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Fabian oder Der Gang vor die Hunde
Fabian oder Der Gang vor die Hunde

Filmkritik

Fabian oder Der Gang vor die Hunde

| Pamela Jahn |
Ein Wurf von einem Film, roh, leidenschaftlich und mit großem Atem

Mein Geschmack neigt zu Blond, meine Erfahrung spricht dagegen. Meine Vorliebe gehört großen Frauen. Aber das Bedürfnis ist nicht gegenseitig.“ Jakob Fabian betrachtet die Sache zunächst einmal nüchtern. Und doch ist es bereits wenige Minuten später um ihn geschehen. Kaum ist er richtig eingetreten in das verruchte Keller-Etablissement, hat sich der junge Doktorand bereits bis über beide Ohren verliebt und ist hoffnungslos verloren. Cornelia Battenberg heißt die junge Dame, die diesmal seine Gefühle nicht nur auf den Kopf stellt, sondern sie ausnahmsweise in gleichem Maße erwidert. Gemeinsam streifen sie fortan mit Fabians Studienkollegen Labude durch die wilden Berliner Nächte der frühen dreißiger Jahre, genießen das Leben und die Liebe, bis der Absturz im Kleinen wie im Großen unumgänglich ist: Erst verliert Fabian seinen Job als Werbetexter, dann rennt ihm Cornelia davon, um Schauspielerin zu werden. Und irgendwann ist nicht einmal mehr Labude aufzufinden, bis Fabian erfahren muss, dass sein bester Freund Selbstmord begangen hat, nachdem seine Dissertation von der Universität abgelehnt wurde. Daraufhin kommt der Moralist selbst ins Straucheln, aus dessen Sicht Erich Kästner 1931 den sittlichen und geistigen Verfall der modernen Gesellschaft beschrieb. Was ihm bleibt, ist allein die Illusion vom privaten Glück, aber auch der Zweifel, ob diese Welt tatsächlich „Talent zur Anständigkeit“ hat.

Regisseur und Drehbuchautor Dominik Graf, einer wie keiner im deutschen Kino, verliert keine Zeit, sich in die Geschichte zu stürzen, rast vom Heute ins Gestern und verweist ganz nebenbei bereits auf den Krieg von Morgen. Sein Fabian dagegen ankert den Film, bleibt gerne zwischendurch auch stehen, nimmt sich Zeit zum Verweilen und zu einem anderen Sehen: Ob Mehrfachbilder, Archivaufnahmen, Stummfilm-, Digital- und Super-8-Optiken, Fabian lässt nichts aus, um den Rausch, das Wilde und die Orientierungslosigkeit der Weimarer Jahre in seine Textur einzubrennen wie ein Tattoo. Tom Schilling, der hier eine persönliche Brücke vom melancholischen City-Slacker in Oh Boy zum epochalen Großstadtflaneur der Weltliteratur schlägt, trägt die Wucht dieser rohen und gewaltigen Romanadaption gekonnt auf seinen schmalen Schultern.

Und Graf, ein Meister in Sachen Literaturverfilmungen, lässt seine Figuren nicht nur gekonnt mit Kästner sprechen, sondern ganz und gar leben in einem beinahe makellosen Film, der so stürmisch, so leidenschaftlich, so unberechenbar ist wie die Zeit, in der er spielt.