„Spotlight“ und „A Most Violent Year“ – zwei Filme, die exemplarisch zeigen, dass sich das US-amerikanischen Kino abseits konzeptueller Blockbuster in einem sehr guten Zustand befindet.
2001 wurde in Boston ruchbar, dass sich mehrere katholische Priester des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen schuldig gemacht hatten – und das über Jahre hinweg, die Verantwortlichen der dortigen Erzdiözese hatten trotz Kenntnis der verbrecherischen Handlungen den Mantel des Schweigens ausgebreitet und die Täter einfach in eine andere Gemeinde versetzt, wo diese weitere Untaten begehen konnten. Ein Verhaltensmuster, das noch erschreckend oft entdeckt werden konnte und sich zu jenem weltweiten Skandal entwickelte, der die katholische Kirche bis heute in ihren Grundfesten erschüttert und noch längst nicht ausgestanden ist. Ein Team investigativer Journalisten des „Boston Globe“ nahm sich der Sache an und deckte im Zug ihrer Recherchen das ungeheure Ausmaß der Vertuschung auf.
Beruhend auf diesen realen Ereignissen, hat Thomas McCarthy mit Spotlight – so übrigens auch der Name des kleinen Teams der Bostoner Zeitung, dass sich mit brisanten Themen befasste – einen brillanten Film in Szene gesetzt, der gerade durch seine präzise Nüchternheit zu überzeugen versteht. Seine Inszenierung verfolgt die akribischen Recherchen der Reporter, die mit dieser mühevollen Kleinarbeit Stück für Stück die Strukturen einer jahrzehntelangen Vertuschung offen legten, die bis an die Spitze der Erzdiözese Boston reichte. Spotlight verzichtet auf dramaturgische Kunstgriffe konventionellen Zuschnitts um Spannungsbögen zu generieren, doch gerade durch diese Zurückhaltung wird die Ungeheuerlichkeit der Angelegenheit in ihrer ganzen Dimension in den Vordergrund gerückt. Dazu tragen auch wesentlich einige der besten Schauspieler, die das US-amerikanische Kino derzeit aufzubieten hat, bei. Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Liev Schreiber, Stanley Tucci und John Slattery sorgen durch eine uneigennützige Ensemble-Leistung für eine atmosphärische Dichte und hohe Authentizität. Mit seiner klaren Haltung setzt Spotlight die feine Tradition jenes US-amerikanischen „message cinema“ fort, das von Regisseuren wie Sidney Lumet, Alan J. Pakula, Richard Brooks, Robert Wise oder Sidney Pollack entscheidend geprägt wurde. Dabei braucht Spotlight den Vergleich mit Klassikern wie All the President’s Men nicht zu scheuen.
Haltung nimmt auch J.C. Chandor mit A Most Violent Year – übrigens wie Spotlight von Participant Media koproduziert – ein. Vordergründig ist seine neuen Regiearbeit ein Art von „Period Piece“, das 1981 in New York angesiedelt ist. Die Kriminalität hat in der Stadt zu diesem Zeitpunkt einen unrühmlichen Höhepunkt erreicht. Das bekommt auch Abel Morales (Oscar Isaac) zu spüren, der eine Firma betreibt, die mit Heizöl handelt. Immer wieder werden seine Tanklastwagen auf offener Straße überfallen und geraubt, die Polizei scheint weitgehend machtlos. Doch gegen Morales selbst laufen ebenfalls staatsanwaltliche Ermittlungen wegen diverser illegaler Praktiken, die in seiner Branche verbreitet zu sein scheinen. A Most Violent Year folgt nur auf den ersten Blick den Konventionen des Genrekinos – allein damit wäre ein ungemein wuchtiger Thriller gelungen –, doch Chandors brillante Inszenierung versteht es, eine zweite Ebene zu etablieren. Das ein wenig erdig anmutende Geschäftsfeld des Handels mit Heizöl wird zu einer Parabel für jenen ungezügelten Kapitalismus, der gegenwärtig unkontrolliert dahinzuwüten scheint. Abel Morales versucht zwar, sein Geschäft sauber zu betreiben, doch nach und nach erkennt er, dass er an einem Spiel teilnimmt, in dem die Regeln offenbar permanent geändert werden oder – noch schlimmer – Regeln gar nicht existieren. Ständig scheinen neue, unbekannte Gegenspieler oder Bedrohungen aufzutauchen, wer Freund oder Feind ist oder auch eine ambivalente Rolle spielt – selbst im engsten familiären Umfeld –, wird für den Protagonisten zusehends undurchsichtiger. Wie in seinem feinen Debütfilm Margin Call zeigt J.C. Chandor auch mit A Most Violent Year wie kongenial er es versteht, große, gesellschaftlich relevante Themen mit narrativen Kino auf höchstem Niveau zu verschmelzen. Aus unerfindlichen Gründen schaffte es A Most Violent Year nicht einen regulären Kinostart in Österreich zu erlangen. Sollte Spotlight auch ein solches Schicksal ereilen, dann läuft etwas grundsätzlich schief in diesem Land.