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Kinderfilmfestival 2021 | Interview

Farbe zeigen!

| Gabriela Seidel-Hollaender |
Ein Gespräch mit dem niederländischen Regisseur Jonathan Elbers zu seinem durchaus kontroversen Film „Der Club der hässlichen Kinder“.

„Der Club der hässlichen Kinder“ beruht auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Koos Meinderts. Wie kam es zu der Idee, das Buch für einen Film zu adaptieren?
Jonathan Elbers: Mein Produzent kam mit dem Buch zu mir und sagte: Das ist wirklich etwas für dich. Ich habe die ersten dreißig Seiten gelesen und war sofort begeistert. Die Metapher der hässlichen Kinder, die verschleppt werden, ist so stark, dass ich sofort das visuelle Potenzial sah. Das ganze Buch und auch der Film sind voller Anspielungen auf historische und politische Ereignisse, aber im Kern handelt es sich um die Geschichte eines kleinen Jungen, der sich auf ein großes Abenteuer begibt. Es ist ein Fantasy-Film, wie wir ihn immer wieder gerne gesehen haben, als wir Kinder waren.

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In dem Film wird eine dystopische, totalitäre Gesellschaft beschrieben, in der ein psychopathischer Despot auf menschenverachtende Weise gegen Kinder vorgeht, die nicht seinem Schönheitsideal entsprechen. Inwiefern ist dies ein Sujet, das für Kinder geeignet ist?
Der Film beginnt in der dunklen und grauen Welt, die Sie beschreiben, aber die Geschichte ist am Ende sehr positiv. Es geht um Kinder, die Stellung beziehen und die in der Lage sind, etwas zu bewirken. Die Erwachsenen im Film sind mit der Politik beschäftigt, von Angst ergriffen und trauen sich nicht, ihre Überzeugungen in Frage zu stellen. Aber die Kinder sehen die Politik nicht, sie vermissen einfach ihre Freunde und setzen ihre Fantasie und ihren Witz ein, um gegen die Ungerechtigkeit, die ihnen angetan wird, einzutreten. Das macht den Film zu einem Film über die Kinder dieser Generation, die an vorderster Front bei den Black-Lives-Matter-Protesten, den Protesten für mehr Waffenkontrolle und den Klimamärschen stehen.

Kurz gesagt: Unser Film handelt von einem Jungen, der Angst vor seinem eigenen Aussehen hat, weil ein böser Präsident ihm sagt, dass er nicht in sein Land gehört. Er muss erst lernen, an sich selbst zu glauben, bevor er es mit dem Regime aufnehmen und die Proteste anführen kann. Ich glaube, das ist eine Geschichte, die viele Kinder ansprechen wird.

Der Film ist visuell beeindruckend. Das Setting und die durchchoreografierte Szenerie sind so wirkungsvoll wie beklemmend. Farbe setzt sich gegen das Grau-in-Grau der herrschenden Verhältnisse als widerständige Bewegung durch. Wie haben Sie die Bildkomposition entwickelt, und wie aufwändig waren die Dreharbeiten?
Wir wollten eine Welt schaffen, die sich sehr sauber, aber auch sehr unbehaglich anfühlen würde. Eine Welt, die zeigt, wie langweilig es wäre, wenn wir alle gleich wären. Alle Gebäude haben die gleiche Farbe, alle Kostüme haben die gleiche Farbe, es ist eine Welt, die keinen Individualismus zulässt. Die Bewegung aller Figuren verläuft in geraden Linien, und die Kamera ist ziemlich statisch. Erst wenn Paul er selbst sein kann, wird die Kamera beweglich und Farbe beginnt einzufließen, erst dann werden die Darstellung, die Inszenierung und die Kamerabewegung persönlicher. Ein gutes Beispiel ist das Geschäft für Farben im Film, in dem man nur graue, schwarze, weiße und rote Farbe kaufen kann. Sobald man aber hinter die Geheimtür geht, sieht man plötzlich alle Farben, die es gibt. Die Farben verraten hier, dass es eine Welt gab, bevor Präsident Isimo ins
Amt kam.

Wie haben Sie die Kinder gecastet? Und wie war die Arbeit mit ihnen?
Wir haben mit dem folgenden Text ein großes Online-Casting gestartet: „Der Club der hässlichen Kinder castet hässliche Kinder.“ Viele Eltern meinten wütend: „So etwas wie hässliche Kinder gibt es nicht!“. Und sogar das niederländische Radio und das Fernsehen wollten wissen, was das soll. Doch wir blieben bei unseren Slogan: „Jeder ist auf seine Weise hässlich.“ Viele Kinder haben diesen Humor verstanden und sich online beworben. Sie haben uns beschrieben, was ihrer Meinung nach der hässlichste Teil ihres Körpers ist und warum sie in diesem Film auf jeden Fall die Hauptrolle spielen sollten. Wir suchten gezielt nach einer Besetzung, die keine Angst vor der Courage dieser Produktion hatte, und fanden einige großartige junge Schauspieler.

Nach dem Casting stellten wir die Schulklasse und die Kinder im Bus zusammen. Alle nahmen an Theaterworkshops teil, und wir probten so lange mit ihnen, bis sie die Hymne und die militärische Aufstellung der Gesellschaft im Film verinnerlicht hatten. Dadurch wurden alle spürbar in den gesamten Prozess des Filmemachens einbezogen. Für den Dreh des großen Protests baten wir die Kinder, mit ihrer hellsten Kleidung zu kommen und Schilder mit ihrem eigenen Namen anzufertigen. Ich erinnere mich, dass ich an diesem Drehtag zum Set kam und überwältigt war von all den Kindern, die aus den ganzen Niederlanden kamen, in wilden Farben gekleidet waren und mit ihren selbstgemachten Schildern winkten. Das Mädchen, das Joy verkörperte, musste nicht wirklich schauspielern, und all diese Kinder zu sehen, das war wirklich beeindruckend.

Der Film hat in Zeiten, in denen Populismus und Diskriminierung gegen Andersaussehende in vielen Teilen der Welt eine traurige Realität bilden, eine besondere Relevanz. Gleichzeitig nimmt der Film die Bedeutung der Sozialen Medien unter die Lupe. Wie wichtig war Ihnen der Umgang mit diesen Medien bei der Arbeit an dem Film?
Das Buch wurde 1987 geschrieben, aber wir wussten sofort, dass wir eine Online-Umgebung brauchten. Alle Proteste der Welt werden im Moment über Soziale Medien verbreitet. Wir konnten unmöglich einen Film über einen Widerstand und sein Erscheinungsbild machen, ohne Soziale Medien mit einzubeziehen. Allerdings gab es im Drehbuch nicht so viele Medien wie im fertigen Film. Die Szene, in der man sieht, wie alle Kinder aufwachen und zur Schule gehen, war eine Idee, die mir kam, als ich sah, wie unsere Schauspieler von den Sozialen Medien besessen waren. Zwischen den Filmaufnahmen haben sie immer ihr Telefon abgehört oder etwas gepostet. Das hörte nicht auf, und ich spürte die Notwendigkeit, mehr davon in den Film einzubauen, denn das ist die Art der Kommunikation für Kinder heutzutage. Also gab ich den Hauptdarstellern und den Kindern aus der Klasse und den Bussen Telefone, damit sie sich selbst beim Aufwachen in dieser seltsamen Welt filmen konnten. Was wir im Film sehen, sind Improvisationen von den Kindern, die sie selbst gefilmt haben. Und ich dachte mir, es wäre eine sehr lustige Art, jeden neuen Tag, der im Film anbricht, damit zu beginnen.