Die britische Science-Fiction-Serie „Doctor Who“ feiert 2013 ihr fünfzigjähriges Bestehen – eine Erfolgsgeschichte der billigen Spezialeffekte, großen Ikonen des Designs und des generations übergreifenden Spaßes am Gruseln.
Wo waren Sie, als Kennedy ermordet wurde? Und wo waren Sie am Tag danach? Im medialen Schatten des Attentats auf den amerikanischen Präsidenten strahlte die BBC am 23. November 1963 die erste Episode der langlebigsten Science-Fiction-Show der Welt aus, die zum innersten Kern der kulturellen Identität Großbritanniens gehört.
Doctor Who wurde im anhaltenden Einschaltquotenkrieg der sechziger Jahre vom kanadischen Produzenten Sydney Newman für die BBC entwickelt. Auf der To-do-Liste stand, ein lehrreiches Format für junges Publikum zu konzipieren, das naturwissenschaftliches als auch historisches Wissen in ein unterhaltsames Drumherum kleiden sollte. Das Budget war winzig, das verfügbare Studio alt, brauchbares Equipment kaum vorhanden, und doch wurde die ursprünglich für dreizehn Samstage veranschlagte Spielserie um einen grantelnden, viele hundert Jahre alten Mann, der mit seiner Enkelin und deren versehentlich hinzu gestoßenen Lehrern durch Raum und Zeit reist, ein unerwarteter Erfolg. Fünfzig Jahre später ist der Hype um die Jubiläumsausgabe mit dem Titel „The Name of the Doctor“, die am 23. November 2013 in Kinos weltweit ihre Premiere feiern wird, auch außerhalb des anglo-amerikanischen Raums enorm.
Selbstverständlich hat sich seit dem ersten Mehrteiler „An Unearthly Child“ sowie dem ersten Doctor, William Hartnell, viel verändert, im Kern funktioniert jedoch jede Folge nach dem selben, bewährten Muster: Ein relativ exzentrischer humanoider Außerirdischer mit zwei Herzen, der aus dem Geschlecht der Timelords vom Planeten Gallifrey stammt, reist mit ein bis drei Begleitern in einer blauen Polizeinotrufzelle namens TARDIS („Time and Relative Dimension(s) in Space“, wichtig: „It’s bigger on the inside!“), um das Universum und seine Bewohner zu retten. Hartnell wandelte sich innerhalb kürzester Zeit vom „grumpy old man“ mit ethisch nicht ganz einwandfreien Standards – so hatte er in einer frühen Folge gleich einen Steinbrocken bei der Hand, als ein verletzter Höhlenmensch ihn und seine Gefährten auf der Flucht zu sehr verlangsamte – zum Großvater der Nation. Zum größten Erfolgsfaktor der frühen Jahre sollte jedoch genau das werden, was Erfinder Newman tunlichst vom Schirm fernhalten wollte: „bug-eyed monsters“. Diese kamen zum Zug, als nach „An Unearthly Child“ schneller als vermutet ein neues Script gebraucht wurde und einzig „The Daleks“ von Terry Nation vollständig zur Verfügung stand. Die damit einsetzende, als „Dalek-Mania“ bekannte Periode hält – mit Höhen und Tiefen – bis heute an. Eine Umfrage des National Trust im Jahr 2008 ergab, dass neun von zehn britischen Kindern einen Dalek einwandfrei identifizieren können, was nicht zuletzt am absurd-genialen Design von Raymond Cusick liegt. Daleks sehen aus wie genoppte Salzstreuer, die sich am Boden wie automatische Staubsauger fortbewegen und mit metallisch verzerrter Stimme ziemlich monoton und wenig blumig ihre Liebe für die Bösartigkeit kundtun – Catchphrase: „Exterminate!“
Sci-fi-historisch betrachtet waren die faschistoiden Mini-Panzer ursprünglich Kaleds vom Planeten Skaro, die der böse Wissenschaftler Davros zu tentakeligen Gehirn-Wesen mutierte und sie aus Gründen der Mobilität in mechanische Rüstungen steckte, ausgestattet mit einem kleinen Auge am Stil, einem Saugnapf-Arm und einem Mixer-artigen Aufsatz, der augenblicklich tötende Strahlen abfeuert. Wachsende Bedenken ob der Kindgerechtheit ließen nicht lange auf sich warten und erhöhten die Anziehungskraft auf das junge Publikum selbstredend noch weiter. So weit, dass sich das Fürchten vor den Who’schen Monstern zum generationenübergreifenden Teil des kulturellen Gedächtnisses entwickelte: Als Kind Doctor Who gesehen zu haben bedeutet, hinter dem Sofa verschanzt hervorgelugt zu haben – ein Zustand der im Vereinigten Königreich inzwischen sprichwörtlichen Charakter hat.
Wichtiger Bestandteil der Geschichten sind die zumeist menschlichen Mitreisenden in der TARDIS. Zu mehr als neunzig Prozent waren dies attraktive Damen, deren Basiskompetenz in den frühen Jahren in lautem Schreien bestand und die im Lauf der Zeit mal züchtiger und mal weniger bekleidet waren – was die Publikumsreichweite auf Väter ausdehnte, die so im Anschluss an das Sportprogramm in ihren Sesseln gehalten wurden. Bald rekrutierte sich die Besetzung jedoch auch aus den Reihen der Astrophysikerinnen und Journalistinnen, die stellvertretend für das Publikum viele Fragen stellten, wenn sie nicht gerade gerettet werden mussten, weil sie wieder mal allein eine fremde Gegend voller Gefahren erkundet hatten.
Als William Hartnell 1966 seinen Doktorenkittel ablegen, die BBC ihr erfolgreiches Format jedoch nicht aufgeben wollte, folgte ein weiterer genialer Kniff. Der Darstellerwechsel wurde nicht à la James Bond einfach stillschweigend hingenommen, während man das Beste in Bezug auf die Akzeptanz beim Publikum hoffte, sondern programmatisch und in die Erzählung integriert. Im Falle des nahenden Todes kann ein Timelord eine spezielle Form von Energie freisetzen und so bis zu zwölfmal einen neuen Körper generieren. Die verschiedenen „regenerations“ teilen zwar Bewusstsein, Erinnerungen, Erfahrungen und Grundcharakter, unterscheiden sich jedoch stark in ihren Fähigkeiten und Spleens, wodurch die Serie mit jedem neuen Doktor auch eine andere Dynamik bekam.
Patrick Troughton (1966–69) verjüngte den Doctor erfolgreich, während John Pertwee (1970–74) die Serie als ernster und moralischer Dandy in Cape und Rüschenhemd ins Farbzeitalter führte. Tom „Do you want a jelly-baby?“ Baker (1974–81) wurde mit überbordender Mimik und bebender Stimme der erfolgreichste Doctor der klassischen Ära, dessen Kleidungsstil mit Mantel, großem Hut und unzählige Meter langem Schal der bis heute meistzitierte und -parodierte ist. Es folgten Peter Davison (1981–84), Colin Baker (1984–86) und Sylvester McCoy (1987–89), die jedoch unter einem BBC-Chef, der dezidiert kein Fan der Serie war, zu dienen hatten. Nach einem zunächst einjährigen Aussetzer 1985, der durch massive Proteste der Fangemeinde beendet wurde, führten undurchsichtige Hintergründe und denkbar undankbare Platzierungspolitik zur Absetzung von Doctor Who.
Ein 1996 durch den Erfolg der alten Serie am amerikanischen Markt initiierter Fernsehfilm mit Paul McGann (die beiden Kinofilme aus 1965 und 1966 mit Peter Cushing in der Hauptrolle werden nicht zum Kanon gezählt), fand zwar in Großbritannien sein Publikum, jedoch nicht wie erhofft amerikanische Geldgeber für eine Revitalisierung. Gerade als man dachte, Nostalgie wäre das einzig Bleibende und Science-Fiction in der Prime Time kein Thema mehr, gelang Russell T. Davies (Queer as Folk) und Christopher Eccleston als achtem Doctor 2005 die Überraschung.
Wie 1963 war nur eine einzige Staffel geplant. Mehr Budget, bessere Effekte und die Treue zum Geist der alten Serie begeisterten die nun erwachsenen Fans von früher wie auch deren Nachkommen von der ersten Folge an. Das darf dem einzigartigen Umstand angerechnet werden, dass viele der Beteiligten große Fans und Kenner des Whoniversums sind und sich Davies, wie auch sein Nachfolger seit 2010, Steven Moffat (Coupling, Tintin, Sherlock), als Showrunner ausreichende Kontrolle über das Aussehen des Endprodukts sichern konnten. Auf Eccleston folgte sein Kollege aus der Royal Shakespeare Company, David Tennant (2005–10), der vom aktuell amtierenden Matt Smith abgelöst wurde.
Eine gelungene Mischung aus Wiederbelebung der ikonischen Antagonisten und Erschaffung neuer Monster, in von unterschiedlichen Autoren in ebenso unterschiedlichen Tonarten verfassten Geschichten, verbunden durch staffelübergreifende Handlungsbögen, machten Doctor Who 2012 zur am häufigsten über iTunes heruntergeladenen Serie Amerikas. Ebenso hilfreich waren berühmte Gastauftritte, -autoren (z.B. Neil Gaiman) und nicht zuletzt der Humor, die selbstreferenzielle Ironie und das augenzwinkernde Verständnis von Science wie auch Fiction: „People assume that time is a strict progression of cause to effect but actually from a non-linear, non-subjective viewpoint it’s more like a big bowl of wibbly wobbly, timey wimey … stuff.“