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Filmarchiv Austria

Die Pervertierung der Welt

| Gunnar Landsgesell |

Im März zeigt das Filmarchiv Austria wenig bekannte Aktionsfilme des späten Otto Mühl, von Hans-Christof Stenzel und dem Fluxuskünstler Wolf Vostell.

Wie sähen Aktionsfilme der Wiener Schule um Brus, Mühl, Schwarzkogler und Nitsch aus, nachdem Schlamm, Kleister und Semmelbrösel zur Neige gegangen sind? Wenn Aktion sich zum Beispiel nicht mehr primär in aufbegehrenden und zugerichteten Körpern materialisiert, sondern als „erweiterte“ Materialaktion mit einem, sagen wir, halbwegs konventionellen filmischen Narrativ einfach so weiterspuken würde? Gar nicht hypothetisch schlägt das Filmarchiv im März ein eher unbekanntes Kapitel des Wiener Aktionismus auf. Noch in den Achtziger Jahren, als das Alte im vermeintlich Neuen schon wieder für Ordnung am Friedrichshof gesorgt hatte, realisierten Otto Mühl als Genius und seine Regisseurin Terese Panoutsopoulos eine Reihe von Kurz- und Langfilmen, die sie sorgfältig in Kinder- und Erwachsenenfilme trennten. „Ferkeleien“ blieben diese Werke natürlich alle, Mühls ZOCK-Manifest (Befreiung der Sexualität, Überwindung der Kunst, usw.) aus den frühen Siebzigern blieb gültig. Die Auswahl aus dem echten Leben genommener Sujets dieser Filme lässt aber vermuten, dass es nun eher darum ging, die bürgerliche Welt von innen her zu kannibalisieren, als sie neu aufzubauen. Für die Kinder sollte die Wahrnehmung und Warnung vor dem Bösen der Welt im Vordergrund stehen. In Der Führer kommt aus dem Jahr 1986 wird Hitler (Mühls Sohn Adam) umgepolt: Mit seiner Entourage eröffnet er eine Ausstellung offensichtlich entarteter Kunst (Mühls Bilder, eine selbstironische Pointe), lobt: „Ein Neger, aber sehr gut gelungen.“, und erklärt einer geistig Behinderten seine Liebe. Als würde sich hier ein Dilemma von Mühls Subjekttheorien offenbaren, steht in diesen Filmen die nahezu kindliche Faszination des Körpers als beschreibbares Medium im Vordergrund. Führerkult-Ulk, Chaplin- und andere Popsujet-Zitate ersetzen die Suche nach strukturellen Zusammenhängen.

Mit Dschugaschwili aus Georgien (1985) und Columbus (1988, gedreht als reines Ausdrucksspiel nahezu ohne Einsatz des suspekten Wortes) setzt sich der naiv-schöpferische Ansatz fort. Interessant, wie sich die „Erwachsenenfilme“ vom profan Politischen (in Xidai, 1984, schlagen sich zwei Kinderarmeen die Köpfe ein, um dann Frieden zu schließen) der Kinderfilme abheben. Die zumindest filmische Trennung einer Welt der Kleinen und der Großen führt offenbar dazu, dass über Picasso sogar zwei Filme inszeniert wurden. Der Maler Picasso (1985) huldigt dem Zentrum einer juvenilen kreativen Community, während Picasso (1986) mit Theo Altenberg stärker an sinnliche Aspekte und die Körperanalyse andockt. Intensität gewinnen die Filme dort, wo sie den Körperaktionen früherer Tage sehr nahe sind. Inferno und Hexenjagd (beide 1983) bauen mächtige Allegorien auf die Obszönität gesellschaftlicher Verhältnisse. In einem Fußballspiel treffen Vertreter der Kirche, Hakenkreuzträger und Bürger mit voller Härte aufeinander. Hier greift der filmische Produktionsprozess, das verfremdete Material, der repetitive, stotternde, springende Schnitt wieder stärker in die Dramaturgie ein, lässt alle Beteiligen so lange aufeinanderprallen, bis die Elemente Blut, Körper, Gewalt als direkte Aktion zum Zuseher sprechen. Beide Filme setzen also wieder stärker auf den Befreiungscharakter des Bildes wie der Körper, schließen an die Sechziger-Jahre-Idee der aktionistischen Filme an, erweitern (oder verengen, je nachdem, wie man es sehen will) die Bilder aber um eine symbolistische Note und durch narrative Settings. Und auch hier lässt sich Groteske nicht von Ernsthaftigkeit trennen, wovon der Vorspann von Hexenjagd zeugt: „Wer sich durch diesen Film schockiert fühlt, soll darüber nachdenken, wie es den Opfern des Wahns ergangen ist.“ Einen noch stärkeren Eindruck kreativer Erschöpfung machen die zwei Kurzfilme On the Road with Emilie und Die Verwandlung (beide 1983). Ersterer versucht die unterdrückten sexuellen Bedürfnisse einer älteren Frau mit dem Instrumentarium der Psychoanalyse zu visualisieren und bleibt mimetisch zwischen Nähzeug, Pendeluhr und gierigen, aus dem Nichts greifenden Händen stecken. Der zweite wirkt in seiner Inszenierung wie ein Schritt vom perversen zum infantilen Film, wenn er auch inhaltlich Tabus angreift: Der unfolgsame Sohn von Bauern verwandelt sich, anders als bei Kafka, in ein Schwein (ein Ferkel …) und wird nach erfolgloser Besteigung der Mutter so wie in Pasolinis Porcile (1969) am Ende verspeist, allerdings von den Eltern. Eine Sublimierungsleistung der anderen Art.

Ein Mann, der sich im Umfeld der Aktionisten bewegt hat, sich von deren Ideen inspirieren ließ und gelegentlich mit Exponenten wie Nitsch oder Brus (z.B. für Strangulation, 1965) kooperierte, war der Berliner Filmemacher Hans-Christof Stenzel. Auch seine programmatisch „verrückten“ Filme verschrieben sich ganz der Aktion, die, inhaltistisch ausgerichtet, nicht unbedingt dramaturgische Entwicklungen anstoßen musste. Zitat aus der „Frankfurter Rundschau“: „Der 1935 geborene Hans-Christof Stenzel hat schon eine ganze Reihe Fernsehfilme gemacht, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre.“ Das ist natürlich als Lob gegen die Marginalisierung eigensinniger Filmemacher zu lesen. Stenzels anarchischer, derber, surrealer Mix aus gewichtigen Posen und narrativer Verweigerung lässt sich als zentrale Haltung seiner Filme verstehen – ob H.C. Artmann, Attersee oder Schnulzenkönig Drafi Deutscher, sie alle werden zu Komplizen. Das Zitat der „Frankfurter Rundschau“ bezog sich übrigens auf Obszön – Der Fall Peter Herzl. Ein Film, der Geschichtsschreibung von ganz unten, politisierten Zeitgeist, niederträchtige Schmähs (Hanno Pöschl!) mit Mutzenbacher-Ambiente samt Kammerstück-Streichern verschmilzt. Im Mittelpunkt steht ein deutscher Sozialarbeiter (Volker Spengler), der ebenso unschuldig wie gleichgültig in eine Polit-Entführung gezogen und für den restlichen Film von einem Polizeiapparat zwischen Horst Herold und Kottan verfolgt wird. Das stört aber weder Zuseher noch Herzl selbst, weil dieser in der Wohnung bei einer Prostituierten im Wiener Karl-Marx-Hof strandet, wo er regelrecht versandet. Inzest, derbe Dialoge (aus der Feder des späteren „SOKO-Kitzbühel“-Autors Alfred Paul Schmidt), Defätismus, nackte, sich im familiären Verbund vereinigende Körper, dazu Karl Marx als Objekt geschmähten Arbeiterpathos’ in der Vitrine – der Film dürfte 1981 als Sabotage an der öffentlichen Moral verstanden worden sein. Ein Publikumsgespräch mit Regisseur Stenzel im März sollte mehr Einsichten über den eigentümlichen Spagat seiner Produktionen bringen.