Roman Polanskis Dokumentarfilm „Weekend of a Champion“ erweist sich als stimmige Reminiszenz an die große Ära des Autorennsports.
Man versuche einmal, sich folgende Szene vorzustellen: Ein Formel-1-Weltmeister, der noch dazu als Führender in der Wertung des aktuellen Rennjahres zum prestigeträchtigen Grand Prix von Monaco kommt, verlässt sein Hotel im mondänen Fürstentum, bewegt sich wie selbstverständlich mitten durch die dicht gedrängte Menschenmenge, um durch eine Seitengasse Richtung Rennstrecke zu gehen. Dabei biegt er eigenhändig ein Brett zur Seite, um sich durch eine Lücke in der Absperrung zu zwängen und so zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen. Angesichts gegenwärtiger Verhältnisse, wo sich der Formel-1-Zirkus als perfekt durchorganisierte und vermarktete Veranstaltung präsentiert und die Rennfahrer als smarte Repräsentanten von Marketingkonzernen auftreten, die sich dem durchschnittlichen Fan nur noch aus weiter Ferne präsentieren, erscheint eine solche Vorstellung wie ein Produkt der Phantasie. Doch genau dieses Szenario fängt Weekend of a Champion in seiner Eingangssequenz ein, als mit Jackie Stewart einer der großen Stars seiner Zeit das Rennen in Monte Carlo dermaßen in Angriff nimmt.
1971 entschloss sich Roman Polanski, zu diesem Zeitpunkt mit Filmen wie Das Messer im Wasser, Repulsion oder The Fearless Vampire Killers einer der großen Namen des Weltkinos, der nach dem Erfolg von Rosemary’s Baby zudem einer der gefragtesten Regisseure Hollywoods war, einen kleinen Dokumentarfilm über die Faszination des Motorsports zu drehen. Als enger Freund von Jackie Stewart begleitete Polanski den Weltmeister von 1969 – der sich den Titel auch noch 1971 und 1973 sichern sollte – während der Tage, an dem sich der Formel-1-Tross in dem kleinen Fürstentum versammelte, um das traditionsreiche Rennen durch die Straßen Monte Carlos zu bestreiten. Roman Polanski ist dabei der stetige Begleiter Stewarts, der als unsichtbarer und stiller Ansprechpartner des Schotten fungiert, wenn der Champion Erläuterungen zum Rennsport samt launigen Anmerkungen macht. Roman Polanski zeichnet dabei anhand eines typischen Grand-Prix- Wochenendes ein sehr persönliches Porträt einer jener Protagonisten, die auf einmalige Weise die Ambivalenz von Glamour und Todesgefahr, die den Rennsport jener Ära prägte, verkörperten.
Die enge Freundschaft Polanskis – der die Regie für Weekend of a Champion nominell Frank Simon überließ – mit Jackie Stewart erlaubt Einblicke von ungewöhnlicher Nähe, die zu einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß den Charme der Dokumentation ausmachen. Man erlebt dabei Jackie Stewart als Star zum Anfassen und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Etwa wenn er zu Beginn des Films Polanski in einem kleinen Auto die Rennstrecke entlang chauffiert um die Schwierigkeiten des Stadtkurses zu demonstrieren. Ein durchwegs eindrucksvolles Unterfangen, denn selbst das Manövrieren eines Kleinwagens in gemächlichen Tempos erscheint angesichts der Enge der Straßen und Kurven wie ein ziemlich diffiziler Balanceakt, der mehr als erahnen lässt, wie sich diese Übung mit einem Rennauto anfühlt. Oder etwa, wenn Jackie Stewart ungeachtet des stressigen Terminplans sich die Zeit nimmt, die Gewinner eines Preisausschreibens – vornehmlich britische Pensionisten – persönlich zu begrüßen und T-Shirts zu überreichen. Weekend of a Champion zeigt – ein weiterer krasser Gegensatz zur Gegenwart – die Formel 1 als beinahe familiären Betrieb, wo etwa Stewart seinem jungen Teamkollegen François Cevert bereitwillig an seiner Erfahrung teilhaben lässt und ihm Tipps gibt wie besonders schwierige Streckenabschnitte am besten zu meistern sind. In bester Direct-Cinema-Tradition wirft sich Roman Polanski an der Seite von Jackie Stewart mitten ins Geschehen und macht damit die Hektik und Intensität des Rennens mit all seinen Nebenschauplätzen geradezu spürbar. Dabei wechseln sich aktionsgeladene Sequenzen während Training und Rennen mit Momenten von beinahe schon rührender Alltäglichkeit – etwa, wenn sich Stewart bei der morgendlichen Rasur schneidet – ab. Weekend of a Champion erweist sich als stimmige Momentaufnahme, die jedoch auch mittels kurzer Impressionen die Atmosphäre jener Tage geschickt einzufangen versteht. Entstanden ist dabei auch das Stimmungsbild einer Zeit, in der im Rennsport-Milieu noch der Geist der „Swinging Sixties“ vorherrschte und die Fahrer ihr Image zwischen Lebemann und Held moderner Prägung durchaus kultivierten und dem Rennsport popkulturelle Dimensionen zu verleihen verstanden. Es war eine Mischung aus Glamour und Gefahr – Jackie Stewart verweist in einer Sequenz des Films explizit auf die in dieser Zeit hohe Anzahl von schweren und oft tödlichen Unfällen in der Formel 1 –, die eine ganz besondere Faszination auszuüben schien und Publikumskreise erschloss, die weit über die Gruppe reiner Motorsportenthusiasten hinausging. Es war eine Aura, die sich auch in Spielfilmen, die im Milieu des Rennsports angesiedelt waren, widerspiegelte, wie in John Frankenheimers Grand Prix (1966) oder dem streckenweise semi-dokumentarisch anmutenden Le Mans (1970; Regie Lee H. Katzin), in dem Steve McQueen – selbst ein begeisterter Amateur-Rennfahrer – in der Hauptrolle das ebenso berühmte wie berüchtigte Langstreckenrennen in Angriff nimmt.
Weekend of a Champion feierte auf der Berlinale 1972 seine Premiere, geriet jedoch nach einigen wenigen Aufführungen unerklärlicherweise fast völlig in Vergessenheit. Doch vier Jahrzehnte später entschloss sich Roman Polanski, das Material zu restaurieren und einen kleinen, etwa fünfzehnminütigen Epilog zu drehen. Dafür trafen sich Polanski und Jackie Stewart in der gleichen Hotelsuite von 1971 in Monte Carlo wieder, um über den Film zu plaudern. Im Zug dieses Gesprächs blicken die beiden mittlerweile etwas gesetzteren Herren launig und mit einem erfrischenden Maß an Selbstironie – wenn sie sich etwa daran erinnern, dass es damals en vogue war, sich besonders lange und breite Koteletten wachsen zu lassen – auf die alten Zeiten zurück.
Doch der Dialog trägt auch ernste Züge, als Stewart nochmals rekapituliert, wie gefährlich Autorennen damals waren und die Fahrer beinahe wie Gladiatoren im antiken Rom für das Mitwirken im Formel-1-Zirkus einen hohen Preis zahlen mussten – unter den Fahrern, die ihr Leben bei diesem gefährlichen Spiel verloren, waren neben engen Freunden Stewarts wie Jochen Rindt auch François Cevert, der 1973 beim Rennen in Watkins Glen tödlich verunglückte. Es war nicht zuletzt der Verlust enger Freunde, die Jackie Stewart veranlasste, einer der führenden Proponenten im Kampf für sicherheitstechnische Verbesserungen im Rennsport zu werden. Ein zunächst zähes Unterfangen, das jedoch langfristig Erfolge zeigte: Der letzte tödliche Unfall in der Formel 1 liegt mittlerweile zwanzig Jahre zurück – das Opfer war ausgerechnet Ayrton Senna, der letzte Fahrer, der mit seiner Ausstrahlung noch an die ebenso glanzvollen wie tragischen Zeiten der sechziger und siebziger Jahre erinnerte.