Die Breitenseer Lichtspiele, das älteste Kino von Wien, haben eine neue Leitung bekommen. Damit setzt sich eine lange Tradition fort.
Das Breitenseer Kino kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: 1905 als Zeltkino gegründet, war es bereits ab 1909 an seinem heutigen Standort Breitenseer Straße 21 im 14. Bezirk von Wien zu finden und zählt mittlerweile zu den ältesten durchgängig bespielten Lichtspieltheatern der Welt. Der pittoreske Charme des Hauses mit seinen 168 Sitzplätzen macht das Breitenseer zu einem einzigartigen Ort des Kinos, wie man ihn nach der großen Schließungswelle, die bereits in den sechziger Jahren ihren Anfang genommen hat, kaum noch finden kann. Dass dieses Juwel unter den Lichtspieltheatern das große Kinosterben der vergangenen Jahrzehnte überlebt hat, ist vor allem den unermüdlichen Anstrengungen von Anna Nitsch-Fitz geschuldet, die das Kino 1969 übernommen hatte. Davor leitete sie bereits das in Familienbesitz befindliche Nussdorfer Kino, nach dessen Schließung entschied die am Gymnasium Schmelz tätige Mathematiklehrerin – ein Beruf, den sie bis zur Pensionierung weiterhin ausübte –, die Breitenseer Lichtspiele zu übernehmen. Dort erwies Anna Nitsch-Fitz sich als allgegenwärtige Prinzipalin, die ihre Liebe zu diesem Kino über die Jahrzehnte wiederholt unter Beweis gestellt hat. So konnte man etwa bei den legendären Filmnächten im Breitenseer in den achtziger Jahren erleben, wie Nitsch-Fitz um vier Uhr früh in der Pause zur letzten Vorstellung den Besuchern selbstgemachten Kirschkuchen kredenzte.
Nach mehr als fünf Jahrzehnten unter ihrer Ägide hat Anna Nitsch-Fitz zwar die Leitung abgegeben, doch die Geschicke des das Breitenseer Kinos bleiben in der Familie, denn ihre Nichte Christina führt nun – gemeinsam mit Dieter Mattersdorfer – das Haus. Christina Nitsch-Fitz hatte ihre Tante bereits zuvor unterstützt und die höchst beliebt Reihe „Kultkino“ konzipiert und veranstaltet. Zu den Persönlichkeiten aus der Kulturszene, die einen Lieblingsfilm auswählten und bei der Vorstellung im Breitenseer selbst zugegen waren, zählten dabei Voodoo Jürgens, Sebastian Brauneis, Der Nino aus Wien, Hermes Phettberg und Hubsi Kramar. Die coronabedingte Zwangspause wurde genutzt, um einige dringend notwendige Renovierungsarbeiten vorzunehmen, am 10. September fand mit Aufzeichnungen aus der Unterwelt die – nicht nur von der Fangemeinde – lang herbeigesehnte Saisoneröffnung statt.
Das neue Führungsduo Christina Nitsch-Fitz und Dieter Mattersdorfer im Gespräch über die Zukunft des traditionsreichen Hauses.
Das Interview lesen Sie in unserer Printausgabe 10/2021
Wie ist die Übernahme vonstatten gegangen?
Christina Nitsch-Fitz: Wir haben zunächst einzelne Veranstaltungen geplant, da hat aber meine Tante das Kino noch geleitet und war auch immer hier. Für uns war das Breitenseer immer total in Ordnung, wie es war, charmant mit allen seinen Unperfektheiten. Mit der Zeit haben wir aber festgestellt, das es aufgewertet werden muss, auch mit einigen technischen Neuerungen, einfach um mit den anderen Programmkinos dieser Stadt auf Augenhöhe agieren zu können und für etwaige Kooperationen oder Festivals – vor einigen Jahren waren wir ja bereits Spielort des Let’s-CEE-Festivals – gerüstet zu sein. Das Kino soll nicht nur ein Geheimtipp bleiben.
Dieter Mattersdorfer: Wir haben zusammen begonnen, das Kino behutsam zu renovieren, um es technologisch auf den Stand des gegenwärtigen Jahrzehnts zu bringen, etwa was die digitale Projektion angeht. Das Breitenseer soll natürlich seinen speziellen Charakter bewahren, wir haben aber innen schon die Böden, die Bestuhlung im Kinosaal und den Projektor substanziell renoviert, damit alles eine Art Refreshment bekommt. Das Kino war, abgesehen von den durch Corona bedingten Schließungen ja immer offen, hat aber doch am Schluss ein wenig einen Dornröschen-Schlaf gemacht. Wir versuchen, nun wieder alles voranzutreiben.
Inwieweit wurde im Zuge der Renovierung auch die Projektionsanlage miteinbezogen?
DM: Es ist da zwar zu ein paar Verzögerungen bezüglich der Lieferungen gekommen, aber wir bekommen zu Weihnachten eine neue Surround-Anlage, da ist alles vorbereitet. Und wir bekommen eine neue digitale Projektion, damit können wir neue Sachen unkompliziert abspielen. Die 16mm-Anlage ist repariert, was für uns sehr wichtig ist, weil die Stummfilme dieses Format haben. Der letzte Schritt wird sein, die 35mm-Anlage zu reparieren, da sind wir jetzt im Gespräch, das ist aber ein heikles Projekt, das hoffentlich über den Winter passieren wird. Wir haben sehr wohl vor, alle diese unterschiedlichen Formate zu projizieren.
Wobei Sie beide beruflich in ganz verschiedenen Bereichen unterwegs waren?
CNF: Ich bin ursprünglich Kindergartenpädagogin, ähnlich wie meine Tante, die als Lehrerin auch aus dem pädagogischen Bereich gekommen ist. Ich habe das aber nun hintangestellt, weil ich mir mehr Zeit für das Kino nehmen wollte.
DM: Ich arbeite wie viele aus meiner Generation, die nicht fertig studiert haben, im Bereich der Computer-Technik. Eigentlich komme ich aus Graz, dort habe ich bei der Diagonale unter der Intendanz von Christine Dollhofer und Christian Wulff im Bereich Veranstaltungstechnik gearbeitet.
Wie schwierig war die Entscheidung, die Breitenseer Lichtspiele zu übernehmen? Ein solches Kino zu betreiben, bringt in der heutigen Zeit ja viele Herausforderungen mit sich?
CNF: Begonnen hat dieser Prozess erst einmal damit, dass man die Tante in ihrem etwas fortgeschrittenen Alter zunächst unterstützen wollte, indem man sich etwas einbringt und ihr ein paar Aufgaben abnimmt, man hat sich dann immer mehr mit dem Kino verbunden gefühlt. Die Weiterführung war zuvor ein großes Fragezeichen, es hat geheißen, das kann man ja nicht übernehmen, mit all den damit verbundenen Unsicherheiten, wie soll man das schaffen? Doch plötzlich hat sich diese Frage einfach nicht mehr gestellt, denn es war klar, das Breitenseer sperrt zu oder man macht halt etwas daraus – und wir haben gesagt, wir müssen nun etwas daraus machen. Ich war da irrsinnig optimistisch, auch weil Dieter mit der Zeit sich immer mehr eingebracht hat.
Eine Zeit lang hat es schon sehr eng für den Fortbestand ausgesehen ?
CNF: Ja, definitiv. Eng war es immer, und das ist es noch immer, wir versuchen jetzt einmal, diesen Weg zu gehen. Meine Tante hat ja über Jahre hinweg den Bestand des Kinos privat aus ihrer Pension mitfinanziert, das ist aber zukünftig für uns nicht möglich, Kosten privat zu tragen. Es geht jetzt darum, Möglichkeiten zu finden, dass sich der Betrieb nun selbst trägt. Da ist einerseits die Förderung durch die Stadt Wien bezüglich der entsprechenden Programmierung wichtig. Damit haben wir auch das Budget, um bestimmte Schienen kuratieren zu lassen. Zudem haben wir nun das große Glück, dass uns ab September die Raiffeisen Bank als Sponsor zur Seite stehen wird. Es war schon unser Ziel, einen Partner zu finden, aber das ist schwierig und wir haben nicht damit gerechnet – und dann hat man doch an unsere Tür geklopft und gemeint, man würde uns gern unterstützen, das minimiert schon unser Risiko.
Wie sieht es bezüglich der Förderungen aus, die ein Arthouse-Kino in Wien bekommt?
CNF: Es gab eine einmalige Sonderförderung für alle Programmkinos in Wien wegen der durch Corona entgangenen Einnahmen; und dann die jährliche Förderung für die Programmierung, die wir auch bekommen, weil wir hauptsächlich österreichische und europäische Filme spielen.
DM: Wir haben auch Unterstützung vom Bezirk bekommen für das Foyer, da haben uns aber auch viele Freiwillige geholfen, die ihren Enthusiasmus eingebracht haben.
Kann das Breitenseer auch mit den den Richtlinien für die Programmkino-Förderung der Stadt Wien seine inhaltliche Vielfalt, beibehalten? Dieser programmatische bunte Strauß war ja auch so etwas wie ein Markenzeichen. Und inwieweit wird sich das Haus von anderen Arthouse-Kinos unterscheiden?
CNF: Wir werden auf jeden Fall unser Stummfilm-Programm weiterhin machen, das hat ja schon so etwas wie eine Tradition im Breitenseer. In einer weiteren Schiene wollen wir das Kinderkino nicht nur beibehalten sondern auch weiterentwickeln, damit Kinder, die ja auch immer mehr das Streamen gewohnt sind, hier ein unvergessliches Kino-Erlebnis haben, etwa durch Animationsfilme mit Live-Musik und Moderation. Den österreichischen Film nehmen wir auch deshalb gern ins Programm, weil wir diese Filme einfach selbst sehr mögen. Der Prozentanteil an österreichischen und europäischen Produktionen, die wir für die Prorammkino-Förderung erreichen müssen, lässt uns aber immer noch genügend Freiraum für andere Schienen, da kann man auch durchaus kuriose Dinge zeigen. Das wird beibehalten werden und Teil unseres Programms bleiben. Eine Gruppe Filmstudierender stellt eine Reihe mit dem Titel „Crisis“ auf die Beine, mit der sie Filme zeigen wollen, die man vielleicht nicht unbedingt kennt – beispielsweise aus Asien –, ganz spannende Dinge. Wir werden auch mit Lotte Schreiber, die ja auch beim Crossing-Europe-Festival eine Schiene kuratiert, zusammenarbeiten. Und Gerhard Gruber, der als Pianist bei unseren Veranstaltungen Stummfilmklassiker live vertont, wird sich vermehrt einbringen und Filme vorschlagen, er hat ja ein umfangreiches Filmwissen, besonders was die Ära des Stummfilms angeht. Für dieses Jahr hat er bereits einen asiatischen Stummfilm ausgesucht. Auch die Reihe Kultkino soll auf jeden Fall fortgesetzt werden, wir sind schon im Gespräch mit den nächsten Gästen, wir wollen schon noch in diesem Jahr Kultkino im Programm haben. Und dann war es uns auch wichtig, das Kino herzurichten, damit es auch für private Veranstaltungen reizvoll wird.
DM: Wir wollen auch mit Veranstaltungen wie etwa Filmgesprächen das Haus beleben, ich denke, das zieht die Leute ins Kino, das ist ein Erlebnis, mit dem wir das „Breitenseer-Lichtspiele- Gefühl“ vermitteln wollen, das mit diesem speziellen Ort und seiner Geschichte verbunden ist und seine eigene Atmosphäre hat. Wir haben auch bei der Renovierung sehr darauf geschaut, den eigenen Charakter des Kinos beizubehalten. Wir möchten dabei so etwas wie „Kino und mehr“ anbieten, die Leute sollen hier etwas erleben und erfahren, das man zu Hause einfach nicht hat. Nach den ganzen Lockdowns haben viele einfach genug gestreamt, jetzt sind alle einfach froh, wieder etwas in Gesellschaft erleben zu können.
Wie funktioniert die Kooperation mit den österreichischen Filmverleihern?
CNF: Wir waren gleich einmal sehr angetan, dass uns das Stadtkino total entgegengekommen ist, als wir Aufzeichnungen aus der Unterwelt spielen wollten. Man hat das sehr gut gefunden, dass auch wir den Film spielen, sie wollten eigentlich auch am 10. September ihre Premiere spielen, haben dann aber, nachdem wir an diesem Datum unbedingt unsere Eröffnung machen wollten, den Start um einen Tag vorverschoben, das Stadtkino-Team war da sehr offen und hilfsbereit. Man merkt auch in den sozialen Medien, dass sich die anderen Programmkinos sehr positiv über das Breitenseer Kino äußern, da ist kein Konkurrenzdenken zu spüren.
DM: Wir sind ja doch ein Vorstadtkino, auch deshalb denke ich nicht, dass wir in Konkurrenz zu den in der Innenstadt gelegenen Kinos stehen, zudem sind wir ja auch das Kino ohne eigenen Filmverleih. Wobei sich der Begriff „Vorstadtkino“ ja relativiert. Ich habe nicht den Eindruck, als wäre das hier noch Vorstadt, auch weil Wien ja immer mehr gewachsen ist und wächst. Mit der U-Bahn ist man ja recht schnell und unkompliziert mitten im Stadtzentrum. Zudem denke ich, dass die Lage des Kinos hier sogar ein Vorteil ist, gegenüber einem Platz mitten in der City, wo es ja tausend andere Ablenkungen gibt.
Welches Publikum möchten Sie denn mit den Breitenseer Lichtspielen ansprechen?
DM: Wir versuchen, eine Nische zu finden, ich denke, dass muss ein Kino wie das Breitenseer auch tun, um sich zu positionieren. Dazu gehört der Charakter als Programmkino, aber auch hier sozusagen als kultureller Nahversorger verortet zu sein. Wir haben in den letzten Monaten während der Renovierung auch immer wieder spontane Reaktionen von Passanten bemerkt, die wirklich froh waren, dass das Kino bestehen bleibt und es nun weitergeht.
Was waren Ihre ersten, ganz persönlichen Berührungspunkte mit dem Breitenseer Lichtspielen?
CNF: So wie das bei jedem anderen üblich war, ist man als Kind und Teenager in das Kino um die Ecke gegangen und nicht in einen anderen Bezirk, deshalb waren meine Kinos der Kindheit im Alsergrund beheimatet – das Auge-Gottes-Kino und das Kolosseum, da bin ich immer mit meiner Freundin hingegangen. Meine Beziehung als Kind zum Breitenseer war, dass man gewusst hat, die Tante ist da, man hat sie gelegentlich besucht, aber verbunden war ich damals mit den Kinos um die Ecke bei mir daheim. Erst später, als ich schon etwas älter war, bin ich immer öfter hier im Breitenseer gewesen.
DM: Ich bin ja, wie erwähnt, aus Graz, ich habe also keine Kindheitserinnerungen an irgendein Wiener Kino, ich kenne das Breitenseer eigentlich, seit Christina hier begonnen hat, Veranstaltungen zu machen. Davor wusste ich, dass ihre Tante das Breitenseer leitet und war manchmal als Kinobesucher hier.
Nach der Wiedereröffnung steht in den ersten Wochen eine Vorstellung pro Tag am Programm. Soll das so beibehalten werden?
DM: Wir beginnen einmal mit täglich einer Vorstellung und bauen die Strukturen des Teams auf, da kann sich auch das Publikum einmal einstellen. Es wächst dann hoffentlich, wir wollen aber mit der Renovierung auch einen Ort, eine Atmosphäre schaffen, wo die Leute nicht gleich nach Vorstellungsende gehen, sondern auch noch ein bisschen bleiben, um über den Film zu reden.
Auch wenn das Thema Corona mittlerweile fast alle nur mehr nervt, inwieweit befürchtet man als Kinobetreiber – so wie alle Kulturveranstalter –, dass wieder Zwangsmaßnahmen inklusive Schließungen bevorstehen?
DM: Zunächst ganz praktisch gesprochen, wir haben bei der Renovierung auch die Lüftung repariert. Corona wird uns sicher noch beschäftigen, aber es ist definitiv so, wenn wir jetzt zusperren müssten, sperren wir nachher wieder auf. Ich glaube aber, ein totaler Lockdown ist gesellschaftlich nicht mehr durchzusetzen.
CNF: Wir planen jetzt so, als ob es ganz normal weitergeht, man muss ja planen – wir gehen einmal davon aus, dass wir alles umsetzen können.