Wem als Filmstar zwischendurch mal kurz langweilig wird, nimmt neuerdings ein Album auf. Denn nicht nur Papier, auch Platten sind geduldig.
Das Phänomen von Filmstars, die es mal in der Phono-branche versuchen, ist keineswegs neu. Bereits Robert Mitchum etwa nahm Calypso-Alben auf, die allein durch die Ausrufung von Camp etwas an Würde gewannen. Tatsächlich neu hingegen scheinen die Leichtigkeit, mit der diese Ware in letzter Zeit für Aufsehen sorgen kann, sowie das fast schon schamlose Bauen auf die Celebrity. Doch wer meint, dass Berühmtheit ein Startvorteil für die Gesangskarriere sei, dem seien die Bands 30 Odd Foot of Grunts, P, Dogstar oder The Bacon Brothers anempfohlen: Denn hinter diesen Namen stecken keineswegs Virtuosen, die das eigene Unvermögen als etwas ansehen, das gesonderte Aufmerksamkeit verdienen würde. Weshalb man sich auch nicht – der Reihe nach – Russell Crowe Orchestra, Johnny Depp and Friends, Keanu Reeves Experience oder Kevin Bacon Band nennt.
Wie Bruce Willis es illusionslos formulierte: „Ich singe gerne, und weil ich berühmt bin, müssen die Leute zuhören.“ Oder anders gesagt: Wer will, der darf. Wer kann, der soll. Und wer seine Persönlichkeit und (Leinwand-)Erfahrungen mit in die Produktion einbringt, würzt das Produkt mitunter sogar mit Einzigartigkeit.
Das neue deutsche Fräuleinwunder
Julia Hummer & Too Many Boys: Downtown Cocoluccia
(Strange Ways)
Sie möchte singen wie Antony, und zwar als Hochzeitsgeschenk für einen ihrer Feinde. Sie möchte den Zoo befreien und an einen besseren Ort gehen. Das alles singt sie, auf Englisch, in folkig bestickten kleinen Songpreziosen, die immer wieder auch knirschen und knarren und wackeln, weit und breit kein Christian Petzold. Und plötzlich kann man sich Gespenster überhaupt nicht mehr ohne Julia Hummer vorstellen, jenes deutsche Fräuleinwunder, von der man jetzt beim Hören merkt, dass man sie ständig anschauen musste, weil man nie sicher war, ob man nicht etwas in ihrem Spiel verpasst. Dieselbe bannende Qualität legt die 26-Jährige nämlich auf ihrem absolut entzückenden Debütalbum aus dem letzten Jahr auf ihre Musik um und schließt zu den großen Indie-Songwriterinnen auf. Und baut aus ganz viel schrammelnden Gitarren, Schmetterlingsseufzern, der kindlichen Stimme mit den verschobenen Betonungen und immer irgendwie geflickt klingenden Songs eine tolle Platte.
Schmachterei im Stützstrumpf
Jamie Foxx: Unpredictable (SonyBMG)
R&B ist ja zunächst einmal ein Stil, der Paarungsbereitschaft signalisieren soll und früher angeblich von ernstzunehmenden Künstlern bedient wurde. Letztere Behauptung lässt sich allerdings immer schwerer belegen und wird auch dadurch nicht stichhaltiger, dass mittlerweile jeder zweite Abgänger einer Reality-Show mit einfallslosem Agenten sich durch dieses Genre seimt. Aber R&B besorgen Studiomusiker, Produzenten und im Fall von Ray Charles-Darsteller Jamie Foxx Stargäste wie Snoop Dogg, Kanye West und Mary J. Blige, steht also auf soliden Beinen; und als Interpret legt man dann in Titel wie Warm Bed oder Three Letter Word eben nichts als sein ganzes Herz und seine Soul. Was sich bei Jamie Foxx nach Einbauküche mit Gleitgel anhört, sprich: baumarktnah, aber schmierig. Das größte Kompliment, das man hier machen kann ist: das könnte irgendwer sein. Machen wir ihm dieses Kompliment.
Warnblinkanlage inklusive
Juliette & The Licks: You’re Speaking My Language
(Ixthuluh)
Von Scientologen wusste man bislang nur, dass sie schlecht bis psychisch krank auf Kritik reagieren. Dann aber kam Juliette Lewis, posaunte, sie kenne wirksamere Mittel als Orgasmen um Energieüberschuss abzubauen und legte mit You’re Speaking My Language ein Album vor, in dem sie dich verhaut, selbst wenn sie dich umarmt. Schrei: „Rock ’n’ Roll!“ Man hört also beherzt in alle Richtung tretenden Punkrock, im Sound nah an den Stooges und MC5, im Gesang sehr bei Patti Smith, in seiner No-Nonsens-Manier aber dann doch ganz Juliette „Rockbitch“ Lewis. Beziehungsweise Juliette & The Licks, die in Sachen Arschtritt fürs Volk seit Jahren immer größer werdende Clubs beheizen, denkwürdiger Auftritt bei Stefan Raab und wirkliches Hitmaterial (Seventh Sign) inklusive. Kein Zweifel: Dieser Dame ist es ernst mit dem Punk. Gott sei Dank.
Der atemfrische Ex-Prinz
Will Smith: Lost and Found (Universal)
Erst war er der „Fresh Prince von Bel-Air“, schaffte es dann in die erste Reihe der Volkshelden-Darsteller und machte mit buchhalterischer Regelmäßigkeit Platten, von denen keine auch nur irgendjemandem in Erinnerung geblieben wäre, geschweige denn etwas bedeutet hätte. Was auch im Fall von Lost and Found daran liegt, dass Will Smith als Musiker nichts will (außer keine Schimpfwörter verwenden), dies jedoch in einem Genre, in dem man einfach etwas wollen muss, und sei es nur die Mutter eines anderen beleidigen. Das soll nicht heißen, dass Big Willy hier nicht unaufhaltsam unterhaltsamen Gute-Laune-Rap ablässt; vieles flowed und hängt tief und die 16 Songs wirken fast, als wären sie auf der Höhe der Zeit. Genau dieses „fast“ ist aber ihr Problem. Und es wird auch dadurch nicht kleiner, dass mit Mary J. Blige und Snoop Dogg genau jene Superstars vorbei schauen, die in puncto musikalischem Hostess-Service keinen Genierer mehr haben. Hip-Hop-Darstellermusik.
Drei Farben: Sexy
Julie Delpy: Julie Delpy (Crépuscule)
Wenn Julie Delpy gegen Ende von Before Sunset zur Gitarre greift, um Ethan Hawke A Waltz for a Night über den Zauber einmaliger Augenblicke vorzuträllern (Komposition: Julie Delpy), dann ist das schlicht der magische Mega-Moment. Den will man sofort zu Hause nachstellen, am besten mit der echten Julie, was vielleicht das triftigste Argument für den Kauf von Julie Delpys Julie Delpy darstellt. Und natürlich wird, wer sich ein Album voll grazil-zerbrechlicher Schwips-Chansons erwartet, positiv enttäuscht; denn Frau Delpy demonstriert neben engelhafter Koketterie vor allem Melancholie, stapft manchmal zwar in den auch musikalisch etwas zu schweren Stiefeln von Neil Young, punktet dann aber mit fünf, sechs eigenständigen Miniaturen, die das Private ins Poetische heben – und wirklich bezaubern. In der Wanne mit Julie mit Gitarre: sexy.
Im Plusquamperfekt
Robert Downey Jr.: The Futurist (SonyBMG)
Robert Downey Jr. als Sänger – das kannte man schon aus Ally McBeal und The Singing Detective, wo diese Kombination zumindest funktionierte und manchmal sogar Eleganz besaß. Auf seinem Soloalbum klingt der Ex-Knacki mit Nummer P50522 nun aber wie jemand, der wie Sting klingen will. Dabei hat man fast immer das Gefühl, er wüsste wie’s geht: Acht Songs schrieb er selbst, er spielt Piano, er wringt sein Timbre – wenn Jr. bloß wüsste, was „es“ eben ist. So aber knödelt er sich durch höhepunktlose Songs, die irgendwie nach frühen Morgen schmecken sollen, nur dass das nüchtern nun mal eine schlechte Idee ist und der Mann mit dem smarten Grinsen in dieser Form als gefühlsbetonter Interpret so gut ist wie Elvis als gefühlsbetonter Schauspieler. Symptomatisch: Downey designte das Cover zu The Futurist. Was seinem Label gleich so gut gefiel, dass man es durch ein Slipcase-Cover ergänzte, auf dem ein Foto von Jr. zu sehen ist, auf dem man seinen Mund nicht sieht. Autsch.
Tupperware-Girl mit Überziehungsrahmen
Lindsay Lohan: Speak (Universal)
Die Überlegung, woran man wohl denken muss, um diesen Gesichtsausdruck auf dem Cover zu erreichen, lässt einem beinahe das Hirn implodieren, darum schnell zur Musik dieses Freaky Friday-Spin-Offs. Die lässt sich nämlich gut mit jener von Ashlee Simpson vergleichen (die Talentiertere von beiden möge verzeihen) oder als Songabfall beschreiben (den man den Produzenten um die Ohren hauen sollte, wenn sie denn welche hätten.) Kurz: Es geht um jene Sorte Girls-Rock der oberen Pubertätsklasse, dem man bis ins letzte Scheppern anmerkt, dass sich niemand außer der Styling-Abteilung verausgaben wollte. Deshalb gibt’s auf der CD-Rückseite auch ein Foto, auf dem die E-Gitarre zu Lindsays BH und Schuhen passt; wer also ein Gelübde ablegte, die Sängerin von Zeilen wie „I can’t comprehend what I understand“ niemals sexy finden zu wollen, sollte sich diese Prüfung gönnen.
Alle Energie auf die Reflektorschirme
William Shatner: Has Been (SonyBMG)
Hierfür gibt es keine Geld-Zurück-Garantie. Denn wer William Shatners Has Been zurückbringt, findet weder Gefallen an den Shatner’schen Mitarbeitern Ben Folds, Henry Rollins, Joe Jackson – also lauter lauten Leuten, denen man anhört, dass sie hier auch ohne Geld zu hören wären –, noch beeindruckt ihn, womit Shatner die von Disco-Punk bis zur Morricone-Paraphrase reichenden Songs verfeinert: mit zutiefst privaten Lyrics. Die hätte man – zumal sie Captain Kirk als sympathisch und humorvoll ausweisen – dem Großkotz so unprätentiös gar nicht zugetraut: „So next time there’s an asteroid or a natural disaster / I’m flattered that you thought of me / But I’m not the one to call (…) Sorry to disappoint you / But I’m real.“ Ausgezeichnete Arbeit ist das vom Duo Folds (Musik) und Shatner (Geschichte, Pathos, Selbstironie): Lebensklugheit trifft Sentimentalität, sozusagen. Mit einer Person, die da ihr Geld zurück wollte, hätte niemand gerne zu tun. Keine Geld-Zurück-Garantie also.