Hugh Jackman hat für die Hauptrolle in Michael Graceys Musical-Spektakel „The Greatest Showman“ seine abgewetzten „Wolverine“-Krallen gegen ein paar Tanzschuhe eingetauscht und die Stimmbänder poliert. Ein Gespräch über Chancen, Risiken und darüber, warum aus ihm kein Profi-Tänzer wurde.
Man könnte glauben, es gäbe zwei von ihm. Den Hugh Jackman, der gerade vor einem sitzt, frisch rasiert, gesellig und mit einem Charme gesegnet, der selbst Steine zum Schmelzen bringt. Und den anderen, den mürrischen Marvel-Mutanten mit den Stahlklauen und unbezähmbaren Selbstheilungskräften, die ihn siebzehn tapfere Jahre lang in den diversen X-Men und Wolverine-Filmen faktisch unsterblich und beinahe unbesiegbar machten. Beiden gemeinsam ist lediglich der auch im Alter noch sorgfältig ausgearbeitete Superheldenkörper sowie ein gewisser Old-School-Flair, der sich einstellt, sobald der australische Ausnahme-Schauspieler den Raum betritt.
Tatsächlich lassen sich in Jackmans Filmografie aber noch diverse andere Rolle finden, mit denen der bescheidene Star unter der Führung von Regisseuren wie Darren Aronofsky (The Fountain), Christopher Nolan (The Prestige), Denis Villeneuve (Prisoners) und Tom Hooper (Les Misérables) in den letzten Jahren bewies, dass er noch viel mehr drauf hat, als im Comichelden-Universum regelmäßig für Recht und Ordnung zu sorgen, dass er spielen, singen, tanzen, zaubern, produzieren, und wenn es sein muss, sogar die Oscar-Verleihung moderieren kann. Die klassische Tanz- und Gesangsausbildung, die er im Rahmen seines Schauspielstudiums absolvierte, brachte ihn zunächst nach New York, wo er am Broadway in dem Peter-Allen-Musical The Boy from Oz zudem seine Künste als Entertainer und Charmeur so gekonnt in Szene setzte, dass er für seine Leistung prompt mit einem Tony Award ausgezeichnet wurde. Damals hatte er gerade die ersten beiden X-Men Filme abgedreht, und seither ging es eigentlich nur aufwärts, im Kino wie am Theater.
Dabei ist der 48-jährige Schauspieler, Ehemann und Vater zweier Adoptivkinder in Wirklicheit nicht mehr als ein people pleaser, wie Jackman es selbst formuliert. Einer, der alles dafür gibt, dass die Menschen ihn mögen – am liebsten alle Menschen, versteht sich, ohne Unterschied und Ausnahme. Und das tun sie. Von den Frauen dieser Welt einst zum sexiest man alive gekürt ist Jackman einer für die ganze Familie, was ihn geradezu prädestiniert für die Herausforderung, die ihn als nächstes erwartet: Basierend auf der Lebensgeschichte des amerikanischen Impresarios und Zirkus-Pioniers P.T. Barnum erzählen Regisseur Michael Gracey und der Allround-Star von den Anfängen des Showbiz, verpackt als opulentes, spektakuläres, modernes Musical mit Originalsongs und -Melodien, die aus der Feder der Oscar-Preisträger Benji Pasek und Justin Paul stammen. Mit von der Partie sind außerdem Michelle Willimas, Zac Efron sowie Popstar Zendaya, die unlängst in Spider-Man Homecoming ihren Einstand auf der Kinoleinwand gab. Ob soviel Starpower und Sangeskunst ausreichen, um The Greatest Showman zu einem der ganz großen Musical-Filme aller Zeiten zu machen, wie es der Titel verlangt, wird sich zeigen. Fest steht, dass mit Jackman in der Hauptrolle zunächst einmal alle Zeichen auf Erfolg stehen. Und das ist doch schon mal was.
Mister Jackman, P.T. Barnum hat sich gerne mit Superlativen geschmückt, was so gar nicht Ihre Art ist. Trotzdem scheint es, als hätten Sie sich bei dem Angebot nicht zweimal bitten lassen müssen?
Nein. Als Larry Mark vor sieben oder acht Jahren zum ersten Mal mit der Idee auf mich zu kam, war ich sofort Feuer und Flamme, für die Figur wie für die Geschichte. Ich habe im Laufe meiner Karriere bereits ähnliche Rollen auf der Bühne gespielt, aber nicht im Kino. Das war meine Chance. Und da ich weiß, dass solche Gelegenheiten eigentlich nur einmal im Leben auf einen zukommen, habe ich sofort zugeschlagen.
Was hat Sie an der Figur P.T. Barnum besonders fasziniert?
Die Komplexität. Einerseits war Barnum ein unheimlich ideenreicher Typ, voller Phantasien. Einer, der es liebte, das Publikum zu verblüffen und zu unterhalten. Sein Metier waren Sensationen und Kuriositäten, aber er wollte den Leuten damit auch zeigen, dass Anderssein nichts Schlechtes sein muss, und dass jeder sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. „Leben ist, was du daraus machst!“, lautete eines seiner Zitate. Das klingt heute wie aus einem Lifestyle-Magazin geklaut. Auf der anderen Seite hatte er aber auch etwas von einem Bastard an sich. Sein Aufstieg war mindestens genau so spektakulär wie sein Fall. Und jedes Mal, wenn ihm das Wasser bis zum Hals stand, kämpfte er. Nicht immer sauber, aber er sorgte stets dafür, dass er wieder rauskam aus der Misere. Dabei riskierte er viel, manchmal zu viel, eben weil er Möglichkeiten sah, wo andere ihren Augen nicht trauten, und das lange, bevor sonst irgendwer darauf gekommen wäre. Davor habe ich großen Respekt. Es ist eine Sache, sich eine Idee in den Kopf zu setzen, eine Vision zu haben und daran zu glauben. Aber nur wenige haben den Mumm, den Weg bis zum Ende zu gehen und ihren Traum wahr werden zu lassen.
Was ist bisher das größte Risiko gewesen, dass Sie im Laufe Ihrer Karriere eingegangen sind?
Die Oscar-Verleihung zu moderieren. Zumindest hat sich das damals so angefühlt. Keine Ahnung warum. Vielleicht lag es daran, dass da Millionen Menschen live vor dem Fernseher saßen. Oder an der Tatsache, dass ich damals noch wenig Erfahrung in dem Bereich hatte. Machen wir uns nichts vor, ich bin kein Billy Crystal und werde es nie sein. Ich liebe zwar gute Komik, aber ich bin weiß Gott kein großer Komiker, und deshalb kam es mir in dem Moment so vor, als hätte ich bei der Sache eindeutig mehr zu verlieren als zu gewinnen. Aber wie heißt es so schön: Man kann nicht gewinnen, wenn man immer in Deckung bleibt. Und auch wenn ich längst nicht so draufgängerisch bin, wie Barnum es war, hab ich mir damals gedacht: Was soll’s, probier’s halt. Sag einfach ja und mach das Beste draus.
Der Film ist ein historisches Biopic, aber die Musik ist modern, sehr modern sogar.
Stimmt, denn auch Barnum war, wie gesagt, seiner Zeit voraus. Shows, Zirkus, Marketing, das hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen. Allein deshalb schien es unangebracht, Musik von 1850 zu spielen. Und seien wir mal ehrlich, die Kids von heute, meine elfjährige Tochter inklusive, die würden sich das einfach nicht mehr anhören. Das heißt, musikalisch bewegen wir uns ganz klar eher im Bereich des Pop, mit Hang zum Broadway. Das Ganze sollte frisch klingen und cool, nicht wie ein Museumsstück. Mit der Idee sind wir dann zunächst an die ganz Großen im Popgeschäft herangetreten: Bruno Mars, Pharrell Williams, quer durch die Bank. Sie alle waren begeistert, haben Songs geschrieben, die wir dann getestet haben. Aber nach und nach stellte sich heraus, dass Benj Pasek und Justin Paul einfach den besten Zugang zum Material gefunden hatten. Michael Gracey hat dem Studio gegenüber dann sogar etwas flunkern müssen, weil sie zu dem Zeitpunkt gerade einmal 26 waren und noch nicht wirklich etwas vorzuweisen hatten. Aber mittlerweile sieht das natürlich ganz anders aus. Nach ihrem Tony für Dear Evan Hansen und dem Oscar für La La Land gehören sie zu den angesagtesten Songschreibern überhaupt.
Ihre persönliche Leidenschaft für Musicals ist kein Geheimnis. Hatten Sie jemals Bedenken, deshalb vielleicht als unmännlich bezeichnet zu werden?
Nicht im Bezug auf Musicals per se, aber als ich zehn oder elf war, meinte mein Lehrer zu mir, dass ich ein Talent für Tanz hätte und unbedingt Unterricht nehmen sollte. Also sprach ich mit meinem Vater, der immer ein enormes Verständnis für alles hatte, was wir als Kinder ausprobieren wollen, und sofort einwilligte. Als mein Bruder jedoch Wind davon bekam, fing er an, mich zu hänseln. Er nannte mich sissy und Schlimmeres, was mich – anders als Billy Elliott – dazu veranlasste, die Sache lieber sein zu lassen. Dann, sieben Jahre später, ich war gerade 18 geworden, sahen mein Vater, mein Bruder und ich uns zusammen 42nd Street an. Nach der Vorstellung nahm mich mein Bruder zur Seite und entschuldigte sich dafür, was er damals zu mir gesagt hatte. Er meinte, dass es dumm von ihm gewesen sei, mich vom Tanzen abzuhalten, und dass ich es mir doch noch einmal überlegen sollte. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Am nächsten Tag meldete ich mich zum Unterricht an.
Ihren ersten großen Bühnenerfolg hatten Sie mit The Boy from Oz, in dem Sie den berühmt-berüchtigten australischen Songschreiber und Entertainer Peter Allen verkörpern. Wie muss man sich das vorstellen?
Extrem flamboyant und schwul. Sogar meine Frau, die sonst für Theater überhaupt nichts übrig hat, konnte sich dafür begeistern. Sie liebte die Show, und immer, wenn sie zu einer Vorstellung kam und in der Pause auf‘s Klo ging, hörte sie die anderen Frauen tuscheln: „Was meinst du, ist er oder ist er nicht… du weißt schon?“ „Keine Ahnung, er ist allerdings schon sehr überzeugend.“ In dem Moment brüllte sie dann jedes Mal aus der Kabine: „Ist er aber nicht!“ Mir persönlich waren derartige Munkeleien eigentlich immer ziemlich egal.
Die sieben Jahre Verzögerung, mit der Sie Ihre Tanzausbildung begannen, sieht man Ihnen heute auch nicht mehr an.
Oh doch. Das ist auch der Grund, warum ich mich selbst nie als Profi gesehen habe, obwohl ich damals für The Boy from Oz sogar mit dem Astaire Award für die beste männliche Tanzleistung am Broadway ausgezeichnet wurde. Viel wichtiger ist, dass die echten Tänzer wissen, dass ich keiner von ihnen bin. Die schauen mich an und denken höchstens: Wow, für einen Laien kapiert der ganz schön schnell. Das ist im Grunde wie beim Tennis, da kann man auch nicht einfach mit 18 anfangen und auf einen Wimbledon-Sieg setzen. Mit einer längeren Ausbildung hätte ich sicher im Laufe meiner Kariere auch noch mehr getanzt. Wer weiß, was dann aus mir geworden wäre.
Haben Sie trotz der geplatzten Tanzkarriere schon als Kind davon geträumt, es im Showgeschäft einmal zu etwas zu bringen?
Mein Vater gehört den sogenannten wiedergeborenen Christen an und einmal – ich muss 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein – nahm er mich zu einer dieser Wiederbelebungszeremonien mit. Als ich dann da so saß und das Geschehen beobachtete, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich später ganz sicher auch mal auf einer Bühne stehen würde. Viel ist das nicht, aber es ist wahrscheinlich die stärkste Erinnerung, die ich damit verbinde. Allerdings wollte ich in dem Alter eher noch Rockstar werden, glaube ich.
Warum das?
Weil mir das viel einfacher vorkam. So wie ich die Sache damals sah, musste man dafür nicht mal richtig singen können.
Apropos Gesang. Michelle Williams, die im Film Ihre Ehefrau spielt, scheint im ersten Moment eine ungewöhnliche Wahl, weil man ihren Namen sonst gar nicht mit so großen Studioproduktionen wie dieser in Verbindung bringt, geschweige denn mit Musicals.
Das nicht, aber das heißt ja noch nichts, und so weit ich weiß, musste auch Michelle sich nicht lange überreden lassen. So ein Familienfilm ist mal was anderes, vor allem wenn man selber Kinder hat. Und ich glaube, nach ihrem erfolgreichen Broadway-Debüt in Cabaret hat sie jetzt den Mut gehabt, zu sagen: „Ich kann das!“ Davon ganz abgesehen ist es für uns alle eine tolle, neue Erfahrung. So ein großes, spektakuläres Musical kommt halt nicht alle Tage daher.
Das nicht, aber nach der Hauptrolle in Les Misérables haben Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in Sachen Musicalerfahrung doch einiges voraus.
Auch wieder wahr. Allerdings wusste ich das selbst noch nicht, als ich mich für The Greatest Showman verpflichtete. Damals war an Les Mis noch nicht zu denken. Das kam erst später.
Denken Sie, dass sich die aktuelle Begeisterung für Musicals im Kino, die mit La La Land ihren jüngsten Höhepunkt erreicht hat, auf die Dauer anhalten wird?
Für mich war Moulin Rouge der Wendepunkt, was die Faszination für Musicals auf der Leinwand angeht. Da waren die Studios und Finanziers zunächst noch extrem skeptisch, aber das Publikum hat den Film geliebt. Die Leuten fanden es hip, und am Ende wurde sogar ein Kultding daraus – und ein großer kommerzieller Erfolg. Kurzum: Wenn ein Musical gut gemacht ist, ist es zeitlos. Dafür gibt es mittlerweile einige Beispiele: Chicago, Les Mis, und natürlich Mama Mia. Zwar muss, glaube ich, keiner befürchten, dass Musicals irgendwann überhand nehmen, dafür sind sie einfach zu schwer zu realisieren. Aber es werden sicher demnächst noch einige kommen: Hamilton ganz bestimmt, Wicked auch, und wahrscheinlich Dear Evan Hansen, vermute ich jetzt mal. Und wenn dem so ist, dann werden das hoffentlich alles spannende, originelle Produktionen sein, auf die man sich freuen kann.
Wenn Sie als Wolverine im Einsatz sind, ist das sicher weniger angebracht, aber so eine Figur wie Barnum, nehmen Sie die auch mal mit nach Hause, und singen und tanzen um den Esstisch?
Kommt drauf an. Ich kann Arbeit und Familie eigentlich ganz gut trennen. Zumindest habe ich nicht das Gefühl, ich müsste die ganze Zeit in der Rolle bleiben, wenn Sie das meinen. Nur wenn ein besonders wichtiger Drehtag ansteht, werde ich vorab schon etwas nervös, weil ich will, dass alles gut läuft.
Für Barnum ging es im Leben ständig auf und ab. Sie selbst befinden sich seit Längerem auf der Überholspur. Wie gut können Sie mit Erfolg umgehen?
Ich wünschte, Komplimente würden mich mehr motivieren als negatives Feedback, tun sie aber nicht. Deshalb ist es mir auch immer lieber, wenn ein Regisseur mich kritisiert, weil dann der nächste Take meistens besser wird. Ich muss es mir immer selber schwer machen, wenn Sie wissen, was ich meine. Das kann manchmal anstrengend sein, aber so ist es eben.