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Berlinale 2022

Frauen, die Männern lange Nasen drehen …

| Alexandra Seitz |
… was ihnen aber auch nichts nützt. Ein Kommentar zur diesjährigen Retrospektive der Berlinale, „No Angels – Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“

Darauf haben wir nun also ein Jahr lang gewartet: 27 US-amerikanische Komödien aus den Jahren 1932 bis 1943, in denen die drei Schauspielerinnen Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard mit Mutterwitz und scharfem Verstand tölpelhaften Männern Paroli bieten. Gähnt da wer?

Im vergangenen Corona-Jahr 2021 zerfielen die Internationalen Berliner Filmfestspiele bekanntlich in zwei Teile: eine Online-Screenerei im März, bei der sich die Branche vor dem Computer den Hintern platt saß, und eine Open-Air-Festivität im Sommer fürs Publikum, das Glück hatte mit dem Wetter. Keines der beiden „Events“ hatte konzeptuell Räume vorgesehen für analoge Vorführungen von 35mm-Kopien in dunklen Sälen, also für das, was Kino eigentlich ist beziehungsweise ursprünglich einmal war.

Eine Retrospektive eines Festivals, die etwas auf sich hält, schreibt sich traditionsgemäß auch die Präsentation dieser Kulturtechnik in ihrer handwerklichen Ausprägung auf die Fahne. Retro also nicht nur im Sinne von „wir zeigen alte Filme“, sondern auch im Sinn von „wir zeigen sie auf althergebrachte Weise“. Und das gestaltet sich mittlerweile nun mal recht aufwändig; denn nicht nur haben die analogen Filmkopien inzwischen vielfach den Wert von Museumsstücken und werden dementsprechend mitunter nur noch sehr ungern verliehen; es braucht zudem ein Kino, in dessen Vorführkabine ein Projektor überdauert hat, der außerdem funktionsfähig ist; und zu guter Letzt benötigt man eine Person, die weiß, wie die ganze Maschinerie bedient wird und was dabei zu beachten ist.

Das ist also alles nicht so einfach, und es ist daher auch nachvollziehbar, dass die Deutsche Kinemathek, die die Berlinale-Retro federführend verantwortet, die viele Arbeit, die sie in die Vorbereitung der Retrospektive „No Angels – Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ gesteckt hatte, nicht von einem blöden Virus in den Wind schießen lassen wollte. Und so hatten wir ein gutes Jahr lang Zeit, uns vorzubereiten, einzulesen, vorab zu sichten. Bei welcher Gelegenheit sich die eine und die andere Frage anfand.

Beispielsweise die, was am Genre Screwball-Comedy eigentlich so wahnsinnig lustig sein soll? Wo doch da alle immer nur durcheinander reden, wenn sie nicht gerade hysterische Anfälle bekommen, sich miteinander verwechseln, vorgeben, jemand anderes zu sein oder zur Unzeit zur Türe hereinkommen.

Oder die, wie man heutzutage Szenen aushalten soll, in denen schwarze Darstellerinnen und Darsteller in der Rolle von Dienstboten treudoof mit den Augen rollen und unterwürfig beflissen weiße Überlegenheit beglaubigen?

Freilich auch jene, warum nicht in jeder Stadt ein goldenes, mit Glitzer und Pelz besetztes Denkmal von Mae West aufgestellt ist?

Vor allem aber, und das ist leider die entscheidende Frage, warum zur Hölle wir uns eigentlich mit einem fast hundert Jahre alten Frauenbild beschäftigen sollen?

Diese Frage stellt sich selbst dann noch mit unverminderter Dringlichkeit, wenn uns gesagt wird – natürlich von Männern(*) –, dass West, Russell und Lombard in Rede stehendes Frauenbild auf wunderbar hochkomische Weise subversiv unterwandern und zur Kenntlichkeit entstellen, soll heissen: als schwachmatische Projektion jener Trottel bloßzustellen, als die die Männer sich in den Filmen der drei Ladies ohne Not ohnehin präsentieren.

Ja, das ist gefinkelt um die Ecke gedacht und bestimmt sehr gescheit. Praktischen Nutzen über den Kreis interessierter Fachspezialistinnen und -spezialisten hinaus hat es aber sehr wahrscheinlich eher keinen. Um mal ganz zu schweigen von der Aufklärung und Bildung eines kompetent über Film nachdenkenden Nachwuchses, dem gerade dieses Thema doch etwas arg weit weg von der eigenen Lebensrealität vorkommen mag. Zumal das im vergangenen Jahr noch vollmundig angekündigte „Rahmenprogramm mit Gesprächsveranstaltungen, die zeitgemäße aktuelle Rezeptionsperspektiven entwickeln wollen“ angesichts der nachwievor alles bestimmenden Pandemie zusammengeschrumpft ist auf ein einziges, kümmerliches Podiumsgespräch, bei dem „aus heutiger Sicht die Pionierleistungen der drei »female leading comedians« und die verhandelten Frauenbilder und Geschlechterverhältnisse der in der Retrospektive gezeigten Komödien“ diskutiert werden sollen (**). Gähnt da womöglich schon wieder jemand?

Es muss bei dieser Gelegenheit wieder einmal darauf hingewiesen werden, dass es der Deutschen Kinemathek seit 1977 nur ein einziges Mal gelungen ist, ein einigermaßen auch für die Gegenwart relevantes weibliches Filmschaffen in den Fokus der Retro zu rücken. Das war 2019, als unter dem Titel „Selbstbestimmt – Perspektiven von Filmemacherinnen“ der 1960er bis 1990er Jahre in beiden deutschen Staaten erkundet wurden. Davor standen 2006 „Traumfrauen. Stars im Film der fünfziger Jahre“ und 2007 „City Girls. Frauenbilder im Stummfilm“ im Fokus des Interesses. Davor wiederum muss man zurück ins Jahr 1986, als die Retrospektive der (Stummfilm-)Schauspielerin Henny Porten (1890–1960) gewidmet war. Und jetzt alle: Gähnkrampf!

Verstehen Sie mich nicht falsch; nichts gegen Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard; nichts gegen die Rezeption alter Filme, selbst wenn diese mehr schlecht als recht gealtert sind; nichts gegen den Blick zurück in graue Vorzeit und nichts gegen die Vermittlung von filmgeschichtlicher Relevanz und damit einhergehend historischen Bewusstseins. ABER auf jener internationalen Bühne, die die Berlinale – dieses Jahr ganz besonders dickschädelig und ganz besonders begrüßenswert – bietet, wäre möglicherweise doch auch etwas angemessen Riskanteres vorstellbar gewesen. Etwas, das sich nicht erst um fünf Ecken herum gedacht erschließt und dessen Bedeutsamkeit für unsere Gegenwart als Frauen in pandemischer Lage leichter greifbar gewesen wäre.

 

(*) Konsultieren Sie hierzu bitte die anläßlich der Retro erschienene Publikation gleichen Titels, die der Chef der Kinemathek, Rainer Rother, kurzerhand im Alleingang vollgeschrieben hat, sowie den gewohnt scharfsinnigen Essay zum Thema von Georg Seeßlen im Februarheft von epd Film.

(**) Immerhin von drei Frauen: Sonja Hartl (freie Journalistin), Bianca Jasmina Rauch (Filmwissenschaftlerin/-kritikerin) und Annika Haupts (Deutsche Kinemathek).