Mit dem filmcollege Wien haben Filmbegeisterte eine neue Möglichkeit, Film zu lernen und zu schaffen. Dabei wird viel Wert auf Praxis gelegt.
Seit Februar 2006 erhält der erste Jahrgang die dreieinhalbjährigen filmcollege-Ausbildung. Doch bevor der Pilot-Jahrgang starten konnte, gab es viele Überlegungen über die Sinnhaftigkeit einer weiteren derartigen Ausbildungsrichtung in Wien: „Vor zwei Jahren kamen Studentinnen und teilweise auch Vortragende der [inzwischen nicht mehr existenten, Anm.] Filmschule Wien zu uns und wollten Räume mieten, um den Unterricht einigermaßen abzuwickeln. Daraus entstand dann die Idee, sich das Thema Filmausbildung näher anzuschauen“, erklärt Herbert Depner, Leiter des filmcollege. „Wir haben überlegt, ob es genügend Nachfrage in Österreich für so eine Ausbildung gibt. In aller Ruhe haben wir dann sondiert, Machbarkeitsstudien erstellt, Betriebsbesuche im Ausland unternommen, Lehrpläne studiert usw. Nach einem Jahr haben wir beschlossen, dass wir diese Ausbildung anbieten wollen.“ Realisiert wurde das Projekt dann durch das polycollege, der größten Volksbildungsinstitution Österreichs. Dadurch war es auch möglich, innerhalb bestehender Strukturen auf starke und kompetente Partner zurückzugreifen: im Kinogeschäft auf die Filmcasino BetriebsGmbH, im Vertriebswesen auf den Traditions-Verleih Polyfilm.
Kleingeld gefragt
Um das filmcollege besuchen zu können, sind kein Hochschulabschluss oder andere vorausgehende Ausbildungen nötig. Lediglich das 17. Lebensjahr muss vollendet sein. Ist diese Voraussetzung gegeben, gilt es einen zweistufigen Aufnahmeprozess zu überstehen: Man bekommt einen Aufgabenkatalog zugeschickt und hat zwei Wochen Zeit hat, diesen zu lösen: „Für den Bereich Schnitt haben wir letztes Jahr den Kandidaten 20 Bilder geschickt, mit der Aufgabe, diese Bilder in eine logische Reihenfolge zu bringen und die Geschichte, die hinter den Bildern steckt, zu erzählen. Hier wollten wir einfach das Denken in Bildern abfragen“, erklärt Depner. Die zweite Phase des Aufnahmeverfahrens ist das persönliche Aufnahmegespräch, bei dem es in erster Linie um die Klärung der jeweiligen Erwartungshaltung geht.
Um das Studium letztendlich (erfolgreich) antreten zu können, ist eine Studiengebühr von rund 2780 Euro pro Semester zu entrichten. Thomas Herberth, Student des Jahrgangs Februar 2006, sieht das allerdings nicht als Problem: „Dreieinhalb Jahre filmcollege, davon drei Jahre Studium und ein halbes Jahr Praktikum. Ich denke schon, dass es sich auszahlt. Im Endeffekt kommt es darauf an, was man selbst daraus macht. Man bekommt Technik zur Verfügung gestellt, Organisation und Räumlichkeiten. Und man ist in einer Gruppe junger, engagierter Leute, die Film schaffen wollen und auch das Talent dazu haben.“
Stipendien seien leider nur bedingt möglich, erklärt Herbert Depner: „Es gibt individuelle Unterstützung über Fortbildung durch den WAFF [Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds], teilweise auch Stipendien von Gewerkschaft oder Arbeiterkammer. Wir haben uns aber auch die Preisgestaltung privater Filmschulen im deutschsprachigen Raum angesehen, und da kommen wir noch günstig weg.“
Praxis ist alles
Um neben der Wiener Filmakademie ein attraktives Ausbildungsangebot anzubieten, setzt das filmcollege vermehrt auf Praxis: „Ich möchte damit nicht sagen, dass auf der Filmakademie keine Praxis stattfindet, aber bei uns ist das Gewicht noch mehr Richtung praxisorientierter Projekte verschoben.“ Thomas Herberth konkretisiert: „Es gibt zurzeit das Pflichtprogramm von einem großen Projekt pro Semester pro Student. Dabei sind die Projekte immer abhängig von den Themen des Semesters. In den ersten beiden Semestern lernt man die Grundlagen – hier sind die Vorgaben für die Filme drei Minuten ohne Ton (erstes Semester) und fünf Minuten mit Ton (zweites Semester). Danach geht’s um bestimmte Themen: Image- und Wirtschaftsfilm – wobei ich mir noch wünschen würde, dass Werbung hinzukommt. Dann Dokumentarfilm, danach Spielfilm und dann der Abschlussfilm.“
Viel Praxis bekommen die Studenten durch erfahrene Filmschaffende vermittelt. Depner: „Grundsätzlich kommen alle Vortragenden aus der Praxis, was die Gestaltung des Stundenplans nicht ganz einfach macht, aber das ist für uns das Wichtigste. Neben der Praxisnähe müssen die Vortragenden natürlich auch in der Lage sein, didaktisch gut zu vermitteln.“ Durch die Strukturen und Synergien mit dem Filmcasino und der Polyfilm konnte man auch ganze Produktionsteams in den Unterricht holen, um eine Produktion ganzheitlich zu analysieren und zu zerlegen. „Ein gutes Beispiel ist etwa Vienna’s Lost Daughters von Mirjam Unger, der von Polyfilm vertrieben wird“, so Depner. „Hier war es nahe liegend, sich mit dem Produktionsteam auszutauschen.“
Von Studentenseite gab es außerdem den Wunsch, Fachbereichs-Beauftragte einzusetzen, um klare Vorgaben und Abläufe im Semester zu gewährleisten. Thomas Herberth: „Anfangs war die Vernetzung der verschiedenen Fachbereiche nicht vorhanden. Dadurch kamen uns die Unterrichtseinheiten sehr lose vor. Für uns war sehr wichtig, dass es in jedem Bereich Verantwortliche gibt, die den Inhalt immer im Auge haben. Das ist nun umgesetzt – es gibt jetzt einen technischen Leiter und Fachbereichsleiter.“