In diesen Tagen geht die Wiener Multiplayer-Gameworld Papermint online.
Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Neuigkeiten aus der virtuellen Welt Second Life die Medienrealität durchdringen. Die irgendwo zwischen Onlinespiel, Kommunikationswerkzeug und 3D-Websimulation evolvierende Umgebung wurde 2003 von Linden Lab in San Francisco programmiert, saugt mittlerweile Millionen Nutzer an, und ist durch ihre US-Dollar-kompatible Währung „Linden Dollar“ mit dem realen Wirtschaftskreislauf verschränkt. Für PR-Zwecke sperren immer mehr Firmen neue Filialen in der virtuellen Welt auf, darunter Adidas, IBM oder Vodafone. Der Axel Springer Verlag veröffentlicht eine Boulevardzeitung in Second Life, die Nachrichtenagentur Reuters hat ein Regionalbüro gestartet und arbeitet mit ihren Meldungen verstärkt der Durchlässigkeit zwischen Welt und Parallelwelt zu. Da verwunderte es auch nicht mehr, als Reuters vor wenigen Wochen meldete, dass Schweden als erstes Land der Welt gar eine „Botschaft“ in Second Life eröffnet habe. Das stimmte zwar nicht – aber so sieht heute Imagepflege aus.
Seinen eigenen Körper als „Avatar“ in einer Metasphäre neu entwerfen, dort seine Ideen verwirklichen, sich gar eine neue Identität verleihen: Die Faszination ist so groß, dass auch Third und Fourth Life nicht lange auf sich warten ließen. Längst sind Mitbewerber auf den Plan getreten, und einer davon kommt jetzt aus Österreich, genauer gesagt, aus einem ehemaligen Lichtspielhaus in der Wiener Hütteldorferstraße. Die dort in einer kreativen Bürogemeinschaft angesiedelte, aus einem Dutzend Programmierern und Grafikdesignern bestehende Softwarefirma Avaloop will in diesen Tagen mit Papermint online gehen.
Im Februar präsentierte sich das Unternehmen bei der Ausstellung „Digitaler Flügelschlag“ im Freiraum des Wiener Museumsquartiers, zeitgleich wurde der Betatest gestartet. Von seinem Kreativkopf Lev Ledit wird Papermint als avancierter 3D-Chat bezeichnet, als Multi-User-Welt, in der man „Explorer-, Creativity- und Achiever-Punkte“ sammeln und sogar schwanger werden kann. Der User schneidet sich aus verschiedenen Schablonen einen eigenen bunten, zweidimensionalen Comic-Charakter (im Look der 70er Jahre) aus, spaziert damit auf Inseln wie der „Vienna Cool“, oder trifft im „Flex“, im „Bermudadreieck“ oder in einer „Business Bar“ andere Avatare, wobei zum Beispiel die Stimmung oder das soziale Ansehen jeder Figur in einer „Wobble“ genannten Profilsammlung von anderen Teilnehmern wahrgenommen werden können. Weitere „Themeninseln“ sollen ebenso dazu kommen wie halbjährig neue Features. Die User sollen sich nicht nur fortpflanzen können, auch die unbeschränkte Haltung von Haustieren ist bereits so gut wie programmiert.
Sponsoren sind bereits gefunden, wie Geschäftsführer Martin Sirlinger berichtet. Coca Cola mietet sich vom Start weg mit einer Insel ein, durch Codes auf Getränkeflaschen kann man Zahlungsmittel für Papermint hamstern: Papiermünzen. Mit den Papermints wiederum erwerben die User zum Beispiel Kleidung oder andere Distinktionsmerkmale für ihre Figur; in die Welt einsteigen kann man aber auch kostenlos.
Von einer Meta-Volkswirtschaft wie Second Life sehen sich die Papermint-Betreiber weit entfernt, im Vordergrund steht die spielerische Begegnung. Für beide freilich ist die Funktion als Bühne für den einzelnen User charakteristisch. Finanzielle Starthilfe bekam die Onlinewelt übrigens von den durchaus realitätssinnigen Fördergesellschaften departure und WAFF.