Neu auf Blu-ray, DVD und digital: Takashi Miikes nächtliche Tour de Force „First Love“, eine Art True Romance auf Speed in Nippon.
Regisseur Takashi Miike (Audition, Dead or Alive I – III, , Visitor Q, 13 Assassins, Ichi the Killer) gilt mit seinen abstrakten Blutbädern als Quentin Tarantino Japans. Im Vergleich zu Tarantino hat Miike allerdings mehr als zehn mal so viele Filme gedreht: 103 mit noch nicht einmal 60 Lebensjahren. Seinen berühmt-berüchtigten US-Kollegen besetzte er 2007 gar als Schauspieler in Sukiyaki Western Django. Miikes neuester Low-Budget-Streich First Love (Originaltitel: Hatsukoi) hat nichts mit der gleichnamigen Novelle Turgenjews gemein, sondern ist vielmehr ein schwarzhumoriger Exzess mit einem unerwarteten Happy End.
Gegensätze ziehen sich an: Ein gescheiteter Boxer mit Gehirntumor-Diagnose (Masataka Kubota) und eine drogensüchtige Prostituierte (Sakurako Konishi) stehen im Zentrum des Geschehens, das sich in einer einzigen Nacht abspielt. Der bisher eigentlich immer nur an sich selbst denkende Leo beschließt, einmal in seinem offenbar nur noch kurzen Leben jemand anderem zu helfen und schlägt Monicas Verfolger, den korrupten Cop (Nao Ohmori), mit einer trockenen Geraden bewusstlos. Das wird zum Auftakt eines blutrünstig-bleihaltigen Katz- und Maus-Spiels, in dem es natürlich auch um Tradition, Ehre und Drogen-Deals geht. Denn Chiachi, die Auftragskillerin der chinesischen Triade (Mami Fujioka), und die ihr natürlich feindlich gesonnene Yakuza unterziehen die geradezu unschuldig aufkeimende erste Liebe von Leo und Monica einem Belastungstest nach dem anderen.
Miike schreckt mal wieder vor nichts zurück: Friedliche Omas werden en passant ausgeknockt und niedliche Plüschhunde zum Zeitzünder umfunktioniert. Doch gibt es immer wieder Anwandlungen von Humanität bei ihm, nämlich punktgenau dann, wenn es der Zuschauer am wenigsten erwartet. In der Dualität von geerdetem Drama und groteskem Gemetzel besticht der 27-jährige Shôta Sometani als perverser Drahtzieher, der seine Mordopfer nicht mehr zählen kann. Außerdem zeigt sich Sängerin Becky von ihrer abartigsten Seite als schlagkräftige Sklavenhänderin und rachsüchtige Freundin eines ermordeten Zuhälters.
Mut zum Risiko kann man Miike wahrlich nicht absprechen: In die albtraumhafte Atmosphäre der eigenständigen Hommage an True Romance (Kamera: Nobuyasu Kita) platzt unvermittelt ein poppiger Anime hinein, der paradoxer Weise die größte Action-Sequenz von First Love darstellt. Kôji Endôs fiebriger Soundtrack erinnert wiederum an Robert Rodriguez‘ und Frank Millers Sin City, wo ja Tarantino als Gast-Regisseur auch seine Hände im Spiel hatte. Miikes Nummer 103, die im vorigen Jahr bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs genauso begeistert aufgenommen wurde wie einige Monate später beim Fantasy Filmfest in Deutschland, ist krude, brutal – und ziemlich genial! Einziger Wermutstropfen: DVD und Blu-ray enthalten kein Bonusmaterial.