr Bedeutung als die Gefühle, die sich auf ihren Gesichtern abzeichnen, ja als das, was sie sagen. Denn welche »Gefühle« könnte Ingrid Bergman schon »ausdrücken«? Ihres ist ein Drama jenseits aller psychologischen Benennungen. Ihr Gesicht ist nur die Spur einer bestimmten Art von Leiden.“ (André Bazin: „Europa 51“. In: „Was ist Film?“ Übers.. R. Fischer, Anna Düpee, 2004)
„Ich behaupte also, daß Viaggio in Italia ein neorealistischer Film ist, …so André Bazin 1955 („Difesa di Rossellini“ / „Verteidigung Rossellinis“, Cinema Nuovo, Nr. 65, Mailand, 25.8.1955) über den Film des Regisseurs, der für Bazin den Neorealismus, der sich durch ihn näher bestimmen lässt, am weitesten vorangetrieben habe. „Man könnte sie [diese Filme, die als neorealistisch gelten; Anm. JB] auf folgende Weise analysieren: die dokumentarische Realität plus etwas anderem, wobei dieses andere je nachdem die optische Schönheit der Bilder, das soziale Gefühl, die Poesie, die Komik usw. ist. Bei Rossellini würde man vergebens versuchen, das Ereignis von der gesuchten Wirkung loszulösen. Bei ihm gibt es nichts Literarisches oder Poetisches und auch nichts ‚Schönes‘ im angenehmen Sinne des Wortes: Er inszeniert nur Tatsachen.(…) Das Universum Rossellinis ist ein Universum reiner Handlungen, die in sich selbst ohne Bedeutung sind, aber, gleichsam selbst vor Gott verborgen, die plötzlich erleuchtende Klärung ihres Sinnes vorbereiten. So verhält es sich mit jenem Wunder aus Viaggio in Italia, das den beiden Helden und selbst der Kamera unsichtbar bleibt und das übrigens zweideutiger Natur ist (denn Rossellini behauptet nicht, daß es sich um ein Wunder handle, sondern nur um jenes Zusammenwirken von Schreien und von Gedränge, dem man diesen Namen gibt), aber dessen Zusammenstoß mit dem Bewußtsein der Personen das unerwartete Aufflammen ihrer Liebe hervorruft. Niemandem, so scheint mir, ist es besser gelungen als dem Autor von Europa ‘51, Ereignisse von einer so harten, so integren Struktur, von so vollkommener Transparenz zu inszenieren, in denen es unmöglich ist, etwas anderes als das Ereignis selbst zu erkennen. (…) Das Publikum ist im allgemeinen von dem Film enttäuscht, weil Neapel in ihm nur unvollständig und fragmentarisch zu sehen ist. Diese Realität stellt tatsächlich nur ein Tausendstel von dem dar, was man zeigen könnte; aber das wenige, was man sieht, einige Statuen in einem Museum, schwangere Frauen, eine Ausgrabung in Pompeji, ein Teil der Prozession des Heiligen Januarius, alles das besitzt nichtsdestoweniger diesen globalen Charakter, der mir wesentlich scheint. Man sieht ein Neapel, das durch das Bewußtsein der Heldin ‚gefiltert‘ ist, und wenn die Szenerie ärmlich und beschränkt erscheint, so deswegen, weil das Bewußtsein dieser mittelmäßigen bourgeoisen Frau selbst von einer seltenen spirituellen Armut ist. Das Neapel des Films ist indessen nicht falsch gezeichnet (wie es in einem dreistündigen Dokumentarfilm der Fall sein könnte), sondern es erscheint als Landschaft der Einbildung, die zugleich objektiv wie eine reine Fotografie und subjektiv wie reines Bewußtsein ist.“ (Dt. Übers.: 23. Internat. Forum des Jungen Films Berlin 1993). Es war die Atmosphäre Neapels, die zu zeigen Rossellini am Herzen lag, „der sich ein sehr reales, sehr tiefes Gefühl beimischt: das Gefühl des ewigen Lebens. Das ist etwas, was vollständig aus der Welt verschwunden ist“. (Rossellini)
Eine Schauspielerin für Nah-/Großaufnahmen
Ingrid Bergman im Blick Rossellinis hat Rainer Gansera einmal so beschrieben: „In jeder Szene von Stromboli zeigt sich Ingrid Bergman anders, verwandelt, neuschalig. Sie ist unschuldig, durchtrieben, hilflos, je nachdem und auch mal alles zusammen. Verletzlich wie beim ersten Erwachen; verhärtet wie nach ausschweifenden Nächten. Eine Frau, die den ihr zukommenden Lebensstandard beim armen Fischersmann einfordert; im nächsten Augenblick von solchen Ansprüchen mädchenhaft entkleidet. Auch so, daß man durchzusehen glaubt: an diesem Drehtag schlecht geschlafen, Streit, dann unbeschwerte Ferientage auf Stromboli. Sich derart in die Darstellung hineingeben, das darf man nur bei Rossellini. So etwas aufnehmen darf nur er. Nur seinem Blick wird das Beiläufige, um das es entscheidend geht, anmutig und schön.“ („Filmkritik“ Nr. 303, März 1982)
Wesentlich ist Bergmans Blick auf Stromboli, die gewaltige Urlandschaft, ihr Blick, nimmt man Viaggio in Italia hinzu, auf ganz Italien. „Jedes Mal“, bemerkte Jacques Rivette (1955), „die zwei Einstellungen, die der Frau, die schaut, dann ihre Blicke, und manchmal beide in einem“ – Diese ernsthaften, versunkenen, in ihr augenblicklichen Abwesenheiten. – „Du weißt nichts von mir und willst mich heiraten? …“ Diese verrückte Unbedingtheit des Italieners gefällt ihr, und sie zeigt sich ihm gefällig auf der anderen Seite des Zauns, der die Lagerbaracken für Kriegsflüchtlinge umschließt, und dabei doch kalkuliert, herablassend, überlegen. „Ihr redet wie die Taubstummen …“, so reagiert sie auf die italienische Gestensprache des Entflammten, der sie mit seinem Gesang herausgelockt hatte, „und wenn ich nun anders bin, als du denkst? …“ – und beim Wort „differente“ lüpft sie die Braue fast unmerklich über ihren im Moment niedergeschlagenen Augen, mit denen sie ihn im nächsten Augenblick lächelnd-eindringlich fixiert. Ingrid Bergman zeigt sich in ihrer Rolle als abhängige Verführerin, ihrer Attraktivität, ihres Werts bewusst, angetrieben von dem einzigen Ziel: „weg von hier!“ – So demonstriert sie es in Szenen mit dem Priester der Insel und dem Leuchtturmwärter. Der erste Eindruck der Insel: der Vulkan, ein überwölbender Felshintergrund, erschüttert sie. Sie folgt konsterniert, willenlos, fast schlafwandlerisch. Er brauche viel Geld für eine Frau wie sie, sagt sie ihm später, im kahlen Schlafraum der leeren Steinhütte, die Rücken einander zugewandt, während sie sich vor einem kleinen Handspiegel, gestisch wie ein Hilfe versichernder Rückgriff auf bessere Zeiten, das Haar kämmt: „Eine Frau wie ich ist teuer. Ich bin ein zivilisierter Mensch …“. Nachts liegt sie wach, ein Lichtstreif auf ihrem Gesicht, schaut sie auf den rhythmisch atembewegten Rücken des schlafenden Antonio. Tags darauf ihr sinnlicher Kontakt mit der Natur der Insel, ihre haptische, tastende Annäherung an die unbehauenen Felssteine des Ortes, die karge Gräservegetation, die duftenden Gewürze …
Zu Beginn des Schlussdrittels nach langem Schwarzbild, langsamer Aufblende zeigt Stromboli die legendäre Szene des Thunfischfangs, zu dem im Morgengrauen sechs Boote mit den Fischern der Insel hinausfahren: ein dichtes dokumentarisches Handlungselement innerhalb der Fiktion, ein archaisches Spektakel, das anscheinend einem festen Ritus folgt. Als es turbulent wird unter der Wasseroberfläche, lauter unter den Fischern, und man beginnt, rhythmisch, von Gesang skandiert, das ausgelegte Netz emporzuziehen, beobachtet Karin, die ihrem Mann beim Fischfang nahe sein wollte – sie weiß da bereits, dass sie von Antonio schwanger ist und eröffnet es ihm danach -, in gespannter Erwartung das Geschehen. Mit ihrem Blick verfolgt sie das kollektive Beutemachen großer Fische, bei dem sie, von Meerwasser bespritzt, vom grausam wirkenden, mit martialischen Widerhaken und Spießen bewältigten Einbringen des Fangs wie gebannt erscheint, ein Eindruck, der zuletzt ihre Kräfte zu übersteigen scheint, so dass sie qualvoll die Augen verdeckt – „horribile“. Nach dieser reichen ‚Speisung‘ der Gemeinde danken die Fischer der Jungfrau Maria. Die Anschlussszene bereits zeigt die Flucht der Inselbewohner vor dem Vulkanausbruch, evakuiert auf den Booten, richten sich aller Blicke auf ihre Insel, dazwischen Karin und Antonio, während es Nacht geworden ist und vom Meer aus die Glut der Lava ihren Feuerschein über Stromboli wirft. Zu sehen ist die Geburt des Kultus aus der Auslieferung, der geängstigten Seele: der Priester betet vor, und die Gemeinde antwortet mit Gesang.
Bei Nah-/Großaufnahmen von Ingrid Bergman vermittelt sich kein Eindruck, sie gebe etwas vor; man sieht sie keine Gesichter machen, nichts evozieren, kein gewohntes Ausdrucksrepertoire abrufen. Was an Bergmans Close-ups bei Rossellini sichtbar wird, ist nicht einfach unter die Kategorie ‚Reaction Shot‘ abzutun. In den Nah-/Groß-Porträts ihres Gesichts formt sich eine subjektive Ereignisgeschichte des Films, spitzt sich in luziden Spiegelungen der Atmosphäre zu. Viaggio in Italia: En face hinter dem Steuer ihres Bentley, erzürnt, wütend, dann aber wieder zusehends von Außeneindrücken Neapels berührt, absorbiert, zeigt das Gesicht der Bergman, wie ein vordringlicher innerlich erregender Affekt bald ihrer Betrachtung des realen äußeren Lebens hinter den Scheiben Platz macht, auf eine andere Weise im Museo Archeologico Nazionale, Neapel, wo ihre konzentrierte Betrachtung der antiken Plastiken, von ausdrucksstarker Kamerabewegung und Partitur eher aufgefangen, hinter die historischen Figuren zurücktritt. – Das Schussbild von Europa ‘51, nah, hinter vergitterten Fenstern der geschlossenen Anstalt, durch das sie ihren armen Bekannten nachblickt, eine selbstlose Heilige, die sich den Spielregeln der Gesellschaft abkehrt („Wer alle Bindungen gelöst hat, ist mit allen verbunden.“) und die an einer Stelle gesteht: „Die Liebe zu den anderen entspringt dem Hass, den ich mir selbst gegenüber empfinde.“ – Die nahen Einstellungen, wenn Ingrid Bergman mit Koffer und Handtasche in der Schlussszene von Stromboli den Berg emporsteigt, der rumorend zum realen Mitspieler wird, und über schwarze Kraterlandschaft stolpert, im Angesicht der gewaltigen Naturbedrohung, fast ohnmächtig vor Angst, bald ohne alles Gepäck am steilen Hang Rauch und Russ des Vulkans entgegen, die Tragödin im Dunst schwefliger Rauchschwaden. Nach Einbruch der Nacht wendet sich ihr Blick zum Sternenhimmel … der ersehnte Friede, als sie im Licht der aufgehenden Sonne erwacht … ihre Großeinstellung in Tränen, in der Szene einer Anrufung Gottes, einer Offenbarung, einer Erweckung.