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Games – Leinwand und Ludologie

Leinwand und Ludologie

| Robert Glashüttner |

Über die schwierige Beziehung von Film und digitalem Spiel.

Fünf Wochen hatte Howard Scott Warshaw Zeit, das wichtigste Videospiel der Geschichte zu programmieren. Er hat es rechtzeitig abgeliefert – und damit die gesamte Games-Industrie indirekt in den Ruin getrieben. Der Konsolenhersteller Atari wollte 1982 parallel zum Kinostart von E. T. den Heimkonsolenmarkt zum Erstrahlen bringen. Gekommen ist alles anders: Über zwei Millionen der produzierten Steckmodule fanden ihr Schicksal in einer riesigen Mülldeponie in New Mexico. Der Titel war technisch wie inhaltlich eine Katastrophe, doch bei einem Projekt dieser Größenordnung wurde über derlei Schönheitsfehler offenbar selbstsicher hinweg gesehen. Man hatte ein immens starkes Label aus der Filmwelt, gepaart mit einem boomenden Videospielmarkt – was sollte da noch viel schief gehen? E.T., das Spiel, war die Zuspitzung der Dekadenz, die sich die Videospielindustrie Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre geleistet hatte. Unter geringsten Investitionen wurden qualitativ immer schlechtere Titel produziert, die einen neuen Massenmarkt befriedigen sollten. Irgendwann war der Bogen so weit überspannt, dass selbst den nachgiebigsten Käufern ein Licht aufgehen musste.

Der desaströse Fall E.T. hat schon früh klar gemacht, wie heikel und problematisch die Beziehung zwischen Film und digitalem Spiel ist. Beide Formen sind in ihrem Wesen grundverschieden: Wo Filme zumeist narratologisch funktionieren, definiert sich ein Computer- bzw. Videospiel im Kern durch sein Regelwerk: Lauf als Pac-Man durch das Labyrinth, friss alle Punkte und lass dich nicht von den Geistern erwischen. Drehe und positioniere bei Tetris die Bausteine richtig und du bekommst viele Punkte. Springe als Super Mario geschickt durch eine virtuelle Hinderniswelt, um das gesamte Spiel zu sehen und die Prinzessin zu retten.

Noch stärker in den Hintergrund tritt der erzählerische Überbau bei modernen, so genannten Partyspielen. Hier geht es meist nur um die interaktive, kompetitive Herausforderung: Wer bei Sing Star am schönsten – oder zumindest am auffälligsten – singt, oder wer bei Guitar Hero am geschicktesten in die virtuellen Saiten schlägt. Das Prinzip, dass für den Spaß eine Leistung erbracht werden muss, schägt bei elektronischen Spielen stärker durch als etwa die Handlungsstränge in einem Film. Ein Film kann sich von narratologischen Strukturen frei machen; ein Spiel ist – ganz unabhängig von seinem Trägermedium – ohne jegliche Regeln seiner Grundlage beraubt.

Game goes Blockbuster goes Game

Würden nicht kommerzielle Interessen die Film- und Games-Industrie lenken, wäre wohl lange niemand auf die Idee gekommen, das eine mit dem anderen zu verbinden. Eine Video-spielserie etwa, die sich plötzlich als Film behaupten muss, sieht sich zunächst mit der Herausforderung konfrontiert, den meist rudimentären erzählerischen Überbau in glaubwürdige Figuren und eine gelungene Filmdramaturgie zu übertragen. Scriptdoktoren und Regisseure stehen vor der schwierigen Aufgabe, platte Spielcharaktere und hanebüchene Stories von Gamedesignern zu wenn schon nicht anspruchsvollen, so zumindest kommerziell erfolgversprechenden Filmstoffen zu entwickeln.

Fast alle Film gewordenen Spiele kommen im Gewand eines Blockbusters daher. DOOM etwa, eines der einflussreichsten Computerspiele aus den frühen 90er Jahren, hat die so genannte Egoperspektive und das Genre des First Person Shooter populär gemacht. Beim Spielen ist die Hauptfigur völlig nebensächlich – schließlich spielt man ja selbst. Warum man auf einer verlassenen Raumstation Höllenwesen den Garaus machen muss, steht nicht zur Debatte. Wären die Monster nicht da, welchen Sinn hätte das Spiel? Dennoch: DOOM erschien Ende 2005 als Film – und fiel prompt bei Fans des Spiels und Kritikern gleichermaßen durch.

Der umgekehrte Weg, die Produktion eines Computer- oder Videospiels mit einem Film als Vorlage, ist die etablierte und noch immer gängigere Variante. Seit (oder auch: trotz) E. T. ist es eine gewohnte Tradition, erfolgreiche Filmserien wie Star Wars, Lord of the Rings oder Harry Potter möglichst parallel zum jeweiligen Filmstart zusätzlich als Spiel erscheinen zu lassen. Ausgangspunkt des lukrativen Cross Marketings ist dabei stets der Film.

Die unterschiedlichen Schwerpunkte der beiden Darstellungsformen machen sich auch bei Games mit Filmvorlage oft unangenehm bemerkbar. Das Spiel kann sich nicht mit der dramaturgischen und erzählerischen Tiefe seiner Vorlage messen, und das notwendige Regelwerk muss ohnehin komplett dazu erfunden werden. Ambitionierte Spielstudios versuchen, über das Entwickeln der notwendigen Spielmechanik hinaus eigenständige Erzählungen und Handlungsstränge zu kreieren, die dann ins jeweilige Spiel exklusiv eingebaut werden. Als weitaus wichtiger als der inhaltliche Anspruch gilt jedoch, die Stimmung, die auf der Leinwand transportiert wird, möglichst authentisch ins Spiel zu übertragen. Und der entscheidende Faktor ist die Möglichkeit, selbst als Spieler oder Spielerin in eine epische, bestens bekannte Geschichte eintauchen zu können – selbst im TIE-Fighter sitzen, selbst Mittelerde erkunden, selbst Harrys Geschicke lenken. Redundanz ist dabei nicht notwendig ein kommerzieller Hemmer: Die sechs Star Wars-Filme etwa haben es auf bisher über 40 Spielumsetzungen gebracht – Tendenz steigend. Nicht nur jeder einzelne Teil einer Blockbuster-Serie bekommt sein eigenes Spiel, oft produzieren die mit der jeweiligen Lizenz betrauten Game-Studios neue Titel ohne entsprechenden neuen Teil der Filmserie. Damit hält man Fans bei der Stange und kann neue Ideen und Wendungen auf relativ sicherem Terrain ausloten. So fremd Film und Spiel sich in der Form sind, so lukrativ ist die Handelspartnerschaft, die man nur allzu gern gemeinsam eingeht.

Das Machinima-Prinzip

Glücklicherweise gibt es aber auch eine Welt fernab von einflussreichen Games-Konzernen und dem Hollywood-Massenmarkt. So wie früher Spielumsetzungen von Filmen oft nur von einer Person entwickelt worden sind, kann man heute als Einzelkämpfer auch den umgekehrten Weg gehen: Spiele dazu benutzen, kostengünstig Filme zu erstellen. Das Machinima genannte Prinzip ist in den letzten Jahren unter anderem deshalb verstärkt ins Rampenlicht gekommen, weil es eine Befreiung aus den überprofessionalisierten Gruppenprojekten sein kann, bei denen oft bis zu 100 Personen an einem Film oder Videospiel arbeiten – unter Verlust des Zusammengehörigkeitsgefühls.

Machinima vereint die beiden fremden Welten Film und Spiel auf kluge und charmante Weise. Virtuelle 3D-Systeme, in denen normalerweise Spieler mit Waffen und Zauberstäben digitale Landschaften erforschen, werden dabei zweckentfremdet und dienen als virtuelle Welt, wo durch eigenständige Modifikation alles möglich ist: auch das Erstellen des eigenen Films, den man vielleicht im Kopf schon gedreht oder zu Papier gebracht hat. Alles wird am Computer individuell gestaltet und gescriptet: die Umgebung am „Set“, Witterung, Figuren, Licht, Kamera – stets in der Hand einer Einzelperson oder eines kleinen Teams. Machinima eignet sich nicht nur zum Austoben für kreative Cineasten, sondern auch für unterschiedliche Schwerpunkte in der Lehre. Eine mögliche Anwendung für professionelle Filmschaffende ist die Abgabe eines Treatments oder Drehbuchs in Machinima-Form. Wer Ideen nicht bloß zu Papier, sondern auch ansatzweise in einer virtuellen Umgebung präsentieren kann, hat zweifellos Startvorteile. Wermutstropfen sind die notwendige Einarbeitungszeit und die (noch) leicht als Spielgrafik zu identifizierende Darstellung.

Neuer Medienhybrid

Ein gleichwertiges Verständnis wäre eine gute Voraussetzung dafür, dass Film und Spiel nicht nur nebeneinander funktionieren oder sich inhaltlich und strukturell gegenseitig ergänzen, sondern dass sich die originären Wesenszüge beider Formen durch kluges gegenseitiges Befruchten eventuell doch zu einer Art neuem Medienhybrid wandeln lassen – wenn vielleicht auch nur als vereinzelte gelungene Experimente. Beispiele gibt es bereits: Tom Tykwers Film Lola rennt arbeitet – ganz ähnlich einem Videospiel – mit einer nicht-linearen Erzählstruktur und einem Trial-and-Error-Prinzip. Auch Filme, die sich mit Zeitreisen oder Was-wäre-wenn-Spielchen beschäftigen, wie etwa die Butterfly Effect– oder Back to the Future-Serien, mischen die Karten innerhalb der Erzählung immer wieder neu und versetzen den Zuseher zurück zum Ausgangspunkt – vergleichbar dem Bildschirmtod des Spielers, nach dem er das Level von vorn beginnen muss.

Umgekehrt bewegt sich in der Welt der Games der Trend vom reinen Regelwerk und den platten, alibihaften Stories, die oft lieblos um das jeweilige Spiel herumgebastelt werden, zunehmend weg. Die Spielindustrie schätzt Personen mit Filmerfahrung, die in Sachen Games noch nicht vorbelastet sind, um das interaktive Medium Computer-/Videospiel mit neuen Einflüssen zu versorgen. Während all das passiert, lebt Howard Scott Warshaw vermutlich immer noch gut von den Spielen, die er in den frühen Achtzigern gemacht hat – wenn auch nur, was den Ruf betrifft. Und wer weiß, was passiert wäre, hätte er für sein E.T.-Spiel ein Jahr Zeit gehabt? Vielleicht hätten Film und Spiel, hätten Narration und Interaktion eher zueinander gefunden.

Robert Glashüttner ist unter anderem Games-Redakteur bei Radio FM4, beschäftigt sich mit Videospielgeschichte und diplomierte an der Uni Wien über Spieljournalismus aus wissenschaftlicher Perspektive.

Spielfilm-Spiele mit Mehrwert

Goldeneye (Nintendo 64, 1997)
Die vom britischen Entwicklerteam Rare entwickelte Umsetzung des James Bond-Movies gilt als eine der besten Actionspiele aller Zeiten. Es stellt direkte Verbindungen zur Filmvorlage her.

Ghostbusters (Commodore 64, 1984)
Der US-amerikanische Starentwickler David Crane hat das Spiel zu Ghost-busters solo gestaltet – zu einer Zeit, als entsprechende Deals noch wesentlich informeller vereinbart wurden. „Du hast den Film gesehen, willst du das Computerspiel dazu machen?“, wurde Crane angeblich gefragt. Er wollte.

TRON / TRON 2.0 (Arcade, 1983 / PC, 2003)
Walt Disney’s TRON aus dem Jahr 1982 schafft die Symbiose von Film und Spiel mit Bravour – einfach, indem sich der Plot des Films mit Games beschäftigt. Vor allem deshalb sind beide Spielumsetzungen gut gelungen.