Richard Linklater über Bilder von glücklichen Kühen, die Verfügbarkeit der Kinogeschichte und das Leben außerhalb Hollywoods.
Gesellschaftskritische Filme scheinen erstaunlich populär in Hollywood – hängt das mit George W. Bush und dessen Politik zusammen?
Kino reflektiert das Zeitgeschehen, siehe Vietnam in den 70er Jahren. Meinen Film über die Auswirkungen der Finanzmärkte auf den Einzelnen hätte ich in den 90ern kaum gemacht. Die Filmindustrie orientiert sich an der Popularität der Themen. Die Studios lehnen sich nicht weit aus dem Fenster, aber wenn sie Chancen auf einen neuen Absatzmarkt wittern, werden sie jedes Thema für die Leinwand entwickeln.
Verstehen Sie die Filmindustrie selbst als eine Art Fast-Food-Betrieb?
Solche Vergleiche sind nahe liegend, allerdings letztlich nicht ganz durchdacht. Schließlich wird man in dieser Branche für Einfallsreichtum ausgezeichnet und nicht für Konformität. Anders als beim global einheitlichen Hamburger sehen Filme keineswegs überall auf der Welt genau gleich aus.
Ist Fast Food Nation die Spielfilm-Antwort auf die Dokumentation Super Size Me?
Super Size Me hat viel erreicht, allerdings ging es dort um die gesundheitlichen Folgen dieser Ernährung. Bei uns stehen vor allem die Produktionsbedingungen im Mittelpunkt, die Menschen, die in dieser Industrie tätig sind. Wobei ich das weniger als ein Aktivistenprojekt verstehe, sondern vielmehr als einen Einblick in die Welt dieser Arbeiter.
Gab es ähnlich heftige Reaktionen der Burger-Ketten wie bei Super Size Me?
In Australien hat McDonald’s mit einer Kampagne reagiert, wonach dort alles anders wäre und australisches Fleisch australisch sei. Allerdings ist dieses Werbebild schöner Farmen mit glücklichen Kühen falsch, auch dort gehören Fleischfabriken zur Realität. In Amerika haben sich die Lobbyisten schon früh damit beschäftigt, wie man auf den Film reagieren sollte – solche Dinge erfährt man durch frustrierte Mitarbeiter, die vielleicht keinen Weihnachtsbonus bekamen. Jedenfalls hat der Film bereits im Vorfeld für reichlich Medienwirbel gesorgt.
War es für Sie schwierig, als Vegetarier auf einem Schlachthof zu drehen?
Vegetarier haben vielleicht weniger Schwierigkeiten, sich Schlachthöfe anzusehen. Immerhin können sie sagen, dass diese Grausamkeiten nicht durch ihren Konsum unterstützt werden. Ich habe mich lange vor diesem Film für das fleischlose Leben entschieden – wenn nicht, hätte ich es danach mit Sicherheit getan. Ich habe viel über die Bedingungen der Nahrungsmittelindustrie erfahren – vielleicht bin ich etwas militanter geworden, was meine Haltung zu diesem Thema angeht.
Ihre Filme sind sehr unterschiedlich. Was wäre ein „typischer“ Linklater-Film?
Ich habe mir da nie Grenzen gesetzt. Die Themen meiner Filme sind abhängig von der Zeit, in der sie entstanden. In jedem steckt etwas Autobiografisches, sogar in den historischen Newton Boys: Ich wuchs in einem ähnlichen sozialen Umfeld auf, ich kann die Armut nachempfinden. Ich bekomme oft Angebote für große Filme. Aber wenn ich keinen persönlichen Zugang dazu habe, kann ich das nicht machen. Wer Filme dreht, sollte das Gefühl haben, er sei der Einzige, der dieses Thema exakt in Szene setzen kann.
Ab welchem Moment können Sie sagen, dass ein Film gut ist, dass er funktioniert?
Das ist absolut subjektiv. Ich spüre das von Anfang an, aber vielleicht fehlt mir die Perspektive von außen. Ein Film entwickelt sich wie das eigene Leben: Es funktioniert einfach. Das eine kommt zum anderen, und irgendwie klappt es. Ich bin mir selbst gegenüber sehr kritisch und weiß, wie ich zu meinen Filmen stehe. Entsprechend wenig lasse ich mich von anderen Meinungen beeinflussen.
Wie verhalten Sie sich gegenüber Ihren Schauspielern? Setzen Sie auf Kontrolle oder auf Freiraum?
Ich versuche eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Schauspieler ihr Bestes geben können. Ich fühle mich wie ein Trainer, der auf die verschiedenen Charaktere in der Gruppe eingeht, mit ihnen probt, in die Tiefe der Figuren vordringt. Ich will dabei über das Drehbuch weit hinausgehen. Für mich ist das der magische Moment meiner Arbeit: wenn der Text auf den Schauspieler trifft.
Ihre Filme sind in vielen Ländern auf DVD erschienen – sehen Sie als Regisseur jemals etwas von diesem ganzen Geld?
Das meiste Geld geht an die Studios. Seit ich der Gewerkschaft beigetreten bin, bekomme ich ab und zu einen Scheck, wenn ein Land einen Film gekauft hat. Der größte Teil der DVD-Einnahmen geht an die Inhaber der Filmrechte, außer es wurde damals vertraglich anders geregelt.
Sie leben in Austin, Texas. Wo und wie sehen Sie dort Arthouse-Filme?
Austin ist eine Studentenstadt, die Bevölkerung ist kunstinteressiert, wir haben mehr Buchläden als die meisten anderen Städte. Es ist wunderbar, dass man heute praktisch alle Filme auf DVD abrufbar hat. Ich erinnere mich noch, wie ich mir früher Urlaub genommen habe, um Filme nicht zu verpassen. Heute ist die gesamte Kinogeschichte mit einem Klick abrufbar – wobei allerdings das Filmerlebnis verloren geht.
Kann man als Regisseur in der Provinz leben? Sollten Sie nicht besser nach Hollywood?
Offensichtlich nicht! Die Filmindustrie ist sehr dezentralisiert, in unserer vernetzten Welt macht es keinen großen Unterschied, wo man lebt. Für Schauspieler ist die Lage etwas anders, weil sie ständig abrufbar sein müssen. Aber ich gehöre der ersten Generation von Regisseuren an, die nicht in Hollywood leben müssen, um Karriere zu machen.
Sie haben mit Slacker Karriere gemacht – müssten heute in den Zeiten billiger Digitalkameras und Foren à la MySpace oder YouTube nicht täglich Tausende solcher Filme entstehen?
Mir gefällt es, dass heute zumindest technisch jeder seinen eigenen Film machen kann und die Filmindustrie sich dadurch vielleicht weiter öffnet. Es besteht allerdings ein himmelweiter Unterschied zwischen Menschen, die mit ihrer Handykamera ihre Freunde filmen, und jenen, die ein Drehbuch schreiben, Schauspieler besetzen und einen Film konstruieren. Heute entstehen sehr viel mehr Filme, jedoch ist fraglich, ob damit die Qualität ansteigt.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich habe vier Drehbücher, die ich gerne verwirklichen möchte, aber ich weiß noch nicht, welches von ihnen ich finanzieren kann. Eines der Projekte beschäftigt sich indirekt mit dem Irak-Krieg, es ist ein Roadtrip dreier alter Vietnam-Veteranen, von denen einer einen Sohn hat, der im Irak stationiert ist.