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Filmkritik

Ein Sack voll Murmeln / Un sac de billes

| Kirsten Liese |
Grandiose Adaption eines erfolgreichen Jugendbuchs

So engagiert und anspruchsvoll wie sich das Kino in jüngerer Zeit der Kollaboration und Judenverfolgung des französischen Vichy-Regimes widmete, könnte man meinen, das Thema sei schon auserzählt, denkt man nur an La rafle (Die Kinder von Paris, 2010), Elle s’appelait Sarah (Sarahs Schlüssel, 2011), Suite francaise (2016) oder Paradies (2016). Aber dem Kanadier Christian Duguay gelingt eine derart berührende Geschichte, dass davon nicht die Rede sein kann, auch wenn er nicht der erste ist, der Joseph Joffos gleichnamigen autobiografischen Roman für die Leinwand entdeckt, den 1975 schon Jacques Doillon verfilmte.

Anders als Joffo und Doillon erzählt Duguay nicht aus der Perspektive des inzwischen erwachsenden Überlebenden, sondern mit dem unschuldigen, aber wachen Blick eines Kindes. Dank dessen wirken die Schrecken des Krieges nicht so erdrückend. Angst, Abenteuerlust, Bruderliebe, vollkommene Überforderung und erstarkendes Selbstbewusstsein liegen für den zehnjährigen Jo dicht beieinander. Seine Odyssee beginnt 1941 im besetzten Paris. Weil die Deutschen anfangen, Juden zu deportieren, planen seine weitsichtigen Eltern, ihren Friseurladen aufzugeben und in den noch unbesetzten Teil Frankreichs zu fliehen. Ein gemeinsamer Aufbruch wäre jedoch zu riskant, deshalb soll sich der Bub mit seinem drei Jahre älteren Bruder Maurice allein auf den Weg machen. Mit etwas Glück schlagen sich die Jungen bis Südfrankreich durch, wo sie die Eltern wieder treffen, aber die Mittelmeerküste bietet nur vorübergehend Schutz. Als der Zugriff der Besatzer auch auf das Gebiet des Vichy-Regimes immer stärkere Ausmaße annimmt, muss sich die Familie aufs Neue trennen. Und bis die Brüder wieder in Sicherheit sind, steht ihnen noch viel bevor.

Zu den Kunstgriffen von Duguays Inszenierung gehört es, den Unmenschen weniger Gewicht zu geben als den Lichtgestalten. Es finden sich viele couragierte Menschen mit Herzensbildung, die den Kindern helfen. Handelte es sich nicht um eine wahre Geschichte, würde man vermutlich das Drehbuch für konstruiert halten, kommt doch just immer, wenn es für die Jungs brenzlig wird, ein guter Geist zu Hilfe. Tief ins Gedächtnis brennt sich allen voran aber der von dem wunderbaren Patrick Bruel verkörperte fürsorgliche, selbstlose Vater ein, ein mutiger Mann mit traurigem Blick und großer Aura, dessen große Liebe sich selbst dann vermittelt, wenn er die Söhne mit Härtetests für den Überlebenskampf wappnet.