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Games – Das Imperium schlägt zurück

Das Imperium schlägt zurück

| Michael Pekler |

Während sich in Wirklichkeit das letzte verbliebene Imperium der Welt damit auseinandersetzen muss, welche Aufgaben es in dieser Rolle zu erfüllen hat, werden auf dem Bildschirm und auf der Leinwand weiterhin Imperien ohne Zahl errichtet. Vom Verhältnis von Aufbauspiel und Spielfilm und ihrer unterschiedlichen Gestaltung von Weltreichen.

Der britische Historiker Niall Ferguson beginnt seine Untersuchung Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer Macht mit einer Beobachtung bei sich zuhause. „Eines der beliebtesten Computerspiele der Welt heißt Age of Empires. Mein zehnjähriger Sohn war über Monate hinweg geradezu abhängig von diesem Spiel. Es beruht auf der Annahme, dass die Weltgeschichte eine Geschichte imperialer Konflikte sei. Rivalisierende politische Einheiten kämpfen miteinander um die Kontrolle über begrenzte Ressourcen: Menschen, fruchtbares Land, Wälder, Goldminen und Wasserwege (…) Zweifellos spielen viele Amerikaner Age of Empires. Aber bemerkenswert wenige Amerikaner – und amerikanische Soldaten – würden zugeben, dass ihre eigene Regierung diese Spiel gegenwärtig in der Realität spielt.“1

Nun ist das von Bruce Shelley entwickelte Erfolgsspiel jedoch nicht nur eines, dass nach Ferguson als Miniatur für das große realpolitische Kräftemessen interpretiert werden kann, sondern auch und vor allem ein so genanntes Aufbau- und Strategiespiel und als solches längst ein Klassiker in einem der erfolgreichsten Sektoren des Marktes: Wie im richtigen Leben muss der Spieler auch hier klein anfangen, seinen Einflussbereich beziehungsweise Aktionsradius stetig ausbauen, wichtige Kontakte, Freundschaften oder gar Bündnisse knüpfen (und natürlich pflegen), um schließlich am Ende als Sieger dastehen zu können. Ob man als Erster Kaiser die Chinesische Mauer bauen will, als Seefahrer eine Handelsimperium rund um Port Royale errichten, als Siedler das Römische Imperium wiederaufbauen oder als Knight of Honor sich um mittelalterliche Ländereien herumschlagen – der Bauchladen Weltgeschichte hat für jeden das Passende.

Ordnung der Dinge

Damit jedoch am Bildschirm wie in der Realität am Schluss ein politisch, wirtschaftlich und kulturell dominierendes Imperium entstanden ist, bedarf es zunächst der Expansion des Raumes – gemeinhin einer der wichtigsten Unterschiede zwischen  einer Imperial- und einer Hegemonialmacht, wie auch in den jüngsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema, etwa bei Herfried Münkler, nachzulesen ist: „Imperien entstehen entweder durch die gewaltsame Eroberung oder durch die wirtschaftliche Durchdringung von Räumen. (…) Fast alle Weltreiche wiesen auch weltwirtschaftliche Komponenten auf, andererseits hat es kaum eine Weltwirtschaft gegeben, die auf Dauer ohne machtpolitische Komponente geblieben wäre.“2 Eine Verbindung, das im Prinzip auf sämtliche Aufbauspiele zutrifft: Wer sich zu sehr auf die militärische Komponente verlässt, dem können bald Geld und Rohstoffe ausgehen, wer sich jedoch zu sehr auf den Gewinn konzentriert und seine Verteidigung vernachlässigt, wird anfällig für Überfälle und Invasionen. Die unterschiedlichen „Wege“, die viele derartige Spiele mittlerweile anbieten („Weg des Friedens“ oder „Freies Bauen“ als Alternative zum „Weg des Kampfes“) können durchaus als Versuch gelesen werden, diese Komplexität zwischen Wirtschafts- und Militärpolitik je nach Vorliebe des Spielers wieder aufzulösen.

Die Expansion ist also die Grundvoraussetzung zur Erlangung der Vormachtstellung – auf der Weltkarte ebenso wie auf dem Bildschirm. Einer hartnäckigen These zufolge gibt es zwischen den beiden sogar einen unmittelbaren Zusammenhang: Je mehr die reale Welt der Zerstörung anheim fällt, desto interessanter wird es, sie spielerisch nachzubauen, also: Fehler wieder gut zu machen. Das heißt historischen Entwicklungen eine andere Richtung zu geben, um nicht dort zu landen, wo man sich im wirklichen Leben heute befindet (eine schöne Form der Uchronie, mit der Umberto Eco seine Freude hätte). Das mag mit Regression und Eskapismus zu tun haben – um die Welt dort zu ändern, wo es möglich ist, nämlich per Mausklick –, ist aber angesichts einer vorgefertigten und hier buchstäblich: vorprogrammierten Richtung in Wahrheit natürlich gar nicht gegeben. Man kann zwar aus der Realität fliehen, bleibt aber in den Strukturen des Spiels gefangen – man landet eben nur an einem anderen vorbestimmten Ziel. Die Wiedererrichtung einer neuen Welt, in der man nach eigenen Vorstellungen schalten und walten kann, wie man will, mag verlockend klingen, doch erstaunlicherweise müssen im Laufe der Zeit gerade hier dieselben Probleme bewältigt werden wie in der Realität: Umweltverschmutzung, Aufstände, Wirtschaftskrisen. Und sogar die Herrscher respektive Gegner erhalten bestimmte Charaktereigenschaften, mit denen historische Persönlichkeiten – von Dschingis Khan über Katharina die Große bis Caesar – im kollektiven Gedächtnis in Verbindung gebracht werden.

Doch zurück zu Age of Empires, das längst mehrere Nachfolger gefunden hat und zu jener Frage, die uns besonders interessiert: Wohin wird expandiert? Lesen wir kurz die Produktbeschreibung des Herstellers über den mittlerweile dritten Teil: „Der lang erwartete Nachfolger zum Strategie-Blockbuster Age of Empires versetzt den Spieler in die Zeit der Kolonialisierung der Neuen Welt. Als Vertreter einer europäischen Kolonialmacht entsendet er Siedler und Streitkräfte nach Amerika, um dort seinen Einflussbereich zu vergrößern, die Wirtschaft anzukurbeln und Bündnisse mit den Indianern einzugehen. In der aktionsgeladenen Kampagne mit historischem Hintergrund nehmen die Spieler den Kampf gegen die feindliche Wildnis und einen mysteriösen Kult auf.“3 Während sich also Spiele, die sich in einem europäischen antiken oder mittelalterlichen Szenario bewegen, überwiegend mit der Neuordnung der Dinge auseinandersetzen (wie dem Aufstieg Roms, der Entwicklung der Hanse oder dem Europa der Kreuzzüge), ist die Neuerschaffung von Welten großteils jenen Spielen zu eigen, die in die Neue Welt expandieren (wie etwa in Age of Empires 3 oder der Anno-Serie).

Gerade weil viele Spiele damit einsetzen, dem Spieler nur beschränkte Ressourcen oder ein kleines Stück Land zu gönnen, steht die Eroberung von Neuland, im Zuge derer man auf unbekannte Völker stößt, immer im Zentrum – beschreibt diese Form der Expansion doch im Grunde eine stete Bewegung nach vorne und als menschliches Grundprinzip der Weiterentwicklung, bis hin zum Problem der so genannten imperialen Überdehnung. Eine Frage, die sich angesichts der weltpolitischen Ereignisse der letzten Jahre auch viele Kinospielfilme stellten und die unmittelbar mit dem meist zu Unrecht negativ behafteten Begriff des Imperiums, geschuldet der neuen Rolle der USA, in Verbindung steht. Doch nicht nur die mittlerweile wieder verebbte Historienfilmwelle der letzten Jahre, von Troja über King Arthur bis Hannibal, besitzt diesbezüglich ein besonderes Naheverhältnis zur Eroberung von Territorien,4 sondern auch drei höchst unterschiedliche Filme der jüngeren Vergangenheit offenbaren erstaunliche Parallelen und Schnittstellen zwischen Bildschirm und Leinwand.

Eroberung des Paradieses

Die Inhaltsangabe eines der bedeutendsten Filme des vergangenen Jahres liest sich zunächst wie die Produktbeschreibung eines einschlägigen Aufbauspiels: „Im frühen 17. Jahrhundert machen sich britische Entdecker auf die Reise nach Nordamerika. In der Kolonie Virginia kommt es zum ersten Zusammentreffen der europäischen und amerikanisch-indianischen Kultur.“ Die Rede ist von Terrence Malicks The New World, der uns an dieser Stelle deshalb interessiert, weil er in seinem Bild der Herausbildung eines Imperiums nur knapp zwei Monate nach einem anderen Film zu sehen war, der sich wie sein Gegenmodell liest: Peter Jacksons King Kong. Und beide Filme wiederum ein völlig anderes Licht auf eine Arbeit werfen, die ansonsten kaum der Rede wert wäre: Mel Gibsons Apocalypto.

Zunächst erzählen alle Filme von der Eroberung des Paradieses, das heißt, zumindest von der Inbesitznahme dessen, was – ähnlich einem Aufbauspiel – aus populärkultureller Sicht mit unzerstörter Natur, unentdeckten Zivilisationen und unerschlossenen Räumen zu tun hat. Aber sie erzählen auch von Gesellschaften auf dem Weg zum alles beherrschenden Imperium: The New World vom England am Beginn des 17. Jahrhunderts und seiner Expansion in die Neuen Welt (mit dem bezeichnenden Namen Virginia); King Kong von der USA in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts und der „Eroberung“ einer Insel im Pazifik; und Apocalypto von einem Stamm der Maya im frühen 16. Jahrhundert, der seine Nachbarn jagt, versklavt und opfert. Während bei Malick und Jackson jedoch die Mission des Einzelnen scheitert, währenddessen unsichtbar im Hintergrund die jeweilige Gesellschaft erfolgreich ein Imperium errichtet, lässt Gibson den Einzelnen siegen (was hier heißt: mit dem Leben davonkommen), während das eine Imperium mit der Ankunft der Spanier im letzten Bild des Films andeutungsweise vom nächsten, größeren abgelöst wird. Zu dieser perfiden Theorie später mehr.

Hält man sich Beschreibung und Ablauf von Age of Empires vor Augen, macht die kleine Gruppe, die sich in King Kong auf die Reise ins Ungewisse macht, alles falsch: Der Eintritt ins Paradies ist für Jackson und seinen zivilisierten Menschen zunächst die Wiedererlangung neuer Freiheit, und die Fahrt auf die Insel auch die Flucht aus der Realität der Slums und stinkenden Fabriken der Depressionsjahre. Doch all das, was nötig ist, um das Age of Empires entstehen zu lassen, wird verfehlt: Die illegitimen, weil selbst von der Heimat geflohenen Vertreter der Kolonialmacht sind keine Siedler, sondern Streitkräfte (und ein Filmteam, das die Kamera wie eine Waffe verwendet). Der bunte Haufen kann seinen Einflussbereich nicht vergrößern, will und kann mit den Eingeborenen, die hier als Kannibalen fungieren, keine Beziehungen aufnehmen – er ist nur an Rohstoffen interessiert, und der ertragreichste von allen wird in Ketten mitgenommen („The whole world will pay to see this.“) So muss – in der Logik von Aufbau und Entwicklung – diese Mission scheitern: Soldaten ohne Strategie sind in der Wildnis verloren. Nur die weiße Frau geht ein Bündnis ein, das – Ironie des Schicksals – am Empire State Building, buchstäblich auf der Spitze des Imperiums, zu Ende gehen wird.

Wo Jackson dem Blick des auf der Insel filmenden Regisseurs folgt, dem eines Eindringlings, der die gefährliche Natur wie in einem Computerspiel Schritt für Schritt erkundet, gibt Ma-lick in The New World den Blick jenen zurück, die schon dort sind. Die Schiffe mit den weißen Segeln, die 1607 in der Neuen Welt landen, werden bereits von den Einheimischen wahrgenommen: Pocahontas, die junge rote Frau, beobachtet die Ankömmlinge, und während in King Kong der Herrscher der Insel in Ketten von dieser abtransportiert wird, kommt in The New World ausgerechnet der, der als einziger das Leben der Einheimischen und das Wesen der Natur versteht, in Ketten an: John Smith. Sofort beginnen die Engländer, der Strategie jedes erfolgreichen Aufbaus folgend, eine Siedlung zu gründen, den Kontakt mit den Einheimischen zu suchen, Mais anzubauen und Nachschub aus der Heimat zu ordern – doch nur deshalb, weil sie aus Fehlern lernen und das neue Land nicht als Heimat begreifen. Der Rest ist (Kolonial-)Geschichte.

Auch Gibson inszeniert Apocalypto als Abenteuerspiel, bei dem verschiedene Orte und Stufen (der Verfolgung, der Technik, der Gewalt) durchlaufen werden müssen. Doch er erzählt vom Untergang der Neuen Welt mit dem Hinweis auf dessen vermeintliche Eigenschuld: Das dem Film voran gestellte Zitat des Historikers Will Durant, „Eine Zivilisation lässt sich von außen nur dann erobern, wenn sie sich von innen selbst zerstört hat“, dient hier bloß als Untermauerung der Idee eines dem Untergang geweihten, weil aus den Fugen geratenen Imperiums. Für Gibsons Held, den jungen Krieger Pranke des Jaguars, gibt es am Ende mit seiner geretteten Kleinfamilie ein Entkommen zurück in die Wälder, ihm ist die Flucht aus der dekadenten Metropole und vor degenerierten, machtbesessenen Herrschern gelungen. Für Pocahontas und King Kong gibt es natürlich kein Entkommen, der eine ist in stählernen Ketten am Broadway so gefangen wie die andere in den symmetrisch angelegten Gärten am königlichen Hof. Sie sterben in New York und London, den Metropolen der Imperien.

1 Niall Ferguson: Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer Macht. Propyläen Verlag, Berlin 2004, S. 7f.
2 Herfried Münkler: Imperien. Rowohlt, Berlin 2006.
3 http://www.ageofempires3.com
4 Michael Pekler: „Zersprengte Reihen, zerbrochene Mauern. Die Wiedergeburt des Imperiums aus dem Geiste des Historienfilms“. In: kolik.film 2, 2004, S. 139.

Dieser Text ist eine Weiterführung des Aufsatzes „Gefangen im Dickicht der Imperien“, erschienen in media biz (April 2006).