Ruth Beckermanns Blick auf ein Kapitel österreichischer Zeitgeschichte
Wie macht man Filme politisch, lautet eine alte Frage. Genau so, könnte man sagen, wenn man Waldheims Walzer sieht. In Ruth Beckermanns Rückschau, halb Essay, halb Zeitchronik, kehrt Kurt Waldheim als Farce zurück. Das liegt einerseits an der Haltung des ehemaligen Bundespräsidenten Österreichs und der Distanz, mit der man dessen unglückliche Auftritte nach 30 Jahren sieht, andererseits an der unbeirrbaren Montage, in der Waldheims argumentative Linie – „nichts gewusst“, „nur meine Pflicht getan“ – Stück für Stück zerbröckelt.
Eigentlich hätte dieser Film auch „Waldheim’s Disease“ heißen können, betrachtet man die aufgeputschte Stimmung, in der sich die eine Hälfte des gespaltenen Landes befand. Man sah Österreichs Ehre beschmutzt, auf dem Stephansplatz kochten Ressentiments hoch, die sich zwischen Pöbelei und NS-Rhetorik bewegten. Waldheims Walzer ruft aber auch viele schrille Nebenklänge in Erinnerung, etwa von Regierungsmitgliedern wie Alois Mock, der sich über die „Schmutzkübelkampaign“ des World Jewish Congress ereiferte. Dabei hatte dieser nur rekonstruiert, dass Waldheim entgegen seinen Behauptungen sehr wohl am Balkan war: Als Mitglied des Generalstabs der 12. Armee bereitete er für den berüchtigten General Alexander Löhr (1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet) die Informationen auf. Wie die Archive zeigen, waren Judendeportationen, die tagelang in Thessaloniki stattfanden, und Erschießungen von Zivilisten hinter der Front Teil der Kriegsführung. Fotos von den auf einem Platz zusammengetriebenen Menschen erzeugen einen Moment lang eine ungeahnte Intensität, die den krassen Widerspruch zu Waldheims behaupteter Geschichtslosigkeit noch verschärfen. Dass diese Haltung so viele Unterstützer fand, die den ÖVP-Kandidaten bei Auftritten bejubelten und bestärkten, bildet aber den eigentlichen, dramatischen Nukleus dieses Films. Waldheim war im wahrsten Wortsinn mehrheitsfähig, die nationale Mobilisierung gegen das Ausland sein zweifelhafter Joker.
Beckermanns Film lässt sich zugleich in einer Linie zu Ereignissen zehn Jahre später sehen, als sie im Rahmen ihrer Arbeit Jenseits des Krieges (1996) Besucher der Wanderausstellung über die Wehrmacht befragte. Noch hier lassen sich nur Rudimente einer demokratischen Gesinnung erkennen, zu der auch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte zählt. Waldheim erscheint wie der perfekte Protagonist dieser Wehrmachtsverteidiger. Er ziert sich und windet sich, doch manchmal blitzt ein impulsiver Mensch hinter der aalglatten Fassade auf. Als ein alter Mann Waldheim öffentlich ohrfeigen will, packt der Politiker ihn und stößt ihn mit unvermuteter Energie weg. Ein anderes Mal schlägt er während eines Interviews mit der Hand auf den Tisch, um nun seine Version der Geschichte durchzusetzen. In diesen Momenten wirkt der Ex-UN-Generalsekretär, der freimütig verkündete „Über mir gab es niemand“, so gar nicht wie der Politiker, der die Grundwerte dieser Gesellschaft verstanden hätte. Da gerät der Walzer ins Stocken.