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Eingeschlossene Gesellschaft

Filmkritik

Eingeschlossene Gesellschaft

| Alexandra Seitz |
Eine Abrechnung mit dem deutschen Bildungssystem, besser bekannt als ebensolche Misere

Sönke Wortmann legte 2015 mit Frau Müller muss weg die Adaption des gleichnamigen Bühnenstücks von Lutz Hübner vor, das am Berliner Grips Theater in Wortmanns eigener Inszenierung große Erfolge feierte. Der Knüller handelt von einem Coup d’état im Rahmen einer Elternsprechstunde: Eine Gruppe so wild entschlossener wie überfürsorglicher Erziehungsberechtigter versucht mit allen Mitteln – Drohung, Bestechung, Erpressung, Schmeichelei –, in Rede stehende Lehrerin Müller davon zu überzeugen, ihren Sprösslingen den Übertritt ans Gymnasium nicht zu verbauen; und notfalls muss Frau Müller eben weg. Eingeschlossene Gesellschaft, von Wortmann nach einem Drehbuch von Jan Weiler inszeniert, kann nun als eine Art Fortsetzung mit umgekehrten Vorzeichen gesehen werden.

Diesmal geht es um ein Abitur, das unbedingt erreicht werden muss, und diesmal steht einer allein, Vater Prohaska, einer Gruppe am Freitagnachmittag noch im Lehrerzimmer herumhängender Pädagogen und Pädagoginnen gegenüber. Selbige
wollen den lästigen (Mit)Verantwortlichen für ihr tägliches Ungemach, bekannt als Schülerschaft, natürlich sogleich wieder loswerden, doch der Mann schaltet nicht nur auf stur – nicht nur verbarrikadiert er die Tür, er zieht zudem noch eine Waffe hervor, die sich als echt erweist. Des Weiteren erweist sich als Knieschuss das vor einiger Zeit für das gesamte Schulgelände verhängte Handy-Verbot, denn niemand kann nun die Polizei rufen. Ohnehin erweisen die Ordnungshüter sich, als dann doch ein Hilferuf nach Außen dringt, als eher schwer von Begriff.

Unterdessen werden im Lehrerzimmer die Hosen runtergelassen, metaphorisch gesprochen. Und unter den Talaren der Muff von Tausend Jahren; Bildungsdünkel, Borniertheit, Besserwisserei. Wie Frau Müller … ist Eingeschlossene Gesellschaft eine Abrechnung in Form eines Kammerspiels, das von den schauspielerischen Leistungen lebt. Justus von Dohnányi und Anke Engelke wechseln die Seiten, aus Albtraumeltern werden Albtraumlehrer, Karikaturen und Klischees, denen ein ums andere Mal die bittersten Wahrheiten entfahren. Eine Komödie, ja, durchaus. Eine Farce erst recht. Doch weit und breit kein Trost, keine Einsicht, keine Läuterung oder gar Aussicht auf Reform. Wo Frau Müller … ein Tritt gegen das Schienbein war, ist Eingeschlossene Gesellschaft eine schallende Ohrfeige. Sönke Wortmann, Vater dreier Kinder, hat die Geduld mit der Schule und ihren Organen ganz offenbar verloren.