Von Franz Werfel bis Alma Mahler
Palo Alto, Kalifornien, 2012: „Amerika ist ja so uninteressant.“ Emile Zuckerkandl steigt in sein Auto und startet den Motor. Wir folgen dem knapp Neunzigjährigen in seine Wohnung und hängen gute eineinhalb Stunden an seinen Lippen. Die Aufnahme ein Zeitdokument. Der Protagonist, ein Jahr später nur, verstorben. Was Rainer Fimmel hier zu hören gibt, sind Fragmente von etwas, das unwiederbringlich ist. Der Enkel von Bertha Zuckerkandl erzählt von einem Leben, das vernichtet wurde. Was Stefan Zweig die „Welt von Gestern“ nannte, macht Zuckerkandl in einer ausdrücklich klaren Sprache wieder präsent. Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen ist die Geschichte eines vor dem Nazi-Regime Geflohenen, der besser als kaum jemand anderer, die österreichischen Größen seiner Zeit gekannt hatte.
Und das ist nicht verwunderlich: Großmutter Bertha Zuckerkandl war eine Grande Dame der österreichischen Kulturszene. Ihre Salons waren Treffpunkte der wichtigsten Künstler und Literaten Wiens. Zwischen geselligen Erzählungen über Franz Werfel oder Alma Mahler verstecken sich aber die vielen Schicksalsschläge, die engen Bekannten der Familie Zuckerkandl widerfuhren: Freunde, die sich aufgrund der Ausweglosigkeit umbrachten. Familien, die in Konzentrationslagern ermordet wurden. Die Kernfamilie Zuckerkandl selbst schaffte es nur aufgrund von viel Glück und guter Intuition über Paris ins Exil nach Algier. 1946 ging Emile durch die Bekanntschaft mit Albert Einstein über ein Stipendium in die USA, wo er seine Frau Jane kennenlernte. Gemeinsam mit dem zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling entwickelte Zuckerkandl später die molekulare Uhr, die bis heute ein wichtiges Werkzeug in der Molekulargenetik ist. Bis zum Schluss blieb Emile Zuckerkandl ein begeisterter Wissenschaftler und leidenschaftlicher Pianist.
Was Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen wieder einmal aufmacht, ist die Frage der Erinnerungskultur: Wie kurzweilig muss sie sein? Wie direkt soll sie bleiben? Nachdem sich Rainer Fimmel schlussendlich mit seiner Kollaborateurin Tizza Covi auf eine weniger aufwendigere als ursprünglich geplante Version des Filmes geeinigt hatte, bleibt Emile „bloß“ eine Stimme an sich. Dabei gewinnt Frimmel hier die Zusehenden nicht durch aufwendige Dramaturgie, sondern allein, indem er sprechen lässt. Emile Zuckerkandl lebt in den Szenen, die durch das Erinnern lebendig werden und dem, was viele gern vergessen wollten.