Mit Sandra Hüller gibt es einen überraschenden Neuzugang im dritten und letzten Teil der Erfolgskomödie „Fack ju Göhte“. Die gefeierte Schauspielerin über den großen Spagat zwischen diesem Film und „Toni Erdmann“, über Geheimniskrämerei und über die Frage, was peinlich ist.
Mit Toni Erdmann gelang Sandra Hüller an der Seite von Peter Simonischek der große Coup. Das Werk von Maren Ade wurde in Cannes gefeiert wie kaum ein anderer Film je zuvor. Es folgten der Europäische Filmpreis sowie die Nominierung für den Oscar. Auszeichnungen ist die 39-jährige Schauspielerin freilich gewohnt. Für ihre Leistung in Requiem von Hans-Christian Schmid erhielt sie 2006 den Silbernen Bären bei der Berlinale und den Deutschen Filmpreis. Danach trat sie an den Münchner Kammerspielen auf, gleich zweimal wurde sie von „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres gekürt. Zu ihren weiteren Filmen gehören Madonnen, Brownian Movement sowie Über uns das All. Für ihre Darstellung in Frauke Finsterwalders Finsterworld erhielt Sandra Hüller abermals den Deutschen Filmpreis.
Frau Hüller, wie lange haben Sie überlegt, ob Sie für diesen Film zusagen?
Vielleicht zwei Wochen, nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte. Ich lernte den Autor und Regisseur Bora Dagtekin ja bereits 2010 kennen, beim Casting für den ersten Teil. Damals sind wir nicht zusammengekommen, weil sich die Rolle noch sehr verändert hat. Die Rektorin und Frau Schnabelstedt waren in dieser Version noch eine Person. Jetzt gab es für mich kein Casting mehr.
Wie groß ist der Spagat von „Toni Erdmann“ zu „Fack ju Göthe“?
Der Spagat ist sehr groß. (Lacht) Das sind zwei Sachen, die eigentlich fast nichts miteinander zu tun haben.
Welche Geheimhaltungsverpflichtungen mussten Sie eingehen?
Na, alle.
Wie viel dürfen Sie über Ihre Rolle überhaupt verraten?
Also, ganz ehrlich: Damit kenne ich mich gar nicht so richtig aus! Ich würde Ihnen wirklich gerne alles erzählen, aber ich glaube, die Produktion ist da sehr streng. Deshalb nur so viel: Ich bin eine Lehrerin und arbeite an derselben Schule wie Zeki Müller.
Bei „Toni Erdmann“ hat Regisseurin Maren Ade die Takes bisweilen 30 bis 40 Mal wiederholen lassen. War es diesmal ein leichteres Arbeiten?
Der Anspruch ist bei beiden Filmen derselbe, nämlich möglichst genau zu sein bei dem, was man erzählen will. Es ist allerdings ein Unterschied, ob man Sachen übereinander schichtet, so wie Maren Ade das macht, damit man den Grund seines Sees nicht mehr sehen kann. Oder ob es um Pointen geht. Es gab diesmal nicht so viele Wiederholungen von Szenen, aber etliche Gespräche darüber, wie Komödie funktioniert.
Sie haben in eher riskanten Filmen wie „Madonnen“ oder „Brownian Movement“ gespielt. Sind solch sperrigen Stoffe die Pflicht, und eine Komödie im Vergleich dazu die Kür ?
Als Kür würde ich das nicht bezeichnen, gar nicht! Es ist ein anderes Regelwerk, nach dem Fack ju Göthe funktioniert. Das kannte ich bislang noch nicht und verstehe es, glaube ich, bis heute nicht völlig. Insofern ist diese Rolle genau so spannend gewesen, wie alle anderen Figuren zuvor auch. Nur eben mit einem anderen Vokabular – was die Sache spannend gemacht hat.
Wie sieht das „Fack ju Göthe“-Regelwerk denn aus?
Ich hab’s ja nicht verstanden. (Lacht) Bora Dagtekin ist einfach ein grandioser Autor, der Szenen schreibt, die in sich so gut funktionieren, dass es gar keine Alternative dazu gibt. Bei solch genauen Drehbüchern bleibt fast kein Raum mehr für Improvisation. Für mich hat es sich so angefühlt, dass hier noch etwas mehr Handwerk gefragt war als in meinen vorigen Filmen.
Hatten Sie die ersten beiden Teile im Kino gesehen?
Im Kino damals nicht, zur Vorbereitung auf diesen Film natürlich schon.
In einem Artikel über Sie lautete einmal die Überschrift „Die Frau, der nichts peinlich ist!“ – einverstanden?
Nein, überhaupt nicht. Das ist eine Zuschreibung. Überschriften sind ja immer gefährlich. Mir ist natürlich wahnsinnig vieles peinlich. Und ich bin da total empfindlich. Nur beim Spielen ist das ein bisschen anders.
Was wäre zum Beispiel peinlich?
Wenn man sich im Ton vergreift. Wenn man etwas verwechselt. Oder den Namen von jemandem vergisst, den man schon oft gesehen hat. Da fallen mir tausend Sachen ein.
Für eine Rolle liegen die Hürden des Peinlichen höher?
Wenn ich mich für etwas entschieden habe, dann mache ich das auch zu Ende. Ich lese ja im Drehbuch vorher, was von mir verlangt wird. Ich weiß also, worauf ich mich einlasse – das ist im Leben anders. Da passieren Dinge überraschend und können einen anders treffen. Natürlich gibt es auch beim Schauspielen peinliche Situationen, etwa wenn ich an die Szene im Hotelzimmer in Toni Erdmann denke. Aber das gehört eben dazu.
Als Dialekt steht auf Ihrer Setcard bis heute „Thüringisch (Heimatdialekt), Sächsisch“.
Neuerdings isch Schwäbisch au no mit dabei. Vorgeschdern han ich auf Schwäbisch gschpield. Es kommt also immer etwas dazu.
Elyas M’Barek erzählt gerne, dass er sich bisweilen eine Tarnkappe wünsche. Geht es Ihnen ähnlich, wenn Sie in Ihrer Heimatstadt Leipzig über den Markt laufen?
Nein, überhaupt nicht. Als Kindertraum hätte man sicher gern einmal eine Tarnkappe, um Mäuschen spielen zu können. Aber ich habe nie das Gefühl, ich müsse mich jetzt verstecken.
Haben Sie Mitgefühl mit Elyas M’Barek, der sich kaum noch frei in der Öffentlichkeit bewegen kann?
Ich habe großes Mitgefühl mit ihm. Und gleichzeitig hat er sich das alles selber eingebrockt. Das muss er jetzt eben auslöffeln.
Wie haben Sie den Ruhm erlebt? Mit Rotem Teppich und Fotografen-Geschrei in Cannes und bei der Oscar-Verleihung?
Bei der Oscar-Verleihung war das Geschrei der Fotografen nicht wegen uns, sondern wegen anderer Leute, Tatsächlich war es eher so ein Jahrmarktsgefühl, weil es richtige Anheizer gab, die dazu animiert haben, bestimmte Sachen zu rufen.
Wie angenehm sind Ihnen solche Auftritte?
Das gehört jetzt eben dazu, aber ich reiße mich nicht darum.
Wie gerne hören Sie Komplimente? Das Stichwort „Die Berliner Cate Blanchett“ haben Sie im „Süddeutschen Magazin“ mit einem Gähnen kommentiert…
Wenn die Leute das so sehen möchten, ist das alles ganz wunderbar. Aber ich schaue ja nicht in den Spiegel und denke: „Wow, ich sehe aus wie Cate!“ Sie ist eine bewundernswerte Schauspielerin, und natürlich freue ich mich, wenn jemand da irgendetwas entdeckt. Aber das sagt nichts über mich aus. Ich finde Komplimente immer gut, je persönlicher sie sind, desto besser.
Ist „Fack ju Göthe“ auch ein kleines Filmbonbon für Ihr schulpflichtiges Kind?
Nein, in diesem Alter wäre mir das noch zu früh, das Kind in einen Film mitzunehmen.
Hat der Oscar-Rummel auch Angebote aus Hollywood gebracht?
Nein. Mir gefällt es hier auch ganz gut. Bis jetzt haben sich die Dinge in meinem Leben immer organisch ergeben. Wenn Hollywood käme, freute ich mich. Aber ich würde mir deswegen jetzt kein Bein abhacken.
Was muss ein Projekt bieten, damit Sie zusagen? Zum Beispiel aktuell als Großmarktverkäuferin in der Clemens Meyer-Verfilmung „In den Gängen“.
Die Geschichte finde ich ganz wunderbar. Den Regisseur Thomas Stuber kenne ich bereits lange, bei seinem vorigen Projekt war ich leider verhindert. Danach haben wir uns fest für den nächsten Film verabredet, und das war In den Gängen. Mit Franz Rogowski und Peter Kurth hatte ich wunderbare Kollegen und ich durfte zudem Gabelstaplerfahren lernen: Ich besitze jetzt den offiziellen Flurförderführerschein: Das ist das Luxuriöse an Beruf des Schauspielers.
Was war Ihre Motivation, diesen Beruf zu ergreifen?
Zum einen kann ich wenig andere Dinge wirklich gut, für Sport etwa fehlte mir jegliche Begabung. Zum anderen interessieren mich Menschen und psychologische Zusammenhänge sehr. Schauspielerei ist für mich ein spannender Beruf, in dem man immer neue Perspektiven einnehmen kann.
Hätten Sie sich diese Karriere träumen lassen, als Sie 2006 im Stocherkahn vor dem Hölderlin-Turm in Tübingen für Ihren ersten Film „Requiem“ unterwegs waren?
Natürlich nicht, wie hätte ich das denn machen können? Als wir „Requiem“ gedreht haben, wusste ich noch nicht einmal, was die Berlinale ist. Ich bin nicht Schauspielerin geworden aus Karrieregründen, auch wenn einem das immer keiner glaubt. Jeanne Moreau sagte zwar: „Alle, die behaupten, es gehe ihnen nicht um Ruhm, sind Lügner.“ Auch Lars Eidinger sieht das ähnlich. Aber das stimmt nicht für alle. Ich habe das tatsächlich für die Erfahrung des Spiels gemacht und das mache ich immer noch. Alles andere ist sozusagen Zusatzbonus. Darüber freue ich mich. Aber es ist wirklich nicht mein Antrieb.
Was ist Ihr Antrieb?
Mir geht es immer darum, zu wachsen und zu lernen. Über meinen eigenen Schatten zu springen und mutig zu sein. Ich möchte in Zusammenhänge komme, die ich nicht kenne. Natürlich immer mit dem Risiko, damit zu scheitern. Ich glaube nicht, dass ich mich da idealisiere. Es ist tatsächlich mein tiefstes Empfinden.
Gibt es Projekte, von denen Sie sagen: Das Risiko war zu groß. Da bin ich gescheitert?
Im Film, glaube ich, bis jetzt nicht so. Aber am Theater passiert es ganz oft, dass Vorstellungen einfach nicht so laufen, wie man sich das gedacht hat. Wobei darin schon der Fehler liegt, weil sich das überhaupt nicht steuern lässt. Das einzusehen, braucht einen langen Lernprozess. Ebenso, dass es absolut keinen Sinn hat, sich darüber hinterher zu ärgern!
Nach all den Preisen und Auszeichnungen, auch dem großen kommerziellen Erfolg, kann es künftig eigentlich nur noch bergab gehen. Macht Ihnen das nicht ein bisschen Angst?
Nein, es macht mir überhaupt keine Angst. Selbst in der Wirtschaft ist Wachstum irgendwann begrenzt. Dann ist es eben so. Was soll ich da machen? Ich werde sicherlich nicht weinen, weil der nächste Schritt nach oben ausbleibt. Ich wüsste auch gar nicht, was das sein soll. Im Leben gibt es schließlich noch andere Dinge zu tun.
Im vorigen Interview hatten Sie gesagt, die Schnittmenge mit Ihrer Figur in „Toni Erdmann“ läge bei 20 Prozen …
Da habe ich mich aber weit aus dem Fenster gelehnt.
Wie groß ist die Schnittmenge mit der Lehrerin in „Fack ju Göthe“?
Keine Ahnung. Ich komme aus einer Pädagogen-Familie, vielleicht habe ich dadurch irgendwelche Anlagen. Wobei die Lehrer in Fack ju Göthe sicher nicht besonders typisch sind.
Haben Sie eine Erklärung für den enormen Erfolg der Pauker-Komödie?
Die Schulkomödie hat eine ganz lange Tradition. Das ist eine Zielgruppe, die man ganz gut abholen kann. Dann ist das Drehbuch unglaublich gut geschrieben. Und vermutlich sind die Leute froh, wenn man manchmal die Dinge etwas leichter nimmt. Zugleich ist Bora Dagtekin jemand, der tatsächlich etwas verändern möchte. Was an den Schulen definitiv nicht funktioniert ist zum Beispiel der Umgang der Schüler untereinander. Da möchte Bora genauer hinschauen, eben auf seine Art, innerhalb der Komödie. Dieses ernsthafte Anliegen gibt es bei ihm auf jeden Fall.
Wie wäre Ihre Reaktion auf Angebote der Werbebranche?
Das ist noch nie passiert. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde.
Sie haben nach „Toni Erdmann“ bereits drei Filme gedreht, demnächst stehen Sie in Salzburg und Weimar auf der Bühne. Wird das Arbeitspensum nicht zu groß?
Da müssen Sie sich wirklich keine Sorgen machen. Es ist ja nicht so, dass jeder Film immer 30 Drehtage bedeutet. Und das Theater findet erst im nächsten Jahr statt.
Haben Sie Vorbilder?
Ich sage das ungern, mir ist das irgendwie zu intim, über Idole zu sprechen. Aber als Jeanne Moreau starb, war ich schon sehr traurig. Was sie konnte, das könnte ich nie. Es war ganz einzigartig, was sie gemacht hat. Auch Corinna Harfouch bewundere ich sehr.