Regisseur Stefan Ruzowitzky über „Hinterland“.
Mit Die Siebtelbauern eröffnete Regisseur Stefan Ruzowitzky 1998 ein neues Kapitel in der Geschichte des Heimatfilms. Auch damals spielte der Film in den frühen zwanziger Jahren. Auch damals ging es um einen Mord. Und obwohl die beiden Werke sonst nicht weiter voneinander entfernt liegen könnten, ist auch Hinterland dem 1961 geborenen Wiener zufolge eine Art Heimatfilm geworden, weil er, wenn auch nicht ausschließlich, aber doch mit Österreich zu tun habe: „Der Film kratzt an dem Umstand, der sich so tief eingefräst hat in die österreichische Seele, dass wir das Gefühl haben, wir müssten als Land viel größer und wichtiger sein. Nur leider hat uns die Geschichte so böse mitgespielt, dass das Einzige, was uns bleibt, dieser Minderwertigkeitskomplex ist, gerade den Deutschen gegenüber, und dazu ein G’spritzter beim Heurigen.“
Darüber hinaus war es in erster Linie die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die den Regisseur und Drehbuchautor bei dem Projekt faszinierte: „Für uns ist immer der Zweite Weltkrieg das Maß aller Dinge, nur direkt danach wollte zunächst keiner mehr darüber reden. Die eigentliche Diskussion über den Holocaust ist erst Jahrzehnte später wirklich aufgebrochen.“ Anders sei es nach 1918 gewesen, in einer Zeit, die die Menschen in ganz Europa als eine Welt des großen Umbruchs erlebten. „Monarchie, Aristokratie, all das war auf einmal weg“, meint der Regisseur. „Und wenn man schaut, was da in der Kunst, in der Literatur oder der Musik passierte, mit dem Expressionismus, dem Dadaismus, ganz zu schweigen von den neuen politischen Strömungen, von der Revolution in Russland, vom Nationalsozialismus … Das finde ich eine unheimlich spannende Zeit und einen tollen Hintergrund für eine Geschichte, weil die Figuren sich an diesen Veränderungen abarbeiten müssen.“
Insofern war Hinterland von vornherein auch als expressionistisches Experiment angelegt, um diese aus dem Lot geratene Welt, wie sie der ehemalige Kriminalinspektor Peter Perg empfindet, auch für den Zuschauer greifbar zu machen – wenn auch nicht ohne Herausforderungen: „Ich habe gemerkt, wie es in vielen Bereichen des Lebens ist, dass es eigentlich eine große Belastung sein kann, wenn alles möglich ist. Wenn man einen Raum hat und plötzlich sagen kann, da sind jetzt zwei Türen oder drei. Normalerweise hat man eine Location, und man hat Einschränkungen, mit denen man zurechtkommen muss. Das hilft sogar oft im kreativen Prozess. Und wenn einem auf einmal alles zur Verfügung steht, ist es eigentlich viel schwieriger.“
Dennoch haben Ruzowitzky und sein Team es geschafft, ein Setting zu kreieren, das beindruckt und gleichermaßen verstört. „Es gab am Anfang Entwürfe, in denen die architektonischen Linien eher rund waren, mehr gebogen,“ verrät er, „aber das wurde dann schnell zu so einer Walt-Disney-Nummer, wo man das Gefühl hat, gleich fangen die Häuser an zu singen und zu tanzen. Woraufhin wir uns einig waren, das es so nicht funktionieren kann. Das musste alles schon immer etwas Bedrohliches, Unangenehmes haben, dass diese Welt so schief und schräg ist.“
Natürlich passt die Atmosphäre nicht nur hervorragend zur Geschichte, sondern ebenfalls zu Ruzowitzkys persönlicher Vorliebe für düstere Stoffe: „Man muss dazu sagen, dass ich erst später zu dem Projekt stieß, die Morde sind diesmal also eigentlich nicht auf meinem Mist gewachsen. Anders als die Liebesgeschichte, die habe ich dann eingebaut. Was mich an diesen düsteren Stories reizt, ist die Psychologie der Figuren, die Psychologie dieser Gesellschaft, die Ästhetik. Aber selbst wenn ein Zuschauer sich vielleicht nicht so sehr dafür interessiert, möchte ich ihm trotzdem etwas Gutes in die Hand geben, um die Sache für ihn sehenswert machen. Und das ist dann in dem Fall der Mord, der alle Zuschauer spannungsmäßig mitzieht – zumindest hoffe ich das.“